Aufgaben der Richtervertretungen im Modernisierungsprozess

 

Aus dem Text:

„…. Es wird verkannt, dass die Arbeitsabläufe in den Gerichten…..höchstpersönliche Erkenntnisprozesse sind ….“

 

Karl Friedrich Piorreck
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main.

Beitrag „Aufgaben der Richtervertretungen im Modernisierungsprozess“. Veröffentlicht in Betrifft JUSTIZ 2001 Seite 218 ff. 

 

I. Das Neue Steuerungsmodell (NSM)

Das Neue Steuerungsmodell ist Anfang der 90er Jahre von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt-lnternetadresse: www.kgst.de) entwickelt worden. Zentrales Anliegen des Modells ist es, Arbeitsabläufe in der Verwaltung wirtschaftlicher zu gestalten.

Mit den Worten der KGSt, aus der Zusammenfassung des KGSt-Berichts 5/1993:

„Aus einer Analyse typischer Funktionsmängel der heutigen Kommunalverwaltung wird die Notwendigkeit des neuen Leitbildes „Dienstleistungsunternehmen Kommunalverwaltung“ abgeleitet. Die Verwirklichung des neuen Leitbildes setzt zunächst keine grundlegenden Gesetzesänderungen voraus, denn die Elemente einer den heutigen Anforderungen gewachsenen Kommunalverwaltung sind vorhanden. Was sich hingegen verändern muss, ist ihre Dynamik, d.h. die Steuerung ihres Zusammenwirkens.

Das Neue Steuerungsmodell läuft auf den Aufbau einer unternehmensähnlichen, dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur hinaus. Die Kernelemente dieser Struktur sind:

Klare Veranwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung
Führung durch Leistungsabsprachen statt durch Einzeleingriff (Kontraktmanagement)
Dezentrale Gesamtverantwortung im Fachbereich
Zentrale Steuerung neuer Art
Instrumente zur Steuerung der Verwaltung von der Leistungsseite her (Outputsteuerung)
Die neue Struktur muss durch Wettbewerb bzw. Wettbewerbssurrogate aktiviert und innovationsfähig gemacht werden.“

Das Neue Steuerungsmodell ist auf hierarchisch gegliederte Verwaltungsorganisationen ausgerichtet; d.h. das Modell setzt zwingend ein Überordnungs-/Unterordnungsverhältnis und damit ein Vorgesetzten/Untergebenenverhältnis voraus. Es orientiert sich an den Arbeitsabläufen von Verwaltungsbehörden, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie durch die Regierung, das Fachministerium und die jeweilige Behördenleitung hinsichtlich des Inhalts und des Ablaufs angeordnet, zugewiesen, gestaltet und auch sonst umfassend beeinflusst werden können; denn bei ihnen und nicht bei den Ausführenden liegt die eigentliche Verantwortung für die Arbeitsabläufe und die Arbeitsergebnisse. Daran ändert auch die kooperative Führung nichts.

II. Die Richtervertretungen

Die Richtervertretungen (die örtlichen Richterräte, die Bezirksrichterräte und die Präsidialräte) haben die kollektiven Interessen der Richterinnen und Richter nach Maßgabe des Deutschen Richtergesetzes (DRiG), des Hessischen Richtergesetzes (HRiG) und des Hessischen Personalvertretungsgesetzes (HPVG) wahrzunehmen.

Im Modernisierungsprozess/Prozess zur Verbesserung der Führung sind in erster Linie die Richterräte zuständig. Sie haben im Rahmen ihrer allgemeinen Aufgaben darüber zu wachen, dass die zugunsten der Richterinnen und Richter geltenden Gesetze und Verordnungen durchgeführt werden (vgl. §§ 25 Abs. 2 HRiG, 62 Abs. 1 Nr. 2 HPVG) und haben Anspruch auf rechtzeitige und eingehende Erörterung aller Maßnahmen, die die Richterinnen und Richter wesentlich berühren (vgl. §§ 25 Abs. 2 HRiG, 60 Abs. 4 HPVG).

