Neue „Steuerungs“-Modelle in der Justiz (oder: vom Richter zum juristischen Sachbearbeiter?)

 

Aus dem Text:

„…. Der durch das Grundgesetz beschriebene Staat hat sich ebenso wie ein Parlament und eine Regierung auch eine unabhängige rechtsprechende Gewalt einfach zu leisten. Personen, denen wenig bis nichts an der Qualität der Rechtsprechung, aus Kostengründen aber alles an der Erledigungsgeschwindigkeit gelegen ist, haben auf dem Boden der Verfassung keinen sicheren Stand. ….“

 

Udo Hochschild

Lesefassung eines im Jahre 2000 auf der Landesmitgliederversammlung der Neuen Richtervereinigung Baden-Württemberg gehaltenen Vortrages zum Thema
Neue „Steuerungs“- Modelle in der Justiz

 

__________________________________________________________________________________________________________

 

Der Anlass für den Vortrag:

Kopie eines Schreibens des Baden-Württembergischen Justizminsteriums vom 3. März 2000:

justizm1

justizm2

Anlagen zu diesem Schreiben:

finanzm1

finanzm2

finanzm3

anljustizm1

anljustizm2

anljustizm3

anljustizm4

anljustizm5

anljustizm6

anljustizm7

 

__________________________________________________________________________________________________________

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

„Neue Steuerungsmodelle“ des baden-württembergischen Justizministeriums sind das Thema, zu dem ich referieren soll. Weitere Begriffe stehen im Raum: so das „Mitarbeitergespräch“ und der „Funktionsvorgesetzte“. Ich möchte bei dem erstgenannten Begriff verweilen. Er scheint mir der Überbegriff zu sein.

Und da hier von „Steuerung“ die Rede ist, stelle ich die Frage in den Mittelpunkt:

WER STEUERT – WEN – WESHALB – WOHIN ?

Wir haben hier vier Worte: wer, wen, weshalb und wohin.

1. Beginnen möchte ich mit dem Wort „wen“, also mit der Frage, „wer ist der Gesteuerte?“. Die Antwort scheint leicht; Adressaten der Reformbemühungen sind Gerichte und Justizbehörden.

Gerichte setzen sich personell zusammen aus Gerichtsleitern, Richtern, Beamten, Angestellten und Arbeitern. Von vornherein möchte ich den Blick lenken auf die Gruppe der Richterinnen und Richter. Dürfen sie überhaupt von irgend jemandem „gesteuert“ werden?

– Manche sagen: Sie müssen! Wie in Zeiten knapper öffentlicher Mittel alle über Steuergelder finanzierte Staatsdiener!, rufen jetzt die Haushaltsexperten, Extrawürste kann es auch für die Justiz nicht geben.

– Ich suche die Anwort auf die Frage der Zulässigkeit einer Steuerung von Richterinnen und Richtern im Grundgesetz, in der Strukturbeschreibung der Bundesrepublik Deutschland. Dort finde ich keine Befugnis einer anderen Staatsgewalt, die rechtsprechende Gewalt unter den Vorbehalt des Haushaltes der Exekutive zu stellen. Mag die Exekutive wirtschaften und misswirtschaften wie sie will. Die rechtsprechende Gewalt gehört zur Grundstruktur unseres Staates und nimmt nicht an den Risiken teil, die die Exekutive als die praktisch handelnde Staatsgewalt eingeht und eingehen muss. Das Grundgesetz garantiert den Bürgerinnen und Bürgern unabhängig von der jeweiligen Kassenlage einen nach Verfassung, Gesetz und Recht voll funktionierenden Rechtsstaat – auch und gerade in konjunkturell schlechten Zeiten. Vor allem ist das Kostenrisiko öffentlichen Handelns überwiegend in der Sphäre der vollziehenden Gewalt angesiedelt. Soweit das Handeln der Dritten Gewalt kostenrelevant ist, ist dies reine Folge der Rechtsanwendung. Einsparungsmöglichkeiten im Bereich der Geschäftsabläufe der Justiz sind hingegen marginal.

„Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen“ ist in Art. 97 Abs. 1 GG zu lesen. Es bedarf keiner Rechtskenntnisse, um den Inhalt von Art. 97 Abs. 1 GG verstehen zu können. Man braucht nur davon auszugehen, daß die erfolgreiche Kommunikation zwischen Menschen zur Voraussetzung hat, daß den gleichen Worten grundsätzlich ein gleicher Bedeutungsinhalt zukommt, um vermittels der Kunst des Lesens zu erkennen, daß es nach dem Wortlaut des Grundgesetzes allein der Gesetzgeber ist, der Richterinnen und Richtern vorschreiben darf, was und wie sie zu arbeiten haben.

Der durch das Grundgesetz beschriebene Staat hat sich ebenso wie ein Parlament und eine Regierung auch eine unabhängige Rechtsprechende Gewalt einfach zu leisten. Personen, denen wenig bis nichts an der Qualität der Rechtsprechung, aus Kostengründen aber alles an der Erledigungsgeschwindigkeit gelegen ist, haben auf dem Boden der Verfassung keinen sicheren Stand.

