Der Fürst (Il Principe)

Aus dem Text:

„…. Ein Herrscher braucht also alle die vorgenannten guten Eigenschaften nicht in Wirklichkeit zu besitzen; doch muß er sich den Anschein geben, als ob er sie besäße….Die Handlungen aller Menschen und besonders die eines Herrschers, der keinen Richter über sich hat, beurteilt man nach dem Enderfolg. Ein Herrscher braucht also nur zu siegen und seine Herrschaft zu behaupten, so werden die Mittel dazu stets für ehrenvoll angesehen und von jedem gelobt. Denn der Pöbel hält sich immer an den Schein und den Erfolg; und in der Welt gibt es nur Pöbel .…“

 

Auszug (Kurzzitat) aus:
Niccolò Macchiavelli
DER FÜRST(Il Principe)
(1532)

 

Übersetzt und herausgegeben von Rudolf Zorn, Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1978

 

Seite 22 f.

VI. KAPITEL

Von neuen Herrschaften, die man mit eigenen Waffen und durch Tüchtigkeit erobert

….jeder Neuerer hat alle die zu Feinden, die von der alten Ordnung Vorteile hatten, und er hat an denen nur laue Verteidiger, die sich von der neuen Ordnung Vorteile erhoffen. Diese Lauheit kommt zum Teil von der Furcht vor den Gegnern, die die Gesetze zu ihren Gunsten nutzen könnten, teils von dem Mißtrauen der Menschen, die wirkliches Zutrauen zu den neuen Verhältnissen nur haben, wenn sie von deren Dauerhaftigkeit durch Erfahrung überzeugt worden sind. Daher kommt es, daß die Feinde der neuen Ordnung diese bei jeder Gelegenheit mit aller Leidenschaft angreifen und die anderen sie nur schwach verteidigen….

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Seite 62 f.

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XV. KAPITEL

Weshalb die Menschen und vor allem die Herrscher gelobt und getadelt werden

Es bleibt noch zu untersuchen, wie sich ein Herrscher gegen seine Untertanen und seine Freunde zu verhalten hat. Da es mir bewußt ist, daß schon viel darüber geschrieben wurde, fürchte ich, daß man mich für anmaßend hält, wenn auch ich darüber schreibe, zumal ich gerade bei der Erörterung dieses Stoffes von der üblichen Behandlungsweise abgehe. Da es aber meine Absicht ist, etwas Brauchbares für den zu schreiben, der Interesse dafür hat, schien es mir zweckmäßiger, dem wirklichen Wesen der Dinge nachzugehen als deren Phantasiebild. Viele haben sich Vorstellungen von Freistaaten und Alleinherrschaften gemacht, von denen man in Wirklichkeit weder etwas gesehen noch gehört hat; denn zwischen dem Leben, wie es ist, und dem Leben, wie es sein sollte, ist ein so gewaltiger Unterschied, daß derjenige, der nur darauf sieht, was geschehen sollte, und nicht darauf, was in Wirklichkeit geschieht, seine Existenz viel eher ruiniert als erhält. Ein Mensch, der immer nur das Gute möchte, wird zwangsläufig zugrunde gehen inmitten von so vielen Menschen, die nicht gut sind. Daher muß sich ein Herrscher, wenn er sich behaupten will, zu der Fähigkeit erziehen, nicht allein nach moralischen Gesetzen zu handeln sowie von diesen Gebrauch oder nicht Gebrauch zu machen, je nachdem es die Notwendigkeit erfordert.

Ich lasse also alles beiseite, was über Herrscher zusammenphantasiert wurde, und spreche nur von der Wirklichkeit….

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Seiten 71 ff.

XVIII. KAPITEL

Inwieweit Herrscher ihr Wort halten sollen

Jeder sieht ein, wie lobenswert es für einen Herrscher ist, wenn er sein Wort hält und ehrlich, ohne Verschlagenheit seinen Weg geht. Trotzdem sagt uns die Erfahrung unserer Tage, daß gerade jene Herrscher Bedeutendes geleistet haben, die nur wenig von der Treue gehalten und es verstanden haben, mit Verschlagenheit die Köpfe der Menschen zu verdrehen; und schließlich haben sie über die die Oberhand gewonnen, die ihr Verhalten auf Ehrlichkeit gegründet haben.

Ihr müßt euch nämlich darüber im klaren sein, daß es zweierlei Arten der Auseinandersetzung gibt: die mit Hilfe des Rechts und die mit Gewalt. Die erstere entspricht dem Menschen, die letztere den Tieren. Da die erstere oft nicht zum Ziele führt, ist es nötig, zur zweiten zu greifen. Deshalb muß ein Herrscher gut verstehen, die Natur des Tieres und des Menschen anzunehmen. Dies haben die Schriftsteller des Altertums den Herrschern mit versteckten Worten empfohlen, indem sie berichten, daß Achill und viele andere Herrscher der Vorzeit dem Chiron zur Erziehung übergeben worden seien, der sie unter seiner Zucht halten sollte. Daß ein Herrscher ein Wesen halb Tier, halb Mensch zum Lehrer erhält, soll nichts anderes bedeuten, als daß es ein Herrscher verstehen muß, beide Naturen in sich zu vereinigen; denn die eine ohne die andere ist nicht von Bestand.