Für die Bereiche Personalentwicklung, Vernetzung, Kosten- und Leistungsrechnung, Budgetierung und Controlling kommen darüber hinaus besondere Beteiligungstatbestände in Betracht. Diese fallen nicht unter die so genannten gemeinsamen Angelegenheiten im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 2 HRiG, weil die Richterinnen und Richter in anderer Weise als die übrigen Justizbediensteten betroffen sind.

Die Richterräte haben mitzuwirken:

a) nach den §§ 25 Abs. 2 HRiG, 81 Abs. 1 HPVG bei der Einführung neuer Arbeitsmethoden, allgemeinen Festlegungen von Verfahren und Methoden von Wirtschaftlichkeits- und Organisationsprüfungen (betrifft: Personalentwicklung, Vernetzung, Kosten- und Leistungsrechnung, Budgetierung und Controlling).

b) nach den §§ 25 Abs. 2 HRiG, 81 Abs. 2 HPVG bei der Installation betrieblicher und dem Anschluss an öffentliche Informations- und Kommunikationsnetze (betrifft: Vernetzung allgemein und SAP/R3),

Die Richterräte haben mitzubestimmen:

a) nach den §§ 25 Abs. 2 HRiG, 74 Abs. 1 Nr. 16 HPVG bei der Gestaltung der Arbeitsplätze (betrifft: EDV- Ausstattung, Vernetzung),

b) nach den §§ 25 Abs. 2 HRiG, 74 Abs. 1 Nr. 17 HPVG bei der Einführung, Anwendung, wesentlichen Änderung oder Erweiterung von technischen Einrichtungen, die dazu geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Richterinnen und Richter zu überwachen (betrifft: Vernetzung allgemein und SAP/R3).

c) nach den §§ 25 Abs. 2 HRiG, 77 Abs. 2 Nr. 4 HPVG über den Erlass von Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Beförderungen (betrifft: Personalentwicklung).

Die örtlichen Richterräte sind für alle Maßnahmen zuständig, die die Richterinnen und Richter ihres Gerichts (im Falle des § 29 Abs. 2 HRiG die Richterinnen und Richter der für die Bildung eines Richterrats zusammengefassten Gerichte) betreffen (§ 37 Nr.1 HRiG).

Die Bezirksrichterräte sind für alle Maßnahmen zuständig, die sich über den örtlichen Zuständigkeitsbereich eines Richterrats hinaus erstrecken oder in denen sich der Richterrat und der Beteiligungspartner nicht einigen (vgl. § 37 Nr. 2 HRiG).

Unabhängig von den beschriebenen personalvertretungsrechtlichen Aufgaben haben die Richtervertretungen die Aufgabe, die richterliche Unabhängigkeit zu wahren und zu stärken (für die Präsidialräte ausdrücklich BVerfGE 41, 1 = DRiZ 1976, 118). Die Justizverwaltung ist gut beraten, wenn sie diese Aufgabenerweiterung bereits in den personalvertretungsrechtlichen Beteiligungsverfahren gehörig gewichtet. Sie muss immer damit rechnen, dass einzelne Richterinnen und Richter eine richterdienstgerichtliche Überprüfung veranlassen (§§ 26 Abs. 3 DRiG, 50 Nr. 4 f HRiG).

III. Richterliche Unabhängigkeit

Zunächst zwei Zitate.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 12, 67, 71):

„Art. 97 Abs. 1 GG garantiert die sachliche Unabhängigkeit der Richter. Sie sind, soweit sie Recht sprechen, nur dem Gesetz unterworfen. Die Vorschrift dient dem Schutz der rechtsprechenden Gewalt vor Eingriffen durch die Legislative und der Exekutive.“

Der Bundesgerichtshof (BGHZ 67, 184, 187):

„Die richterliche Unabhängigkeit ist kein Grundrecht im Sinne des § 90 BVerfGG und kein Standesprivileg (BVerfGE 27, 211, 217; Benda DRiZ 1975, 166, 170), sondern ein Ausfluss der Gewaltenteilung, eine in der Natur der Sache begründete Voraussetzung objektiver, von Fremdbeeinflussung freier Rechtsprechung. „