Organe der dritten Staatsgewalt sind die Richterinnen und Richter selbst (Art. 92 GG). Ihnen und niemandem sonst hat das Grundgesetz die „rechtsprechende Gewalt“ „anvertraut“. Ich betone: es heißt da nicht: die „Rechtsprechung“ anvertraut, den Richterinnen und Richtern anvertraut ist mehr, nämlich die rechtsprechende „Gewalt“. Richter sprechen Recht in originärem Verfassungsauftrage. Hierbei sind sie unabhängig. Unabhängig auch – vielleicht vor allem – von den Einflussnahmen einer anderen Staatsgewalt. Damit ein Postulat einer Verfassung nicht wirkungslos in der Luft hängen bleibt, bedarf es allerdings seiner konkreten Umsetzung in einfaches Recht und schließlich in das praktische Handeln. Eine strukturelle Umsetzung des Postulates des Art. 92 GG ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht oder nur höchst unzureichend erfolgt. Richterinnen und Richter sind von den sie verwaltenden Ministerien und damit von einer fremden Staatsgewalt abhängig.

„Praxisorientierte Macher“ denken allerdings nicht so wie ich. Nach vielfach zu vernehmender Meinung entscheidet sich die Frage der Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern nach dem persönlichen Mut des Einzelnen. Mit der Frage nach einer von den anderen Staatsgewalten unabhängigen Judikative hat ein solcher Verweis auf „Mannesmut“ (bzw. dessen weibliche Entsprechung) aber nichts zu tun. Ein Rechtsstaat unterscheidet sich von einer Diktatur nicht durch den Mut der einzelnen Richterin, des einzelnen Richters, sondern durch ein Regelwerk, das deren unabhängige Entscheidungen institutionell absichert. Die in einer Verfassung vorgegebene Unabhängigkeit soll gerade das richterliche Wirken in einem schöpferischen Erkenntnisprozess sichern und von Fremdeinflüssen abschirmen. – Wer dies leugnet, muss schlechterdings jeden Unrechtsstaat unter die Rechtsstaaten einordnen, weil es zu allen Zeiten und in jeder Staatsform nicht nur zu Anpassung an das im jeweils eigenen Leben schon vorgefundene Justizsystem disponierte, sondern daneben auch eigenständige und mutige Richter gab.

2. Nachdem ich einige Worte verloren habe über die Richterinnen und Richter als die Objekte einer „neuen Steuerung“, möchte ich mich der Frage „weshalb“ zuwenden.

Hierbei orientiere ich mich an dem Bericht von der XII. Mitwirkungskonferenz vom 14. bis 16.01.2000 der Neuen Richtervereinigung, vor deren baden-württembergischem Landesverband ich heute sprechen darf, und an dem Erfahrungsbericht einer Gruppe von Richterinnen und Richtern des Verwaltungsgerichts Hamburg (im Internet aufzurufen unter www.richterverein.de).

Mit dem Neuen Steuerungsmodell will man wirkungsorientiert steuern, d.h. man will nicht mehr die Tätigkeit, sondern den Erfolg der Verwaltung finanzieren. Ich betone das Wort „Verwaltung“, denn für diese wurde der Begriff „Neues Steuerungsmodell“ erfunden. Die Ausrichtung auf den „Output“ macht das „Produkt“ zum Zentralbegriff des Systems. Das Produkt ist die beim Bürger ankommende Verwaltungsleistung, also die Außenwirkung des Verwaltungshandelns. Dieses Produkt ist der Anknüpfungspunkt für die Steuerung. Ist das Produkt definiert, werden ihm alle im Verlauf des Produktionsprozesses anfallenden Kosten zugeordnet. Dies geschieht durch die Kosten- und Leistungsrechnung. Auf ihrer Grundlage wird eine Produkt-Kostenpauschale bestimmt. Diese Produkt-Kostenpauschale multipliziert man mit der Zahl der jährlich gewünschten oder erwarteten Produkte und erhält so das jährliche Budget, das grundsätzlich alle Kosten der Behörde abzudecken hat. Die Zahl der gewünschten und erwarteten Produkte ist Gegenstand einer Vereinbarung zwischen der geldzuweisenden und der produzierenden Einheit (Leistungsvereinbarung). In der Leistungsvereinbarung wird der Soll-Wert für die Anzahl der gewünschten und erwarteten Produkte festgelegt. Innerhalb der vollziehenden Gewalt ist ein solches als Zusammenwirken getarntes Einwirken der geldzuweisenden auf die produzierende Einheit denkbar, vielleicht im Einzelfall auch sinnvoll.

Ich will mich nicht mit subjektiven Befindlichkeiten aufhalten, vor allem nicht mit einem Hinweis auf die Gänsehaut, die mich bei staatlicherseits aufgebauten Begriffen wie „Leistungsvereinbarung“ und „Soll-Wert“ überkommt, sondern gleich auf das „Mitarbeitergespräch“ zusteuern, das ja zu der „Leistungsvereinbarung“ führen soll und die Fragwürdigkeit des „Neuen Steuerungsmodells“ in der Dritten Gewalt eindrucksvoll zeigt.

