Gewaltenteilung in Italien

Gewaltenteilung in Italien

Aus dem Text:

„…. Es muß garantiert werden, daß Versetzungen, Beförderungen und Ernennungen nicht dazu benutzt werden können, das Bewußtsein des Richters zu beeinflussen, insbesondere nicht dazu, ein unerwünschtes Verhalten zu bestrafen oder Entscheidungen im Sinne der Regierung zu belohnen. Die einzige Möglichkeit, dieses zu garantieren, besteht darin, die Entscheidungen über Einstellung, Beförderung und Versetzung in die Hand eines von der Regierung unabhängigen Organs zu legen …..“

 

Dr. Marco Pivetti
Staatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft beim Kassationsgericht in Rom

Gewaltenteilung in Italien

 

 

Richterliche Unabhängigkeit

In allen Verfassungen wird die Unabhängigkeit der Richter bekräftigt. Tatsächlich aber wird in fast allen Regelungen das Funktionieren der Justiz stark von der Politik kontrolliert. In den angelsächsischen Regelungen werden die Richter gewählt oder von der Regierung oder dem Parlament ernannt. So hängt ihre Ernennung von den politischen Mehrheiten ab. In den kontinentaleuropäischen Systemen wachsen die Richter in einer pyramidenförmigen hierarchischen Struktur in ihr Richteramt hinein. Durch diese Struktur wird die Justiz verwaltet und werden die Karrieren der Richter mit einem ganzen System von Belohnungen und Einschüchterungen, die das Karrieresystem bietet, gesteuert.

Ein anderer Faktor, die Funktion der Justiz zu neutralisieren, ist die Abhängigkeit der Staatsanwaltschaft von der Exekutive. Die Unabhängigkeit des Richters nützt wenig, wenn die Regierung die Kontrolle darüber hat, was vor Gericht gebracht wird. Damit entscheidet sie über die Kontrollmöglichkeiten der Gerichte.

Die Unabhängigkeit des Richters dient dazu, den einzelnen Bürger vor dem Mißbrauch der repressiven Gewalt des Staates zu schützen. Sie allein genügt aber nicht, um die Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns und die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz zu gewährleisten. Ohne eine solche richterliche Kontrolle staatlichen Handelns kann man aber nicht von einem Rechtsstaat sprechen.

Die Selbstverwaltung der italienischen Justiz

Durch die Selbstverwaltung der Justiz wird deren Unabhängigkeit gewährleistet, die eine historische Errungenschaft ist. Im 18. Jahrhundert wurde in England die Ernennung der Richter auf Lebenszeit eingeführt. Dieses Prinzip der Ernennung auf Lebenszeit wurde auch in der amerikanischen Verfassung verankert. Alexander Hamilton sagt in seinem 1787 erschienenen Buch über den Föderalismus, in der Monarchie sei die Ernennung der Richter auf Lebenszeit ein Schutzwall gegen den Despotismus. Im republikanischen Staat bedeute sie einen Schutzwall gegen Machtmißbrauch und Willkür der gewählten Volksvertretung. Schon vor 200 Jahren wurde die Notwendigkeit erkannt, die Unabhängigkeit des Richters auch gegenüber dem Parlament und den anderen demokratischen Institutionen zu gewährleisten. In den kontinentalen Systemen reicht es nicht aus, sicherzustellen, daß der Richter nicht aus seinem Amt vertrieben werden kann. Die Garantie muß auch die Versetzungen, Beförderungen und alles, was die Richterlaufbahn betrifft, umfassen. Es muß garantiert werden, daß Versetzungen, Beförderungen und Ernennungen nicht dazu benutzt werden können, das Bewußtsein des Richters zu beeinflussen, insbesondere nicht dazu, ein unerwünschtes Verhalten zu bestrafen oder Entscheidungen im Sinne der Regierung zu belohnen. Die einzige Möglichkeit, dieses zu garantieren, besteht darin, die Entscheidungen über Einstellung, Beförderung und Versetzung in die Hand eines von der Regierung unabhängigen Organs zu legen.