Das Verfassungsgebot der richterlichen Unabhängigkeit enthält das Gebot an alle nicht mit der Rechtssache Befasste und an alle nicht daran Beteiligte, sich jeder Einflussnahme auf die gerichtliche Entscheidung zu enthalten. Das Gebot gilt auch für alle Richterinnen und Richter, soweit sie nicht selbst mit der Sache befasst sind. Nur der mit der Sache befasste Richter darf Einfluss nehmen, das allerdings auch nur, solange die Sache bei ihm anhängig ist und nur auf der Grundlage des Gesetzes, dem er von Verfassungs wegen unterworfen ist.

Es gilt richterliche Unabhängigkeit als etwas Objektives zu begreifen, das nicht zur Disposition steht. Niemand kann darüber verfügen, auch die Richter nicht. Richterliche Unabhängigkeit enthält nur in ganz geringem Umfang subjektive Elemente. Da ist einmal der ausdrücklich in Art. 97 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes festgeschriebene Schutz der hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richterinnen und Richter vor Entlassung, Amtsenthebung und Versetzung „wider ihren Willen“. Zum andern ist es vom Willen des einzelnen Richters abhängig, ob er einen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit vor das Dienstgericht bringt oder nicht.

Es gilt zu begreifen, dass richterliche Unabhängigkeit nur richterliche Tätigkeit betrifft. Nur Rechtsfindung und Präsidiumstätigkeit fallen darunter, sonst nichts. Jedes Handeln einer Richterin oder eines Richters muss sich eindeutig zuordnen lassen. Entweder es unterliegt der richterlichen Unabhängigkeit oder nicht. Ein bisschen richterliche Unabhängigkeit gibt es nicht.

IV. Richterliche Tätigkeit

Der Bundesgerichtshof hat sich wiederholt zur Abgrenzung zwischen richterlicher Tätigkeit und Verwaltungstätigkeit (Nebentätigkeit) geäußert. In dem so genannten „Rufbereitschaftsurteil“ (NJW 1987,1198,1199) heißt es u.a.:

„Der in § 42 DRiG (und inhaltsgleich in § 4 II Nr. 1 DRiG) verwendete Begriff ‘Gerichtsverwaltung’ bezeichnet ausschließlich solche Verwaltungsaufgaben, welche ein Gericht – ebenso wie jede Behörde oder Dienststelle – als Teil der Staatsorganisation zu erfüllen hat. Dazu gehören etwa Haushalts- und Personalangelegenheiten, die Dienstaufsicht über und die Fürsorge für die Beschäftigten, die Verwaltung von Dienstgebäuden, die Bearbeitung von Eingaben und Amtshilfeersuchen, die Wahrnehmung der Belange des Staates als Verwaltungsträger und Rechtsperson nach außen, aber auch die Erfüllung von Aufgaben, welche die Gerichte neben ihrem Rechtsschutzauftrag typischerweise zu erfüllen haben wie etwa die Ausbildung des juristischen Nachwuchses. Allen diesen Aufgaben, die in ihrer Gesamtheit die ‘Gerichtsverwaltung’ ausmachen, ist gemeinsam, dass sie weder in unmittelbarem noch in mittelbarem sachlichen oder organisatorischen Zusammenhang mit der Verwirklichung unmittelbaren Rechtsschutzes im Einzelfall, d.h. mit der Rechtsprechung und sonstigen Formen der individuellen Rechtspflege (z.B. der freiwilligen Gerichtsbarkeit) stehen…“

Weiter heißt es in jener Entscheidung:

„Es“ (gemeint ist das Richteramt) ìumfasst vielmehr im Grundsatz alle Aufgaben, die der Gerichtsbarkeit, welcher der Richter angehört, sachlich gestellt sind und die innerhalb dieser Gerichtsbarkeit von dem Gericht zu erfüllen sind, bei dem dem Richter ein Amt übertragen worden ist (§ 27 Abs. 1 DRiG). Jede Aufgabe, die sich in diesem Rahmen im Zusammenhang mit einem Rechtsschutzgesetz stellen kann, ist danach ihrem Wesen nach eine richterliche. Der Richter darf sie daher nicht mit der Begründung zurückweisen, sie sei nicht ’seines Amtes‘. Dem steht nicht entgegen, dass der tatsächliche Arbeitsbereich eines Richters in der Regel nur einen Teil dieser Aufgaben umfasst. Denn dies ist eine lediglich faktische Folge dessen, dass einerseits auch die Rechtspfleger befugt sind, in gesetzlich näher beschriebenem Umfang Rechtsschutz zu gewähren, und andererseits dem Richter üblicherweise Hilfskräfte zur Seite gegeben werden, die ihm eine Vielzahl von Aufgaben abnehmen, welche zwar sachlich und organisatorisch Teil der Rechtspflege in dem zuvor beschriebenen Sinne sind, sich aber arbeitstechnisch von dem Vorgang der richterlichen Entscheidungsbildung abtrennen lassen. Diese in den Gerichten herkömmlicherweise bestehende Arbeitsteilung schränkt den Umfang und den Verantwortungsbereich des Richteramts aber nicht ein, wie etwa daran deutlich wird, dass die genannten Hilfskräfte gegenüber den Verfahrensbeteiligten nur ‚auf Anordnung‘ des Richters tätig werden… „

Diese von dem Bundesgerichtshof beschriebene Grenzziehung ist zur Problemlösung sehr hilfreich. Sie kann auf die einfache Formel gebracht werden:

Alles, was mit der gerichtlichen Rechtsfindung im Einzelfall, also der Zuweisung, der Ablaufsteuerung und der Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in Zusammenhang steht, ist richterliche Tätigkeit und damit der Dienstaufsicht, jedenfalls jeglicher Einflussnahme der Dienstaufsicht und damit jeder Führung entzogen.

V. Führung

Im Mittelpunkt des Modernisierungsprozesses steht die Führung. Sie ist als das Verhalten von Vorgesetzten zu verstehen, mit dem auf das Verhalten von Mitarbeitern eingewirkt wird. Führung bedeutet Beeinflussung Untergebener.

Führung im öffentlichen Dienst dient zur Erreichung der Verwaltungsziele, heute: der Dienstleistungsunternehmensziele. Ziele sind der inhaltliche Kern von Führung.

Der KGSt-Hauptreferent und Leiter des Programmbereichs „Bürger und Verwaltung“ Dr. Rainer Heinz formuliert dies so: „Führung ohne vereinbarte Ziele oder mit situationsbezogenen Einzelheiten ist Willkür-Herrschaft“ (www.kgst.de – Vorträge).

In Anbetracht dieser Vorgaben lautet die zentrale Frage:

Darf die Regierung/Exekutive/Justizverwaltung auch Richterinnen und Richter führen?

Die Antwort auf diese Frage ergibt sich bereits aus dem vom Grundgesetz vorgegebenen besonderen Status der Richterinnen und Richter (vgl. dazu auch Verf. „Personalführung bei Richtern?“ in DRiZ 1990, 115). Sie unterliegen im Bereich der Rechtsprechung keiner Weisung; sie haben insoweit keine Vorgesetzten im Sinne des öffentlichen Dienstrechts. („Dienstvorgesetzter ist, wer für beamtenrechtliche Entscheidungen über die persönlichen Angelegenheiten der ihm nachgeordneten Beamten zuständig ist. Vorgesetzter ist, wer einem Beamten für seine dienstliche Tätigkeit Anordnungen erteilen darf.“ – § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 des Bundesbeamtengesetzes und § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 des Hessischen Beamtengesetzes.)

Allerdings unterstehen auch die Richterinnen und Richter einer Dienstaufsicht, dies jedoch nur, soweit nicht ihre Unabhängigkeit beeinträchtigt wird (§ 26 Abs. 1 DRiG).

Da Führung in einem Betrieb/einem Unternehmen/einer Behörde zwingend und unverzichtbar ein Vorgesetzten-/Untergebenenverhältnis und Verantwortung des Vorgesetzten für die Arbeitsergebnisse des Untergebenen voraussetzt, kommt eine Führung der Richterinnen und Richter in ihrem Hauptamt, der Rechtsprechung, durch die Gerichtsvorstände, die Justizverwaltung und die Regierung schon vom Ansatz her nicht in Betracht.