In seinem Papier „Das Mitarbeitergespräch in der Justiz – Konzept des Justizministeriums“ führt das Justizministerium Baden-Württemberg einleitend aus:

„Das Mitarbeitergespräch unterscheidet sich grundlegend von anderen, anlassbezogenen Gesprächstypen, wie den Einstellungs-, Beurteilungs-, Anerkennungs- oder Kritikgesprächen. Führungskräfte und Mitarbeiter sollen sich regelmäßig in jährlichem Abstand die Zeit für ein Gespräch nehmen. Im Rückblick werden die Zusammenarbeit im vergangenen Jahr gewürdigt und die Arbeitsergebnisse erörtert. Außerdem werden eventuell aufgetretene Probleme diskutiert (Beratung). Für das folgende Jahr sollen Arbeitsziele abgesprochen werden (Zielvereinbarung). Im Mitarbeitergespräch können die Wünsche und Anregungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter thematisiert, aber auch ihre berufliche Weiterentwicklung besprochen werden (Förderung).

Das Mitarbeitergespräch ist zentrales Instrument eines neuen kooperativen Führungsstils.“
Unter der Rubrik „Zuordnung der Gesprächspartner“ weist das Justizministerium Baden-Württemberg darauf hin, dass es sich am Konzept des sogenannten Funktionsvorgesetzten (ein an dem Gesetzgeber, erst recht an dem Verfassungsgeber vorbei neu erfundener Begriff) orientiere. Als „absolute Obergrenze“ könne man etwa 20 Gespräche im Jahr ansehen. Aufgrund der hohen „Leistungsspanne“ in der Justiz komme der Dienstvorgesetzte als Gesprächspartner daher häufig „von vornherein nicht in Betracht“:

„Gesprächspartner soll möglichst der Vorgesetzte sein, mit dem der Mitarbeiter unmittelbar zusammenarbeitet. Die Gesprächssituation muss dort gesucht werden, wo sich später auch die erhofften Optimierungseffekte einstellen sollen…….Der Abschluss einer Zielvereinbarung ist nicht obligatorisch, sollte aber angestrebt werden.. Ihre schriftliche Fixierung hat lediglich den Sinn, im nächsten Jahr als Gedächtnisstütze zu dienen. Daher empfiehlt sich eine schriftliche Niederlegung der Gesprächsergebnisse auch dann, wenn keine Zielvereinbarung getroffen wurde“.
Als „funktions-vorgesetzter“ Gesprächspartner von Beisitzern in Spruchkörpern ist der Vorsitzende Richter vorgesehen. Die gleiche Funktion soll der Direktor des Amtsgerichts gegenüber den Amtsrichtern ausüben.

Als ein im Jahre 1944 Geborener und in einer in Blöcke getrennten Welt Aufgewachsener fühle ich wieder meine Gänsehaut. Was geschieht hier eigentlich? – Plansoll, Planerfüllungsversprechen für Richterinnen und Richter in einem Rechtsstaat? Einführung einer neuen Hierarchieebene („Funktionsvorgesetzter“) an Gerichten durch die Exekutive und am Gesetzgeber vorbei? Abhängigkeiten von Richterinnen und Richtern in einer Grauzone, die sich rechtsklarer Fassbarkeit entzieht und damit dem Verfassungsgrundsatz der Rechtssicherheit zuwiderläuft?

Ich habe große Bedenken gegenüber den sogenannten „Mitarbeitergesprächen“. Den „sogenannten“, weil schon der Begriff „Mitarbeitergespräch“ in sich geeignet ist, ein Stück Realität zu verschleiern. Es gibt nämlich keine institutionalisierten „Mitarbeitergespräche“ unter Gleichrangigen. Die Kassiererinnen bei Tengelmann führen untereinander keine Mitarbeitergespräche. Was sich hinter diesem beschönigenden und deshalb unwahren Begriff verbirgt, ist ein Gespräch zwischen einem Vorgesetzten und einem Untergebenen, setzt stillschweigend ein Über- Unterordnungsverhältnis voraus. Das Grundgesetz, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, die des Bundesverwaltungsgerichtes und die des Bundesgerichtshofes unterstellt hingegen eine Gleichrangigkeit aller Richterämter.

So halte ich das Mitarbeitergespräch für geeignet, Verfassung und einfaches Recht faktisch zu unterlaufen.

3. Ich komme zu der nächsten der eingangs gestellten Fragen: Wer steuert ?

Die Antwort ist ebenso einfach wie entlarvend. Es ist eine andere Staatsgewalt, die steuert. „Ja ist das denn schlimm“?, höre ich fragen, „man“ muss doch schließlich nur dafür sorgen, dass die richtigen Leute in die richtigen Positionen kommen, und alles läuft optimal !