In Italien entschied man sich in der Verfassung von 1947 in einem typisch italienischen Kompromiß, die Richterschaft nicht zu säubern, aber der Justiz eine radikale Wende zu verordnen, indem die völlige Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive gewährleistet wurde. Die drei grundlegenden Elemente waren die Institution der Selbstverwaltung durch den Consiglio Superiore della Magistratura (den Obersten Rat der Gerichtsbarkeit), die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft und das Legalitätsprinzip im Strafverfahren.

Der Consiglio Superiore della Magistratura ist in Italien im Jahre 1907 entstanden. Er unterschied sich aber sehr von dem heutigen. Er bestand nur aus Richtern des Kassationsgerichts, die nur von Mitgliedern dieses Gerichts gewählt wurden, und hatte gegenüber dem Justizminister nur eine beratende Funktion.

Im Faschismus wurde die Wahl der Mitglieder abgeschafft. In der Gesetzesbegründung hieß es ausdrücklich, die sogenannte Selbstverwaltung sei mit dem faschistischen Staatsverständnis unvereinbar. Die italienische Richtervereinigung war die erste Vereinigung, die vom faschistischen Regime aufgelöst wurde.

Die Verfassung von 1947 wollte mit der faschistischen Tradition endgültig brechen. Deshalb wurde ein Konzept der Richterschaft entworfen, das eine Synthese aus den drei in der verfassunggebenden Versammlung vertretenen politischen Kulturen Italiens darstellt – der liberalen, der christlichen und der marxistischen. Grundlage des verfassungsrechtlichen Konzepts war die Unabhängigkeit der Richter von allen anderen Staatsgewalten. In Artikel 104 der Verfassung wurde deshalb geregelt, daß die Richterschaft eine selbständige und von jeder anderen Gewalt unabhängige Institution bildet.

Der Consiglio Superiore della Magistratura besteht aus dem Präsidenten der Republik, der den Vorsitz führt, dem Präsidenten des Kassationsgerichts, dem Generalstaatsanwalt beim Kassationsgericht, 20 von den Richtern gewählten und 10 vom Parlament gewählten Mitgliedern. Die Mitglieder werden auf 4 Jahre gewählt und können nicht wieder gewählt werden. Für diese sind sie Zeit von ihren richterlichen Aufgaben freigestellt. Jedes Mitglied gehört einer, zwei oder dreien der 12 Kommissionen an, in denen die Arbeit erfolgt.

Die Entscheidungen des CSM werden mit einfacher Mehrheit getroffen. Beschlußfähig ist er aber nur, wenn mindestens 2/3 der politisch gewählten und 2/3 der richterlichen Mitglieder anwesend sind. Hieraus können kritische Situationen entstehen: 4 politisch gewählte Mitglieder können durch ihren Auszug eine Abstimmung blockieren.

Er hat neben den Mitgliedern 19 Richter als Mitarbeiter, außerdem 5 weitere Richter als wissenschaftliche Mitarbeiter.

Der CSM ist für sämtliche Entscheidungen zuständig, die den Status des Richters betreffen: Die Einstellung der Richter, ihre Einweisung in Richterstellen, ihre Versetzung und Beförderung sowie die Disziplinaraufsicht.

„Sine spe ac metu“

Es ist normal, daß die Richter sich vor allem für ihre Karriere interessieren. Die Karriere ist auch das wirksamste Instrument, um sie zu konditionieren. In einem nicht autoritären System ist es schwierig, einen Richter aus dem Dienst zu entfernen, der von seiner Unabhängigkeit Gebrauch gemacht hat und unbequem geworden ist. Sehr viel einfacher, eleganter und auch wirksamer ist es, dem unabhängigen Richter die Karriere zu erschweren. Es ist auch einfach, den bequemen und angepaßten Richter zu belohnen. So sind die Richter nur bis zu einem bestimmten Punkt unabhängig. Man braucht ihnen keine Anweisungen zu geben. Es reicht aus, wenn sie innerlich unterwürfig werden oder bleiben. Sie sind selbst daran interessiert, den Anschein der Unabhängigkeit zu wahren.

