Staat und Gesellschaft in Deutschland

Aus dem Text:

„…. Gewiß ist das System der Gewaltenteilung in seinen verschiedenen Formen stark abgenutzt,…..vor allem dadurch, daß Regierung, Parlament und Bürokratie die Lücken ausgenutzt und durch Umgehungshandlungen vielfach entstellt haben ….

…. Dadurch, daß sie [die Regierung], wenn auch innerhalb gesetzlicher Schranken, über das Personal verfügt, das die Staatsapparatur bedient, hat sie ein sehr wirkungsvolles Führungsmittel in der Hand. Sie kann belohnen und die Belohnung versagen. Wer befördert, befiehlt! ….“

 

Prof. Dr. Theodor Eschenburg (Universität Tübingen)

 

Auszug (Kurzzitat) aus: „Staat und Gesellschaft in Deutschland“, 5. Auflage Verlag Curt E. Schwab Stuttgart

 

[Seite 233…..] Das gewaltenunterscheidende System ist sehr empfindlich und kann leicht durch Einzelpersonen oder Gruppen um seine Wirkung gebracht werden. Von denen, die es bedienen, muß daher ein hohes Maß an Disziplin verlangt werden. Man kann nicht alle Unvereinbarkeiten gesetzlich regeln, um so mehr kommt es darauf an, diszipliniert diese Unvereinbarkeiten zu respektieren, wachsam auf deren Einhaltung zu achten.

Wie die Vergangenheit gezeigt hat, gibt es verschiedene Formen der Gewaltenunterscheidung, und es mögen neue Formen gefunden werden, die sich von den bisherigen wesentlich unterscheiden. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist an keine Dogmen und an keine Richtung gebunden. „Sie ist keine Glaubenssache, wie das Königtum oder die Republik eine Glaubenssache sein mag. Sie ist kein Selbstzweck, sondern sie ist ein Mittel, ein sinnreiches Mittel der Staatsgestaltung und der Staatskunst (26).“ Während viele Staatstheorien die Weisheit und Gerechtigkeit des Herrschers oder die Einsicht und Disziplin des Volkes als gegeben voraussetzen, geht dieses Prinzip von der „ewigen Erfahrung aus, daß jeder, der Macht hat, ihrem Mißbrauch geneigt ist: er geht so weit, bis er auf die Schranken stößt“ (27). – „Macht hat die Tendenz, zu verderben. Absolute Macht verdirbt absolut (28).“

Gewiß ist das System der Gewaltenteilung in seinen verschiedenen Formen stark abgenutzt, nicht nur durch die gesellschaftlichen Veränderungen, durch die immer intensivere gesellschaftliche Gegenseitigkeitsabhängigkeit (Interdependenz), sondern vor allem dadurch, daß Regierung, Parlament und Bürokratie die Lücken ausgenutzt und durch Umgehungshandlungen vielfach entstellt haben. Trotzdem bleibt es die große Schutzeinrichtung der Regierten; sie sollten sich dieses Vorzuges bewußt sein und dieses Instrument solange nicht aus der Hand geben, bis ihnen ein besseres in die Hand gegeben worden ist. Alle noch so lockenden Versprechungen und Leistungen im Augenblick vermögen nicht den Verlust dieses Prinzipes aufzuwiegen. Auch eine nur vorübergehend beabsichtigte Aufhebung kann zur dauernden Beseitigung führen.[…..]

[Seite 246…..] Gesetzmäßigkeit der staatlichen Herrschaft, Gewaltentrennung und Menschenrechte verbinden sich zu einem einheitlichen Ganzen und sind die Grundlage des Rechtsstaates. Wo eine staatliche Ordnung auf diesen Grundlagen beruht, besteht ein Rechtsstaat. Rechtsstaat und Demokratie dürfen jedoch nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden. Auch die konstitutionelle Monarchie war ein Rechtsstaat. Es gibt aber keine Demokratie ohne Rechtsstaatlichkeit. Denn Gesetzmäßigkeit ist der erste Schutz gegen Willkür. Durch den allgemeinen Charakter des Gesetzes werden der Gesetzgeber, seine Familie und seine Freunde dem Gesetz ebenso unterworfen wie alle anderen, werden seine Gegner ebenso geschützt wie er selbst. Der allgemeine Charakter des Gesetzes soll also den Gesetzgeber zur Behutsamkeit und zur Gerechtigkeit zwingen. […..] Aus der Allgemeinheit der Gesetze folgt die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Aus der Gesetzmäßigkeit der Herrschaft folgt weiterhin daß das Gesetz der entsprechenden Herrschaftsausübung vorangegangen sein muß. Wenn der Staat nur gesetzmäßig handeln darf, so setzt sein Handeln das Gesetz voraus; er kann also nicht mit rückwirkender Kraft ein Gesetz erlassen, um sein Handeln nachträglich zu rechtfertigen.[…..]

Um aber die Allgemeinheit des Gesetzes und die Gleichheit vor dem Gesetz zu sichern, darf der Gesetzgeber nicht selber Herrscher sein. Sonst könnte er sich der Allgemeinheit der Regeln entziehen und ihr damit ihre gerechtigkeits- und freiheitsschützende Wirkung nehmen. Die Entscheidung über die Regel einerseits und ihre Anwendung im Einzelfall auf Grund eines Gesetzes andererseits muß in verschiedenen Händen liegen. Ebenso ergibt sich aus der Allgemeinheit des Gesetzes die Selbständigkeit der Rechtsprechung. Wenn das Gesetz eine abstrakte Regel bestimmten Inhalts ist, kann der Gesetzgeber es nicht selber auf konkrete Tatbestände anwenden. Die Herrschaft der Gesetze läßt die Verbindung von Gesetzesvollzug und Rechtsprechung nicht zu, denn diese Vereinigung würde es der Exekutive ermöglichen, sich von dem Gesetz zu lösen, es nicht zu beachten. So ergibt sich aus der Gesetzmäßigkeit der Herrschaft und der Allgemeinheit des Gesetzes die Gewaltentrennung.[…..]

[Seite 661…..] Dadurch, daß sie [die Regierung], wenn auch innerhalb gesetzlicher Schranken, über das Personal verfügt, das die Staatsapparatur bedient, hat sie ein sehr wirkungsvolles Führungsmittel in der Hand. Sie kann belohnen und die Belohnung versagen. Wer befördert, befiehlt! …..

(26) Otto Küster, Das Gewaltenproblem im modernen Staat, in “ Archiv des öffentlichen Rechts“, 75. Bd., S. 398.
(27) Montesquieu, a. a. O., Bd. I, S. 213 (Buch XI, Kap. IV).
(28) Lord Acton, englischer Historiker, 1834 – 1902.

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