Die Meinung, um zu idealen Verhältnissen zu gelangen, müsse man nur dafür sorgen, dass „die Besten“ in Führungspositionen gelangten, ist ebenso verbreitet wie alt. Ich meine allerdings, die gesamte Weltgeschichte hat diese Vorstellung so gut wie nie bestätigt. Man benenne mir die Zeit, den Staat, frei von menschlicher Selbstberschätzung, Arroganz, Überheblichkeit, Geldgier, Karrieresucht, Blindheit und Streben nach Macht über Andere.

Als ein Skeptiker, der nicht daran glaubt, dass irgendeinem Menschen allein dadurch, dass ihm ein Amt verliehen, dass ihm eine Ernennungsurkunde überreicht wird, die allen menschlichen Wesen eigenen Schwächen schlagartig abhanden gebracht werden, habe ich eine ganz andere Weltsicht. Sie spiegelt sich wider in den Worten des Philosophen Karl Popper, der im Jahre 1960 unter dem Titel „Erkenntnis ohne Autorität“ ausgeführt hat:

Wer soll herrschen? Diese Frage verlangt nach einer autoritären Antwort: etwa >die Besten< oder >die Weisesten< oder >das Volk< oder >die Mehrheit<

Man sollte eine ganz andere Fragestellung an ihre Stelle setzen, etwa: Was können wir tun, um unsere politischen Institutionen so zu gestalten, daß schlechte oder untüchtige Herrscher (die wir natürlich zu vermeiden suchen, aber trotzdem nur allzu leicht bekommen können) möglichst geringen Schaden anrichten ?
Was steht hinter diesen Worten? – Europäische Geistesgeschichte, abendländische Zivilisation, westeuropäische Rechtskultur:

Darüber, wie ein Staat idealerweise aufgebaut sein sollte, haben sich Denker seit Jahrtausenden den Kopf zerbrochen. Schon bei Plato ist nachzulesen, wie der Idealstaat auszusehen habe. Ich möchte aber nicht mit einem Gang durch die Geschichte langweilen und schon deshalb Altertum und Mittelalter überspringen. Während man nämlich im Mittelalter vor der Erörterung staatstheoretischer Probleme erst einmal in der Bibel nachlas, wie die Welt eigentlich funktioniert und wer der Mensch ist, begann man sich in der Neuzeit an der Realität zu orientieren. Man fing an, auf den Menschen zu schauen, um ein Menschenbild zu gewinnen. Und nach diesem Menschenbild richtete man seine Vorstellungen von den Notwendigkeiten staatlicher Ordnung aus.

Der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes hatte ein ganz negatives Menschenbild. Er formulierte im Jahre 1651 (aus Wesel, Geschichte des Rechts, Verlag C.H. Beck 1997):

„Man muß von Anfang an davon ausgehen, daß alle Menschen ein gemeinsames Ziel haben, sie wollen Macht und immer mehr Macht, ständig und ununterbrochen, und das endet erst mit dem Tod…..Wo Menschen zusammenkommen und kein Staat existiert, der sie in Schach hält, dort gibt es kein Vergnügen, sondern nur Ärger……Solange es keinen Staat gibt, leben die Menschen im Zustande des Krieges aller gegen alle…“

Hobbes befürwortete nicht die freie Entfaltung des Rechtes des Stärkeren. Ganz im Gegenteil. Er versuchte, das sich aus der negativen Natur des Menschen ergebende Dilemma mit Hilfe eines starken Staates zu lösen. Er schlug vor, daß die Menschen ihre Wolfsnatur auf einen Oberwolf übertragen, der ihnen Ordnung und Frieden garantiert. Dessen absoluter Wille sei dann Gesetz. Nur die Durchsetzung dieses Willens könne den Frieden garantieren.

Eine Generation später sah der Engländer John Locke die Menschen etwas positiver. Er setzt auf eine gemäßigte Monarchie und auf Menschenrechte. Warum, so fragt er, sollen sich die Menschen einem „Oberwolf“ unterwerfen? Wenn schon Unterwerfung, dann doch allenfalls so weit, wie sie unbedingt notwendig ist, um Recht und Ordnung zu garantieren. Also übertragen die Menschen dem Staat nicht das Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum, sondern sie behalten diese Rechte als vorstaatliche Menschenrechte. Auch sonst ist der Monarch kein absoluter Souverän. Das Volk behält die Gesetzgebung, für die ein Parlament gewählt wird, und das nicht nur neben dem König steht, sondern sogar die höchste Gewalt ist im Staate.