Weil Maßnahmen, die den Status der Richter betreffen, deren Freiheit und Unabhängigkeit bei ihrer richterlichen Tätigkeit beeinflussen können, hat die Verfassung sich dafür entschieden, diese Maßnahmen dem Einfluß der Regierung zu entziehen und einem Organ zu übertragen, das die Autonomie der Richterschaft verwirklicht.

Die Übertragung der Entscheidungsgewalt auf den Consiglio ist nicht irgendeine Entscheidung; sie hängt mit dem Interesse der Bürger und ihrem Anspruch auf eine unabhängige Rechtsprechung zusammen. Die Übertragung der Entscheidungsgewalt auf den Consiglio ist notwendig, aber noch nicht ausreichend. um die Unabhängigkeit zu garantieren. Die Unabhängigkeit des Richters muß nicht nur gegenüber äußeren Einflüssen von politischen und wirtschaftlichen Kräften geschützt, sondern auch innerhalb der Richterschaft selbst gewahrt werden. Die Unabhängigkeit muß auch und gerade gegenüber dem Consiglio selbst gewährleistet werden. Für den Bürger reicht es nicht aus; daß die Richterschaft als solche unabhängig ist; ihn interessiert die Unabhängigkeit seines konkret zuständigen Richters. Artikel 101 der italienischen Verfassung besagt- ähnlich wie in Deutschland – daß die Richter nur dem Gesetz unterworfen sind. Das „nur“ bedeutet einen doppelten Befehl, nämlich daß sie dem Gesetz gehorchen und sich allen anderen Einflüssen widersetzen müssen.

Deshalb hat der Consiglio für das Verfahren bei Ernennungen, Beförderungen und Versetzungen Regeln erlassen, um willkürliche, diskriminierende oder bevorzugende Entscheidungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Die Gefahr gänzlich auszuschließen, ist unmöglich.

Für das Verhalten der Richter in Italien sind diese Entscheidungen aber von untergeordneter Bedeutung, weil die Karriere der Richter unter ökonomischen Gesichtspunkten automatisch verläuft. Sie verläuft gemäß dem Dienstalter, einem vertrauten Kriterium, unabhängig von der ausgeübten Funktion.

Man kann aber sagen, daß ein italienischer Richter heute nach seinem eigenen Gewissen entscheiden kann, ohne Furcht vor Nachteilen und ohne Hoffnung auf Vorteile für seine Karriere. Wir sagen, ein Richter müsse „sine spe ac metu“ sein, ohne Furcht und Hoffnung. Um heute in Italien Richter zu sein, muß man kein Held sein.

Die Richterlaufbahn

In Italien gibt es derzeit 9.140 Richter und Staatsanwälte (zuzügl. 3000 ehrenamtlich tätige Friedensrichter und andere ehrenamtliche Richter). Die Zahl der Richter wird vom Parlament festgesetzt.

Der Zugang zur Justiz erfolgt auf der Grundlage von Auswahlprüfungen oder Wettbewerben (concorsi).

Danach rücken die Richter nach Dienstalter und positiver Beurteilung von einer Stufe zur anderen auf.

Die erste Stufe in der Laufbahn ist die des Uditore ohne Funktion (senza funzione), die in etwa dem deutschen Referendariat vergleichbar ist und 20 Monate dauert. Es folgt die des Uditore mit Funktion (con funzione), der Einsatz als Richter in ähnlicher Weise wie bei den deutschen Assessoren an erstinstanzlichen Gerichten. Nach einer Dienstzeit von einem bis 2 Jahren tritt an die Stelle der Bezeichnung „Uditore“ die Bezeichnung „Giudice“, und zwar durch die Ernennung zum Giudice di Tribunale, der in erster Instanz als Richter oder Staatsanwalt tätig ist und auch als Leiter eines kleinen Gerichts in Betracht kommt. Nach weiteren 10 Jahren werden die Richter zum Magistrato di Appello, also zum Richter am Appellationsgericht. In dieser Stufe können sie auch Staatsanwalt beim Appellationsgericht sein oder ein Gericht oder eine Staatsanwaltschaft mittlerer Größe leiten. Bis zur Stufe des Magistrato di Cassazione, also des Richters am Kassationsgericht, vergehen weitere 7 Jahre. Jetzt kommen als weitere Funktionen die eines Staatsanwalts beim Kassationsgericht und die eines Präsidenten eines großen Gerichts oder des Leiters einer großen Staatsanwaltschaft in Betracht.