Dies räumt jetzt auch das Hessische Justizministerium ein. In der neuesten Fassung des Personalentwicklungskonzepts – auf Seite 11 – heißt es u.a.: „Verantwortung, Führungs- und Steuerungsbefugnis der Justizverwaltung ist im Bereich der Rechtsprechung auf die organisatorische Unterstützung der Aufgabenerfüllung der rechtsprechenden Gewalt beschränkt.“

Wir müssen aufpassen, dass sich organisatorische Unterstützungsmaßnahmen nicht in Führungsmaßnahmen verwandeln. Die Gefahr, dass dies geschieht, ist relativ groß, vor allem in den von der Justizverwaltung noch nicht näher beschriebenen Bereichen Vernetzung, Kosten- und Leistungsrechnung, Budgetierung und Controlling.

VI. Dienstaufsicht

Die Dienstaufsicht dient im allgemeinen der Kontrolle und Gewährleistung einwandfreier Dienstausübung. Wesentliche Elemente der Dienstaufsicht sind die Beobachtungsfunktion und die Berichtigungsfunktion. Der Übergang von der einen Funktion zur anderen ist fließend; denn auch die Beobachtung kann bereits berichtigende Wirkung haben.

Die Beobachtungsfunktion dient der Information der Dienstaufsicht über die gesamten Vorgänge in ihrem Verantwortungsbereich. Dort ist der Dienstaufsicht die Beobachtung zu ermöglichen. Gemeint ist der tatsächlich vom Gesetz zugewiesene Verantwortungsbereich und nicht der Bereich, in dem sich Inhaber der Dienstaufsicht ‚ aus welchen Gründen auch immer ‚ verantwortlich fühlen.

Die Beobachtungsfunktion gehört grundsätzlich auch zur Dienstaufsicht über Richterinnen und Richter. Auch sie sind verpflichtet, die Dienstaufsicht bei der Ausübung der Beobachtung zu unterstützen (BGH NJW 1991, 421).

Die Beobachtungsfunktion umfasst auch die Befugnis der Dienstaufsicht, sich zur Beobachtung technischer Einrichtungen zu bedienen. Dadurch wird die richterliche Unabhängigkeit noch nicht ohne weiteres beeinträchtigt. Eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit kommt jedoch in Betracht, ìwenn mit der Beobachtung Maßnahmen verbunden sind, die dazu bestimmt oder geeignet sind, die richterliche Rechtsfindung durch psychischen Druck oder auf andere Weise unmittelbar oder mittelbar zu beeinflussen“ (BGH NJW 1995, 731, 732 – Gesprächsdatenerfassung bei Telefonanlagen ohne Möglichkeit des Abhörens und Aufzeichnens; vgl. zur Frage der Eignung einer Maßnahme der Dienstaufsicht zur Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit auch die Entscheidung des BGH in DRiZ 1982, 190, in der es um die ministerielle Bitte an eine Gerichtspräsidentin geht, der Arbeitsweise eines bestimmten Senats „weiterhin Ihre besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden“.)

Noch strengere Maßstäbe sind anzulegen, wenn es um von vornherein unzulässige Beobachtung der Dienstaufsicht geht. Anders als im übrigen öffentlichen Dienst ist nämlich die Befugnis der Dienstaufsicht zur Beobachtung im Bereich der Rechtsprechung erheblich eingeschränkt. Die Dienstaufsicht darf sich über laufende Verfahren nur in engen Grenzen informieren. Soweit sie ein Recht zur Beobachtung, Information oder Einsichtnahme hat (z.B. bei Geschäftsprüfungen), beschränkt es sich auf offenkundige Umstände sowie auf Unterlagen, die bereits Bestandteile der Gerichtsakten sind. Aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt darf sich die Dienstaufsicht in laufenden Verfahren Kenntnis über den Inhalt von Voten, internen Vermerken (z.B. über Beratungen) sowie Beschluss- und Urteilsentwürfen verschaffen. Sie darf selbstverständlich auch keine Beratungen von Spruchkörpern durch Abhören beobachten.