Schon bei Locke finden wir das Modell eines gewaltengeteilten Staates, wenn auch noch nicht im modernen Sinne: Wir haben es nicht mehr mit einem Monarchen (König, Tyrann) zu tun, dessen Wille zugleich Gesetz ist, die Gesetze werden vielmehr von einem von dem König, also der ausführenden Gewalt, unabhängigen Gremium, dem Parlament beschlossen. Und diese Gesetze bilden die Spielregeln für die ganze Gesellschaft, sie stehen über allen, ihnen ist auch der König unterworfen. Ich betone das Wort „unterworfen“, weil ich den Eindruck habe, daß das demokratische Bewußtsein mancher Exekutivorgane der Gegenwart, gemessen an dem von John Locke erreichten zivilisatorischen Niveau, eher eine Entgleisung in „modernes“ Kostendenken darstellt

Hier kommen wir zu dem Franzosen Montesquieu, der die klassische Lehre von der Gewaltenteilung vollendet hat. In seinem Werk „Vom Geist der Gesetze“ schreibt er im Jahre 1748 (Esprit des lois XI):

„Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mann oder dieselbe Körperschaft der Fürsten, des Adels oder des Volkes diese drei Gewalten ausübte: Gesetze zu erlassen, sie in die Tat umzusetzen und über Verbrechen und private Streitigkeiten zu richten“.

Vor uns haben wir nunmehr einen Staat, dessen Macht auf drei Gewalten verteilt ist, auf die gesetzgebende Gewalt (erste Gewalt = Legislative), auf die ausführende Gewalt (zweite Gewalt = Exekutive) und auf die rechtsprechende Gewalt (dritte Gewalt = Judikative). Damit dieses Gefüge der Machtverteilung ausbalanciert bleibt und nicht doch wieder eine der Gewalten über die anderen die Oberhand gewinnt und eine Tyrannis entsteht, fordert Montesquieu, daß die drei Gewalten auf drei voneinander unabhängige Machtträger verteilt werden müssen.

Was leistet eigentlich die Gewaltenteilung? Was ist ihr „Produkt“?

Im gewaltengeteilten Staat sind alle dem Gesetz unterworfen. Dies gilt für den Arbeiter in exakt dem gleichen Maße wie für den Regierungschef. Wird das Gesetz verletzt, so verfolgt die unabhängige Justiz jeden Täter, sei er Arbeiter oder Ministerpräsident. So ist es der unabhängigen italienischen Justiz möglich, unbehindert durch eine andere Staatsgewalt strafbarer Handlungen verdächtige Politiker, auch einen Ministerpräsidenten, wegen Gesetzesverstößen zu verfolgen. Die ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Andreotti, Berlusconi und Craxi waren einer Strafverfolgung ausgesetzt. Daß das Gesetz in den USA für den Präsidenten in gleicher Weise gilt wie für den geringsten Bürger, kann an den Beispielen Nixon und Clinton verdeutlicht werden. Im Gegensatz dazu soll es auf dieser Welt aber auch Staaten geben, in denen es nicht gerade als ungewöhnlich gilt, daß der Justizminister „seine“ Staatsanwaltschaft anweist, ein lästiges Strafverfahren einfach einzustellen oder erst gar nicht zu eröffnen. Letzteres dürfte für die meisten Staaten der Welt die Normalität sein. Es fragt sich nur, ob solche Staaten uneingeschränkt als „Rechtsstaaten“ zu bezeichnen sind.

Das Wesen der Gewaltenteilungslehre, ihr ganzer Sinn besteht also gerade darin, dass die unterschiedlichen Funktionen auch voneinander verschiedenen Machtträgern anvertraut ist. In Deutschland hat man die Gewaltenteilung im Grundgesetz verankert. In einfaches Recht, in Justizstrukturen umgesetzt hat man sie bestenfalls sehr unvollkommen. Wie auch vor Inkrafttreten des Grundgesetzes obliegt die Verwaltung der dritten Gewalt nicht einem eigenständigen, von der Exekutive selbständigen und dieser ebenbürtigen Organ, sondern wird die dritte Gewalt wie ein Ressort der Landesregierung unter anderen Ressorts behandelt.

Nun komme keiner und sage, die Weisungsunabhängigkeit im Einzelfall sei das Wesen der Gewaltenteilung. Weisungsunabhängig im Einzelfall ist jeder Feuerwehrhauptmann im Einsatz, jeder öffentlich angestellte Arzt bei der Diagnose wie bei der Wahl der Therapie. Die Weisungsunabhängigkeit im Einzelfall ist vielen Beamtenpositionen eigen und hat mit der Lehre von der Gewaltenteilung nicht das Mindeste zu tun. Nur wegen der Weisungsunabhängigkeit im Einzelfall hätte der Verfassungsgeber die Rechtsprechende Gewalt weder in Art. 20 Abs. 2, noch in den Art. 92 und 97 GG hervorgehoben und explizit der gesetzgebenden und der ausführenden Gewalt gegenüber gestellt.

Vielleicht ist es mir gelungen, aufzuzeigen, dass die Forderung des Grundgesetzes nach einer unabhängigen dritten Staatsgewalt bis zum heutigen Tage in der deutschen Rechtswirklichkeit nicht hinreichend umgesetzt ist.

Wir sind noch bei der Frage: Wer steuert Richterinnen und Richter ?