Die letzte Stufe wird nach weiteren 5 Jahren mit der „Eignung für hohe Leitungsfunktionen“ erreicht, das sind die Funktionen der Präsidenten der Appellationsgerichte und Leiter der Staatsanwaltschaften am Appellationsgericht, der Senatsvorsitzenden am Kassationsgericht und seines Präsidenten.

Kein Richter ist gezwungen, eine Funktion auszuüben, die der nach Dienstalter erreichten Karrierestufe entspricht. Ein Magistrato di Cassazione kann auch als Amtsrichter tätig sein.

Der Vorteil dieses Systems ist, daß die Richter sich aufgerufen fühlen, die Aufgaben zu übernehmen, für die sie am besten geeignet sind, und hierbei keine finanziellen Nachteile in Kauf nehmen müssen. So haben z.B. die Staatsanwälte in Mailand, die die Bestechungsverfahren gegen Berlusconi und in Sachen „Tangentopoli“ geführt haben, bereits den Status von Richtern am Kassationsgericht, sie haben aber weiter ihre Arbeit in der Staatsanwaltschaft gemacht.

Ein Nachteil ist allerdings, daß Unfähige – die es auch gibt – nur sehr schwer aus dem Amt entfernt werden können. Etwa 4 bis 5 Richter werden jährlich aus dem Amt entfernt, etwa die gleiche Zahl scheidet freiwillig aus; es müßten aber wohl mehr sein.

Das Verfahren der Stellenbesetzung

Nehmen wir an, ein Richter in Kalabrien wollte an ein Gericht in Rom versetzt werden. Er wäre nicht der einzige Interessent für diese Stelle. Für derartige Versetzungen kommt es im Wesentlichen auf das Dienstalter an. Es gibt aber auch Stellen ‚ wie z.B. Arbeits- oder Jugendrichter -, für die neben dem Dienstalter auch die Spezialisierung zählt. Für die Stellen eines Richters am Kassationsgericht oder bei der nationalen Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft oder für die mit Verwaltungsaufgaben verbundenen Funktionen wie denen eines Gerichtspräsidenten oder Leiters einer Staatsanwaltschaft ist das Dienstalter ebenfalls zu berücksichtigen. Es wird aber im Vergleich zur fachlichen Qualifikation weniger stark gewichtet. Derzeit wird die Bedeutung des Dienstalters vielleicht noch zu stark betont.

Es gibt eine Tendenz, dieses Kriterium zurückzudrängen; das ist aber schwierig, weil die Bewertung der fachlichen Qualifikation schwierig ist. Die Bewertung erfolgt auf der Grundlage von Beurteilungen, die von den Consigli Giudiziari erstellt werden. Das sind regionale Gremien bei den Appellationsgerichten, wörtlich übersetzt: Richterräte. Sie bestehen aus dem Präsidenten des Appellationsgerichts, dem Generalstaatsanwalt beim Appellationsgericht und 5 Richtern, die von den Richtern des Gerichtsbezirks gewählt werden. In den Beurteilungen durch die Consigli giudiziari werden auch die von den Gerichtspräsidenten erstellten Berichte verwertet. Dieses System funktioniert im Zentrum Italiens ziemlich gut, an der Peripherie deutlich schlechter. Ein Teil der Richterschaft fordert deshalb seit langem, daß etwas eingeführt wird wie in Deutschland das Präsidium. Das wäre eine korrekte Ergänzung des Systems der Selbstverwaltung.

Im Consiglio Superiore della Magistratura werden die meisten Entscheidungen ohne Diskussion getroffen. Wenn hingegen bei der Bewertung auch das Ermessen eine Rolle spielt, kann es ausgiebige und oft sehr harte Diskussionen geben.