Bisher ist das Eindringen der Dienstaufsicht in den beschriebenen – geschützten – Bereich richterlicher Entscheidungsfindung nicht nur verboten, sondern tatsächlich auch nur erschwert möglich. Soweit es sich um Schreibwerke (Voten, interne Beratungsvermerke, Beschluss- und Urteilsentwürfe) handelt, hat die Dienstaufsicht bisher keinen direkten Zugriff darauf. Sie kann bisher auch nicht online auf die Personal-Computer der Richterinnen und Richter sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Geschäftsstellen/Schreibdiensten zugreifen. Die Verfügungsgewalt (z.B. Dokumente zu erstellen, zu lesen, zu verändern, zu kopieren, zu verschieben, auszudrucken, endgültig zu vernichten) steht nicht nur von Rechts wegen, sondern auch tatsächlich bisher allein den beteiligten Richterinnen und Richtern zu und wird von ihnen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgeübt.

In Anbetracht der eingeschränkten Beobachtungsbefugnis versteht es sich von selbst, dass sich die Dienstaufsicht nicht technischer Einrichtungen bedienen darf, die unzulässige Beobachtung, Information und Inhaltskontrolle ermöglichen; dies gilt für Abhöranlagen und in gleicher Weise – oder sogar erst recht – für Netzwerke, die eine der Dienstaufsicht verbotene Einsicht in Dokumente zulassen.

Bei der Berichtigungsfunktion der Dienstaufsicht geht es um die Durchsetzung einwandfreier Dienstausübung in ihrem Verantwortungsbereich. Sinn und Zweck der Berichtigungsfunktion ist die Einflussnahme auf die Dienstausübung bis zur Korrektur. Berichtigungsfunktion ist (wie auch die Beobachtungsfunktion) unverzichtbarer Teil der Führungsfunktion.

Die Berichtigungsfunktion ist bei der Dienstaufsicht über Richterinnen und Richter noch viel stärker eingeschränkt als die Beobachtungsfunktion; im Bereich der Rechtsprechung ist die Berichtigung gänzlich ausgeschlossen, denn die Richterinnen und Richter sind bei der Rechtsfindung unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen (vgl. Art. 97 GG, § 25 DRiG).

Eine Berichtigung im Rechtsprechungsbereich ist nur den Instanzgerichten und den Verfassungsgerichten gestattet. Eine Berichtigung durch andere kann als elementarer Verstoß gegen die Grundlagen des Richterrechts schlechthin gewertet werden (BVerfG DRiZ 1996, 372 374 – Fall Backhaus).

Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt (z.B. BVerfGE 26, 79, 93, 94) ausgesprochen, dass die Verfassungsgarantie der richterlichen Unabhängigkeit jede vermeidbare Einflussnahme der Exekutive auf die Rechtsstellung des Richters verbietet. Als vermeidbar sind Maßnahmen anzusehen, die zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Gerichte aus ihrer Verfassung und Organisation heraus nicht nötig sind.

Danach steht es außer Frage, dass die Dienstaufsicht auch keine technischen Anlagen installieren darf, die sich zu unzulässiger Beobachtung oder gar zur Berichtigung richterlicher Tätigkeit eignen; denn bereits bei bloßer Eignung ist es nicht ausgeschlossen, dass z.B. Dokumente unzulässigerweise eingesehen und (durch die Dienstaufsicht oder andere wie z.B. Administratoren oder Systemverwalter) kopiert, abgeändert oder gar ganz weggenommen werden können.

Die Rechtsprechung muss für die Dienstaufsicht eine nur eingeschränkter Beobachtung unterliegende, berichtigungsfreie und führungsfreie Zone bleiben.