Es ist die Exekutive, die steuert. Hieran ändert sich auch dadurch nichts, dass die Exekutive die Mechanismen der Steuerung weitgehend in die Judikative hinein verlagert und Angehörige der dritten Gewalt (Dienstvorgesetzte, Funktionsvorgesetzte) handeln lässt. Vielleicht ist gerade derjenige gefangen, der sich frei fühlt, weil er die Fäden, an denen er hängt und mit denen er gesteuert wird, nicht (mehr) wahrnimmt. Wer sind denn eigentlich die Gesprächspartner bei den sogenannten „Mitarbeitergesprächen“. Spricht wirklich der „Funktionsvorgesetzte“ mit dem Beisitzer oder spricht in Wirklichkeit die geldzuweisende Exekutive mit Organen der Dritten Gewalt?

Für mich steht die Frage im Zentrum: Dürfen Richterinnen und Richter überhaupt gesteuert werden? Ich möchte mich an dieser Stelle nicht wiederholen. Der Wortlaut des Grundgesetzes ist schon zitiert. Den des Art. 20 Abs. 3 kann ich hinzufügen. Dort geschrieben:

„Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden“.

Hieraus schließe ich, dass die Gesetzgebende Gewalt nur an die Verfassung und nicht etwa an die Verfassung und an die Vorstellungen der Vollziehenden Gewalt gebunden ist. Ebenso schließe ich hieraus, dass die Organe der Rechtsprechung nur an Recht und Gesetz und nicht an Recht und Gesetz nach Maßgabe der vollziehenden Gewalt gebunden ist. Die Zeiten einer Unterwerfung von Richterinnen und Richtern unter das Wollen der Exekutive hat der Wortlaut des Grundgesetzes hinter sich gelassen. Inwieweit der Wille des Grundgesetzes die Alltagswirklichkeit der Organe der dritten Gewalt prägt, hängt aber davon ab, in welchem Maße Richterinnen und Richter bereit sind, sich einer anderen Staatsgewalt – der Exekutive – zu unterwerfen, die über ihre Karrieren bestimmt.

Dass die Lehre von der Gewaltenteilung, für mich eine der kulturellen Höchstleistungen der Menschheitsgeschichte, die rechtsprechende Gewalt gerade nicht der wohlwollenden Fürsorge einer anderen Staatsgewalt – der Exekutive – anvertraut, dass ihre Kernaussage gerade darin besteht, dass alle drei Staatsgewalten von drei voneinander unabhängigen Machtträgern ausgeübt werden sollen, ist abendländisches – leider bis heute nicht deutsches – Allgemeingut.

In seinem Aufsatz „Benchmarking in der Justiz – Aufbruch zu neuen Ufern oder bedenkliche Entwicklung?“ (Neue Juristische Wochenschrift 1999 Seite 3096) findet der saarländische Finanzrichter Peter Bilsdorfer Worte, die ich nur wiederholen kann:

„Gegen eine Modernisierung der Justiz hat niemand etwas. Aber: Begriffe wie „outputorientierte Pruduktivität“ oder „Produktionssteigerung“ haben hier nichts zu suchen. Iustitia sollte in diesem Fall schnell ihre Binde abnehmen und erkennen, wer ihr am Zeug flicken will. Niemand anderes als die Zweite Gewalt ist es……“

4. So bleibt die Frage: Wohin wird die Rechtsprechende Gewalt Deutschlands von einer anderen Staatsgewalt gesteuert?

Das Wort „wohin“ bezeichnet Ausgangspunkt und Zielpunkt: wer irgendwo hin geht, der geht auch irgendwo weg. Der Ausgangspunkt ist real, das Ziel soll erst noch erreicht werden.

Zunächst zu dem Ziel, das erreicht werden soll. Das für die Kommunalverwaltung entwickelte „Neue Steuerungsmodell“ hat den optimalen Output eines Produktes zum Ziel. In einer Leistungsvereinbarung wird der Soll-Wert für die Anzahl der gewünschten und erwarteten Produkte festgelegt. Die Behörde verdient sich dann ihr Budget durch die Herstellung der entsprechenden Anzahl von Produkten (Ist-Wert). Dies alles wird durch das Berichtswesen und durch die Datenerhebung überwacht (Controlling – 1. Stufe). Bei Abweichungen des Ist-Wertes vom Soll-Wert kommt es zu einem Steuerungseingriff (Controlling – 2. Stufe). Die Folgen dieses Steuerungseingriffes auf das Produkt werden wiederum überwacht (Controlling – 3. Stufe) usw., usw. (Regelkreislauf des Controlling). Ansporn und Anregung sollen aus dem Leistungsvergleich (Plansollübererfüllung) mehrerer produzierender Einheiten untereinander gewonnen werden, dem sogenannten Benchmarking.

Wie lässt sich ein solches Modell für den Bereich der Rechtsprechung umsetzen? Hier scheint es zwei Hemmnisse zu geben: Den Anspruch der Bürger auf Entscheidungen unabhängiger Richter und die Frage, wie das „Produkt“ richterlicher Arbeit zu definieren ist.