Der Consiglio hat nicht nur das Verfahren geregelt, sondern er hat auch festgelegt, auf welche Weise die Befähigung eines Richters zu ermitteln ist. Für die Ernennung der Gerichtspräsidenten z.B. gibt es einen Runderlaß mit 30 bis 40 Paragraphen, in dem festgelegt ist, welche Feststellungen getroffen werden müssen und welche Fähigkeiten zu fordern und wie sie zu bestätigen sind. Das können aber keine spezifischen, analytischen, präzisen und konkreten Regelungen sein

Die Beurteilung bleibt immer stark subjektiv. Da die Erörterungen des Consiglio öffentlich sind und die Entscheidungen schriftlich begründet werden, erfährt der Consiglio Superiore della Magistratura oft heftige Kritik von den Richtern.

Die Beurteilungen durch die Consigli giudiziari sind zu 90 % positiv, allenfalls mit Differenzierungen. Daß die anderen 10 % nicht positiv gemeint sind, ist oft nur für Experten erkennbar. Wichtiger sind die Beurteilungen im Hinblick auf die gehobenen Positionen. Hier werden alle bisherigen Erkenntnisse zusammengetragen. Für die Berufung ans Kassationsgericht können veröffentlichte wissenschaftliche Aufsätze sowie veröffentlichte Urteile oder Urteilsbesprechungen von Bedeutung sein. Auch das Ansehen, das ein Richter in seiner Umgebung genießt, kann eine Rolle spielen. Bösartige Zungen behaupten, es kommen auf die Anzahl der Freunde an, die jemand beim Kassationsgericht hat. Wer für die Antimafia-Staatsanwaltschaft in Betracht kommt, wird einer mikroskopisch gründlichen Untersuchung unterzogen.

Weitere Aufgaben des Consiglio Superiere della Magistratura

Neben der Personalpolitik hat der Consiglio Superiore della Magistratura weitere Aufgaben.

Er erarbeitet Stellungnahmen und Gutachten zu Gesetzesvorhaben, soweit Angelegenheiten der Justiz betroffen sind.

Richter wenden sich mit Fragen zur Rechtsanwendung und zum Richteramtsrecht an den CSM und nehmen dadurch an der Selbstverwaltung der Justiz teil

Wenn Richter in der Öffentlichkeit angegriffen werden, kann der CSM sie öffentlich verteidigen.

Der CSM gibt auch Verhaltensregeln für verschiedenen Bereiche der richterlichen Tätigkeit. Die Regierung wäre hierzu nicht befugt. Von außerhalb der Richterschaft könnten solche Regelungen nur durch Gesetze, also durch das Parlament, getroffen werden. Der CSM übt auch die Disziplinargewalt über die Richter aus. Eine vollkommene Kontrolle gibt es aber nicht. Der CSM ist das Disziplinargericht, das nicht von sich aus, sondern nur auf Antrag tätig werden kann. Ein Antragsrecht zur Einleitung von Disziplinarverfahren haben nur der Justizminister und der Generalstaatsanwalt.

Von einiger Bedeutung ist die Befugnis des Consiglio Superiore della Magistratura, Richter zu versetzen. Das kann im Interesse der Rechtspflege geschehen, ohne daß ein Verschulden des Richters vorliegen müßte. Es reicht aus, daß die Glaubwürdigkeit der Justiz in Frage gestellt ist. So etwas kann beispielsweise passieren, wenn sich herausstellt, daß ein persönlicher Bekannter eines Richters Kontakte zur Mafia hat.

Die Mitglieder des CSM werden zur Zeit von allen 4 italienischen Richterorganisationen gestellt, die ihrerseits alle der italienischen nationalen Richtervereinigung angehören, der Associazione Nazionale Magistrati. Es gibt mehr Verbindendes als Trennendes unter den italienischen Richtern.

Demokratische Legitimation

Der Consiglio Superiore della Magistratura besteht mehrheitlich aus Richtern. Dies wird unter zwei Aspekten kritisiert, nämlich einerseits im Hinblick auf mutmaßlichen Korpsgeist, zum andern im Hinblick auf die Frage der demokratischen Legitimation. Der CSM wird verdächtigt, er könnte versucht sein, solche Richter zu kooptieren, die der Mehrheit des CSM genehm sind. Grundsätzlich ist eine solche Gefahr nicht zu leugnen. Sie könnte aber auch bei jeder anderen Zusammensetzung bestehen. Jedenfalls läßt sich nicht feststellen, daß Politiker in ihrem Entscheidungsverhalten korrekter wären als Richter.