Wenn sich also ein Herrscher gut darauf verstehen muß, die Natur des Tieres anzunehmen, soll er sich den Fuchs und den Löwen wählen; denn der Löwe ist wehrlos gegen Schlingen, der Fuchs ist wehrlos gegen Wölfe. Man muß also Fuchs sein, um die Schlingen zu wittern, und Löwe, um die Wölfe zu schrecken. Wer nur Löwe sein will, versteht seine Sache schlecht. Ein kluger Machthaber kann und darf daher sein Wort nicht halten, wenn ihm dies zum Schaden gereichen würde und wenn die Gründe weggefallen sind, die ihn zu seinem Versprechen veranlaßt haben. Wären die Menschen alle gut, so wäre dieser Vorschlag nicht gut; da sie aber schlecht sind und das gegebene Wort auch nicht halten würden, hast auch du keinen Anlaß, es ihnen gegenüber zuhalten. Auch hat es einem Herrscher noch nie an rechtmäßigen Gründen gefehlt, seinen Wortbruch zu bemänteln. Man könnte hier zahllose Beispiele aus unserer Zeit anführen, wie viele Friedensschlüsse, wie viele Versprechungen infolge der Treulosigkeit der Herrscher nichtig und vergeblich geworden sind. Wer am besten Fuchs zu sein verstanden hat, ist am besten gefahren! Doch muß man sich darauf verstehen, die Fuchsnatur gut zu verbergen und Meister in der Heuchelei und Verstellung zu sein. Die Menschen sind ja so einfältig und gehorchen so leicht den Bedürfnissen des Augenblicks, daß der, der betrügen will, immer einen findet, der sich betrügen läßt.

Eines der Beispiele aus der jüngsten Zeit möchte ich nicht verschweigen: Alexander VI. tat und sann nichts anderes, als die Menschen zu hintergehen, und er fand auch immer Objekte, die sich hintergehen ließen. Es gab noch nie einen Menschen, der seine Beteuerungen wirkungsvoller vorgebracht, seine Versprechungen feierlicher beschworen und weniger gehalten hätte. Trotzdem gelangen ihm seine Betrügereien stets nach Wunsch; so gut kannte er die schwache Seite der Menschen.

Ein Herrscher braucht also alle die vorgenannten guten Eigenschaften nicht in Wirklichkeit zu besitzen; doch muß er sich den Anschein geben, als ob er sie besäße. Ja, ich wage zu behaupten, daß sie schädlich sind, wenn man sie besitzt und stets von ihnen Gebrauch macht, und daß sie nützlich sind, wenn man sich nur den Anschein gibt, sie zu besitzen. So muß ein Herrscher milde, treu, menschlich, aufrichtig und fromm scheinen und er soll es gleichzeitig auch sein; aber er muß auch die Seelenstärke besitzen, im Fall der Not alles ins Gegenteil wenden zu können. Man muß Verständnis dafür haben, daß ein Herrscher, und vor allem ein solcher in einer neu gegründeten Herrschaft, nicht alles beachten kann, wodurch die Menschen in einen guten Ruf kommen, sondern oft gezwungen ist, gegen Treue, Barmherzigkeit, Menschlichkeit und Religion zu verstoßen, eben um die Herrschaft zu behaupten. Darum muß er die Seelenstärke haben, sich nach den Winden des Glücks und dem Wechsel der Verhältnisse zu richten und, wie ich oben sagte, vom Guten so lange nicht abzugehen, als es möglich ist, aber im Notfall auch verstehen, Böses zu tun.

Ein Herrscher muß also sehr darauf bedacht sein, daß kein Wort über seine Lippen kommt, das nicht von den oben genannten fünf Eigenschaften zeugt, damit jeder, der ihn sieht oder hört, den Eindruck hat, als sei er die Milde, Treue, Redlichkeit, Menschlichkeit und Gottesfurcht in Person. Besonders notwendig ist es, den Eindruck zu erwecken, daß er gerade die letztere Tugend besäße. Die Menschen urteilen im allgemeinen mehr nach dem, was sie mit den Augen sehen, als nach dem, was sie mit den Händen greifen; denn jedem wird es einmal zuteil, etwas in Augenschein zu nehmen; aber nur wenige haben Gelegenheit, etwas zu berühren. Jeder sieht, was du scheinst, und nur wenige fühlen, was du bist. Und diese wenigen wagen nicht, sich der Meinung der großen Masse entgegenzustellen, die die Majestät des Staates, der sie schützt, auf ihrer Seite hat. Die Handlungen aller Menschen und besonders die eines Herrschers, der keinen Richter über sich hat, beurteilt man nach dem Enderfolg. Ein Herrscher braucht also nur zu siegen und seine Herrschaft zu behaupten, so werden die Mittel dazu stets für ehrenvoll angesehen und von jedem gelobt. Denn der Pöbel hält sich immer an den Schein und den Erfolg; und in der Welt gibt es nur Pöbel. Die wenigen zählen nicht gegen die Masse, wenn diese am Staat einen Rückhalt hat [wörtlich: wenn die Mehrheit eine Stütze hat]. Ein Fürst unserer Zeit, den man besser nicht nennt, führt nur die Worte „Friede und Treue“ im Munde und ist in Wirklichkeit deren größter Feind. Beide hätten ihn des öfteren Ansehen und Herrschaft gekostet, wenn er an ihnen festgehalten hätte.

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