Das „Produkt“ ist im kommunalen Bereich die beim Bürger ankommende Verwaltungsleistung. Ist aber das Produkt die für den Bürger im Einzelfall erbrachte Leistung der Verwaltung, dann ist die Anzahl der im Jahreszeitraum erbrachten Produkte wiederum ein Produkt ganz anderer Art, das mir der ursprünglichen – inhaltlichen – Produktdefinition nichts mehr zu tun hat. Durch das Controlling wird nur die Produktzahl erfasst, das Benchmarking vergleicht die Anzahl der geschaffenen Produkte. Die Qualität der für den Bürger im Einzelfall erbrachten Verwaltungsleistung und damit der Kern der ursprünglichen Produktdefinition, spielt auf der Überwachungsebene plötzlich keine Rolle mehr. Mit Hilfe eines sprachlichen Verwirrspieles, das zwei gänzlich verschiedene Dinge – die bei dem Bürger ankommende Verwaltungsleistung einerseits und die Anzahl dieser Verwaltungsleistungen andererseits – mit ein und demselben Begriff „Produkt“ bezeichnet, wird verschleiert, dass das „Neue Steuerungsmodell“ nur die Zahl, die Erfüllung eines Plansolls, kontrollieren will und kann. So halte ich das „Neue Steuerungsmodell“ schon auf der reinen Verwaltungsebene für eine unehrliche, ausschließlich auf Stelleneinsparung abzielende Maßnahme; unehrlich deshalb, weil diese Absicht nicht offen ausgesprochen wird.

Auf den Bereich der Rechtsprechung übertragen ist das „Produkt“ die bei den Rechtsuchenden ankommende richterliche Leistung. Hierzu ein Blick auf die Rechtslage:

In Art. 103 Abs. 1 steht geschrieben: „Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör“. Was sagt uns das anderes, als dass wir aufgerufen sind, den rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürgern zuzuhören, auf sie zuzugehen, nachzufragen. Das kostet freilich Zeit und kann komplizierte Weiterungen des Prozesses nach sich ziehen. Nichts anderes fordert von uns § 139 ZPO, in dem zu lesen ist:

„Der Vorsitzende hat dahin zu wirken, daß die Parteien über alle erheblichen Tatsachen sich vollständig erklären und sachdienliche Anträge stellen, insbesondere auch ungenügende Angaben der geltend gemachten Tatsachen ergänzen und die Beweismittel bezeichnen. Er hat zu diesem Zwecke, soweit erforderlich, das Sach- und Streitverhältnis mit den Parteien nach der tatsächlichen und der rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen.“
Das kostet Zeit. Diese Zeit zu haben, ist das natürliche Anliegen einer unabhängigen Justiz. Sie ihr zu geben, entspricht aber nicht den Interessen eines nur in Zahlen denkenden Finanzministers, ebensowenig denen seines Kollegen Justizminister, der mit dem Finanzminister, nicht aber mit den Richterinnen und Richtern das politische Schicksal teilt.

Von richterlichen Aufgaben wie der Schaffung von Rechtsfrieden, der Verwirklichung materieller Gerechtigkeit im Einzelfall und der Förderung des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürgern in den Rechtsstaat, möchte ich nicht im einzelnen sprechen. Sie gehören zum Zentrum des durch das Grundgesetz beschriebenen Staates. Ob Richterinnen, ob Richter ihrer Aufgabe gerecht werden, zeigt sich in ihrer Sorgfalt im Einzelfall, nicht in der abstrakten Anzahl erledigter Verfahren.

Der Wortlaut des Grundgesetzes ist für mich der Orientierungs- und Ausgangspunkt der aufgeworfenen Frage nach dem „Wohin“ der „Neuen Steuerung“. Soweit die Rechtsprechende Gewalt gesteuert werden soll, bemühen sich die „Neuen Steuerungsmodelle“ nicht einmal mehr, die Vorgaben des Grundgesetzes wahrzunehmen. Die Rechtsprechende Gewalt wird behandelt wie ein Teil der Staatsverwaltung – der Exekutive – , als der einem Regierungsmitglied (Justizminister) „nachgeordnete Bereich“.

Überträgt denn das Grundgesetz den Justizministern mehr als nur die Zuständigkeit für eine Verwaltung der Dritten Staatsgewalt? Legt es ihnen nicht die Pflicht auf, die eigenständige Rechtsprechende Gewalt so zu behandeln und auszustatten, dass sie ihren Verfassungsauftrag in der vom Grundgesetz vorgeschriebenen, nur ihr besonderen Art optimal erfüllen kann? Ist eine Behandlung von Amtsgerichten, von Verwaltungsgerichten wie untere Verwaltungsbehörden verfassungskonform?