Das Verständnis der richterlichen Mitglieder des CSM für ihre Kollegen ist kein Nachteil, vielmehr ermöglicht es eine weit effizientere Kontrolle, als der Justizminister sie leisten könnte. Das kommt daher, daß die Richter die Kultur der Justiz von innen kennen. Sie wissen, daß die Unabhängigkeit ständig verteidigt werden muß, sie ist starken Angriffen ausgesetzt. Die Richter und Staatsanwälte haben in den letzten Jahren fast gegen die ganze politische Klasse bis hin zum Ministerpräsident Berlusconi ermittelt, Anklage erhoben und sie auch verurteilt. Das wäre ohne eine vollständige Garantie der Unabhängigkeit nicht möglich gewesen. So kann es nicht verwundern, daß die politische Klasse versucht, die Unabhängigkeit einzuschränken. Im vorigen Jahr gab es einen Versuch, die Verfassung zu ändern, und zwar vor allem hinsichtlich der Justiz. Das erklärte Ziel war es einerseits, Möglichkeiten der Einflußnahme von außen auf die Richterschaft zu eröffnen und andererseits die Richterschaft von den Staatsanwälten zu trennen.

Das oft gebrauchte Hauptargument ist der Hinweis auf den angeblichen Mangel der demokratische Legitimation der Richter. Ich halte dieses Argument nicht für richtig. In der Demokratie müssen nicht alle öffentlichen Funktionen auf die Volksvertretung zurückgeführt werden. Auch die Rolle der Vokssouveränität ist in der repräsentativen Demokratie begrenzt. Die Politik läßt sich nicht auf den bloßen Mehrheitswillen reduzieren. In allen Verfassungen kommt der Richter vor. Er ist entweder unabhängig oder kein Richter. Unabhängig kann er nur sein, wenn er unparteiisch ist.

In der Vergangenheit wurde die Unparteilichkeit aus den verschiedenen Funktionen des Richters hergeleitet, vom Orakel über das Priestertum bis hin zur göttlichen Legitimation der richterlichen Macht des Königs. Seit der französischen Revolution wird die Verbindung zwischen der richterlichen Entscheidung und dem Willen des Volkes hergestellt, weil der Volkswille das Gegengewicht gegen die Macht des Monarchen war.

Demokratie wäre nicht möglich ohne den Schutz der Minderheiten gegenüber den Mehrheiten, der Schwachen gegenüber den Starken und der Einzelnen gegen die Vielen, der Abweichler gegenüber den Konformisten, der Feinde gegenüber den Freunden. Ein System ist nicht demokratisch, wenn es keinen Schutz der Bürger gegen den Mißbrauch der Macht vorsieht, und sei sie auch demokratisch gewählt. Der Richter und die Rechtspflege muß diese Garantenstellung wahrnehmen. Das betrifft auch die Strafverfolgung. Deshalb muß auch die Staatsanwaltschaft unabhängig sein. Unabhängigkeit ist eine der beiden Legitimationsgrundlagen der richterlichen Tätigkeit. Die andere liegt in dem fairen Verfahren, das zur Entscheidung führt.

Ein wichtiges Element der demokratischen Legitimation ist schließlich die Pluralität in der Richterschaft. Die öffentliche Diskussion schafft die Grundlage für korrekte Entscheidungen. Die Sitzungen des CSM sind öffentlich. Selbst wo die Tendenz bestehen mag, die eigenen Leute zu bevorzugen, wäre eine offene Diskriminierung von Minderheiten doch ein Skandal. Giancarlo Caselli, der Generalstaatsanwalt in Palermo, ist Mitglied der Magistratura Democratica. Er wurde von einem CSM mit konservativer Mehrheit in sein Amt berufen.

Durch Pluralismus und demokratische Strukturen hat sich in Italien eine autonome Justizkultur unabhängig von Parteipolitik und äußeren Einflüssen entwickelt.

Übersetzung: Christoph Strecker (aus Betrifft Justiz 1999 Seite 134 ff)

 

Zum Anfang dieser Seite

Zur Startseite