VII. Maßnahmen der Dienstaufsicht

Als Maßnahme der Dienstaufsicht kommt jede Meinungsäußerung des Inhabers der Dienstaufsicht (oder eines für ihn Handelnden) mit dienstlichem Bezug in Betracht, egal ob sie schriftlich, mündlich oder durch Gesten erfolgt. Dazu gehören Äußerungen nicht nur gegenüber den Richterinnen und Richtern, sondern auch gegenüber Dritten. Auch der Einsatz technischer Einrichtungen (z.B. von Telefonanlagen, Abhöranlagen und Netzwerken) kann eine Maßnahme der Dienstaufsicht im Sinne des Gesetzes sein.

Maßnahmen der Dienstaufsicht sind nicht nur Äußerungen in oder zu einem Einzelfall, sondern auch solche allgemeiner Art, wie Hausverfügungen, ministerielle Erlasse oder ministerielle Konzepte, wie z.B. das Personalentwicklungskonzept.

Lenkende Maßnahmen sind ebenso unzulässig wie Anregungen, Empfehlungen und Hinweise für künftiges Verhalten. Die Dienstaufsicht hat jede Maßnahme, die auf eine direkte oder indirekte Weisung, wie der Richter entscheiden oder verfahren soll, hinausläuft und auch jede psychologische Einflussnahme zu unterlassen. Sie darf selbst in dem der Dienstaufsicht zugänglichen Bereich allenfalls einen Vorhalt machen und eine allgemeine Ermahnung aussprechen (§ 26 Abs. 2 DRiG), aber – auch in Beurteilungen – weder missbilligen noch beanstanden, bemängeln, rügen oder Vorwürfe erheben. Und sie darf in die einzelne Rechtsangelegenheit unter keinen Umständen ‚ selbst bei greifbar gesetzwidrigem Verhalten ‚ nicht korrigierend (berichtigend) eingreifen.

VIII. Konsequenzen

Die Justizverwaltung darf auf die Zuweisung, Ablaufsteuerung und Entscheidung gerichtlicher Verfahren keinen Einfluss nehmen. Sie darf dort nicht führen. Wenn ihr etwas aus gutem oder schlechtem Grund nicht gefällt oder wenn sie etwas umgestalten will, muss sie sich an den Gesetzgeber wenden.

Justizverwaltung und Richtervertretungen müssen unabhängig von den gesetzlich vorgeschriebenen personalvertretungsrechtlichen Beteiligungstatbeständen immer fragen:

Liegt eine Maßnahme der Dienstaufsicht vor?

Ist die richterliche Tätigkeit betroffen?

Geht die Maßnahme über den Bereich zulässiger Beobachtung hinaus?

Eignet sich die Maßnahme zur Beeinflussung/Berichtigung richterlicher Tätigkeit?

IX. Schlussbemerkung

Obwohl kein Zweifel daran bestehen kann, dass die Gerichte keine Verwaltungsbehörden sind, werden sie auch im Modernisierungsprozess als Verwaltungsbehörden behandelt.

Es wird verkannt, dass die Arbeitsabläufe in den Gerichten, soweit sie deren Hauptaufgabe, die Rechtsprechung, betreffen, nicht behördliche Arbeitsabläufe, sondern höchstpersönliche Erkenntnisprozesse sind. Im Bereich der Rechtsprechung fehlt der Regierung, dem Justizminister und den Gerichtsvorständen jede Verantwortung für das Arbeitsergebnis, die einzelne gerichtliche Entscheidung. Sie sind für die organisatorische Unterstützung der Rechtsprechung verantwortlich. Dagegen liegen die Zuweisung, Ablaufsteuerung und Entscheidung der einzelnen gerichtlichen Verfahren allein in der Hand und Verantwortung der Richterinnen und Richter. Sie erhalten insoweit Anweisungen nur durch das Gesetz (Art. 97 Abs. 1 GG) und entscheiden allein darüber, wie sie die gesetzlichen Vorgaben im Einzelfall umsetzen. Dies erfordert auch einen umfassenden Schutz vor unzulässiger Beobachtung, Beeinflussung und Berichtigung richterlicher Tätigkeit durch die Dienstaufsicht und andere. Nur wenn die verfassungsmäßigen Vorgaben auch wirklich eingehalten werden, macht Modernisierung der Justiz Sinn und ist sehr willkommen.

 

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