Weshalb sich Richterinnen und Richter von vornherein auf inhaltliche Diskussionen über die Art ihrer Steuerung durch eine andere Staatsgewalt einlassen und nicht stattdessen zuerst prüfen, ob eine solche Einflussnahme überhaupt verfassungsrechtlich zulässig ist, wäre eine eigene Untersuchung wert. Erlauben Sie mir, diese Frage auf die Spitze zu treiben, indem ich ein Bild male, eine Karikatur in Worten:

Stellen Sie sich vor: Eine Gruppe von Gefängnisbesuchern wird mit Gefangenen verwechselt und versehentlich eingesperrt. Und jetzt sitzt sie hinter Gittern und fordert nicht vehement ihre Freiheit, sondern sie stellt resigniert fest, dass sie nun einmal gefangen ist und lässt sich artig auf Diskussionen mit der Gefängnisleitung ein über die effiziente Gestaltung ihres Haftalltages.
Dass das „Neue Steuerungsmodell“ in die richterliche Unabhängigkeit eingreift, liegt auf der Hand. Um auf Menschen einzuwirken, zumal auf solche, die in einer Hierarchie unten stehen und nach oben streben, bedarf es keiner förmlichen Anweisung. Die Zielvorgabe und das Einholen eines abzugebenden Versprechens (Zielvereinbarung) reichen aus, um den Versprechenden von dem Versprechensempfänger abhängig zu machen. Die subtile Abhängigkeit des Karriereorientierten wird gerade dadurch verstärkt, dass er sich an die unter vier Augen abgegebene Zusage in besonderem Maße gebunden fühlt. Auch ist dem Versprechenden bewusst, dass er sein Gegenüber nicht enttäuschen darf, da dieser Einfluss auf die dienstliche Beurteilung hat. Ob eine „Führung“ nach dem Motto: „Du versprichst mir jetzt in die Hand, dass Du im nächsten Jahr fleißig sein Deine Aufgaben machen wirst, und zwar so, wie ich mir das vorstelle, und wenn Du mich nicht enttäuschst, bekommst Du vielleicht eine Belohnung“ geeignet ist, zu einer Infantilisierung des öffentlichen Dienstes beizutragen, möchte ich hier unerörtert lassen. Da Richterinnen und Richtern nicht mit der Übergabe ihrer Ernennungsurkunden allgemeine menschliche Schwächen abhanden gebracht werden, gehe ich jedenfalls davon aus, dass auch sie schon durch die Tatsache von „Mitarbeitergesprächen“ in Abhängigkeiten geraten können. Auch das baden-württembergische Justizministerium geht wohl von einer Beeinflussbarkeit von Richterinnen und Richtern aus. Andernfalls würde es die „Mitarbeitergespräche“ nicht initiieren und ich hätte mir dieses Referat ersparen können.

Lassen Sie mich zum Abschluss Paulus van Husen zitieren. Er hat im Jahre 1952 in seinem Aufsatz „Die Entfesselung der Dritten Gewalt“ Aussagen gemacht, die es nicht gerade leicht fallen lassen, die nachfolgenden Jahrzehnte als eine Zeit rechtsstaatlichen Fortschrittes im Justizbereich der Bundesrepublik Deutschland zu klassifizieren:

„Ein ganz böses Kapitel ist die sogenannte Dienstaufsicht der Exekutive, die tausend Hände hat, um den Richter abhängig zu machen und die Rechtsprechung zu beeinflussen……..Ich nenne ferner das Wort „Pensenzahlen“, mit denen die Exekutive den Richter entwürdigt. Ein Plansoll, das genau wie in Moskau, dem Richter unbekannt, von einigen Amtsräten der Zentralstelle aufgestellt und gehütet wird, dient hier zur Unterlage für dienstaufsichtsmäßige Beurteilung, für die Beförderung und die Stellenbewilligung. Seit achtzig Jahren wird für den Handarbeiter der Satz propagiert: „Akkordlohn ist Mordlohn“. Die geistige Arbeit des Richters wird aber widerspruchslos von der Exekutive nach Zahl, Pfund und Elle gemessen……“
Ich habe eingangs die Frage gestellt: „WER STEUERT – WEN – WESHALB – WOHIN ?“

Die Antworten sind komplex. Sie münden in meine These, die an den Schluss dieses Referates stellen will:

Rechtsprechung ist geistig schöpferische Tätigkeit. Richterinnen und Richter müssen die Freiheit zu eigenverantwortlichem Arbeiten haben. Eigenverantwortlich wird rechtsprechende Tätigkeit dann ausgeübt, wenn sich Richterinnen und Richter – gemäß dem Wortlaut ihrer Diensteide – ausschließlich den Bürgerinnen und Bürgern und dem Gesetz verantwortlich fühlen – wie Ärzte ausschließlich dem hippokratischen Eid verpflichtet sind. Ein sich jährlich wiederholendes Versprechen von Ärzten, ihr berufliches Tun an der Auslastung der Klinikbetten zu orientieren, eine jährliche Zielvereinbarung von Richtern mit ihren „Vorgesetzten“ über die zu erledigende Anzahl von Fällen ist dem notwendigen Ethos beider Berufsgruppen fremd.

Udo Hochschild

Zum Anfang dieser Seite