Vom Geist der Gesetze

Aus dem Text:

„…. Eine ewige Erfahrung lehrt jedoch, daß jeder Mensch, der Macht hat, dazu getrieben wird, sie zu mißbrauchen. Er geht immer weiter, bis er an Grenzen stößt. Wer hätte das gedacht: Sogar die Tugend hat Grenzen nötig. ….“

 

Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de

Montesqieu

Vom Geist der Gesetze

(1748)

 

[Auszug (Kurzzitat) aus der Ausgabe von Philipp Reclam jun. GmbH & Co. , Stuttgart 1965]

11. Buch 4. Kapitel

Demokratie und Aristokratie sind nicht freie Staaten auf Grund ihrer Natur. Die politische Freiheit ist nur unter maßvollen Regierungen anzutreffen. Indes besteht sie selbst in maßvollen Staaten nicht immer, sondern nur dann, wenn man die Macht nicht mißbraucht. Eine ewige Erfahrung lehrt jedoch, daß jeder Mensch, der Macht hat, dazu getrieben wird, sie zu mißbrauchen. Er geht immer weiter, bis er an Grenzen stößt. Wer hätte das gedacht: Sogar die Tugend hat Grenzen nötig.

Damit die Macht nicht mißbraucht werden kann, ist es nötig, durch die Anordnung der Dinge zu bewirken, daß die Macht die Macht bremse. Ein Staat kann so aufgebaut werden, daß niemand gezwungen ist, etwas zu tun, wozu er nach dem Gesetz nicht verpflichtet ist, und niemand gezwungen ist, etwas zu unterlassen, was das Gesetz gestattet.

11. Buch 6. Kapitel: Über die Verfassung Englands

Es gibt in jedem Staat drei Arten von Vollmacht: die legislative Befugnis, die exekutive Befugnis in Sachen, die vom Völkerrecht abhängen, und die exekutive Befugnis in Sachen, die vom Zivilrecht abhängen.

Auf Grund der ersteren schafft der Herrscher oder Magistrat Gesetze auf Zeit oder für die Dauer, ändert geltende Gesetze oder schafft sie ab. Auf Grund der zweiten stiftet er Frieden oder Krieg, sendet oder empfängt Botschaften, stellt die Sicherheit her, sorgt gegen Einfälle vor. Auf Grund der dritten bestraft er Verbrechen oder sitzt zu Gericht über die Streitfälle der Einzelpersonen. Diese letztere soll richterliche Befugnis heißen, und die andere schlechtweg exekutive Befugnis des Staates.

Politische Freiheit für jeden Bürger ist jene geistige Beruhigung, die aus der Überzeugung hervorgeht, die jedermann von seiner Sicherheit hat. Damit man diese Freiheit genieße, muß die Regierung so beschaffen sein, daß kein Bürger einen andern zu fürchten braucht.

Sobald in ein und derselben Person oder derselben Beamtenschaft die legislative Befugnis mit der exekutiven verbunden ist, gibt es keine Freiheit. Es wäre nämlich zu befürchten, daß derselbe Monarch oder derselbe Senat tyrannische Gesetze erließe und dann tyrannisch durchführte.

Freiheit gibt es auch nicht, wenn die richterliche Befugnis nicht von der legislativen und von der exekutiven Befugnis geschieden wird. Die Macht über Leben und Freiheit der Bürger würde unumschränkt sein, wenn jene mit der legislativen Befugnis gekoppelt wäre, denn der Richter wäre Gesetzgeber. Der Richter hätte die Zwangsgewalt eines Unterdrückers, wenn jene mit der exekutiven Gewalt gekoppelt wäre.

Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mann beziehungsweise die gleiche Körperschaft entweder der Mächtigsten oder der Adligen oder des Volkes folgende drei Machtvollkommenheiten ausübte: Gesetze erlassen, öffentliche Beschlüsse in die Tat umsetzen, Verbrechen und private Streitfälle aburteilen.

In den meisten Königreichen Europas ist die Regierung maßvoll, da der Herrscher sich die zwei ersteren Befugnisse vorbehält und die Ausübung der dritten durch seine Untertanen zuläßt. Bei den Türken kommen diese drei Machtvollkommenheiten bei dem Oberhaupt, dem Sultan, zusammen, und ein grauenvoller Despotismus regiert.

In den Republiken Italiens werden diese drei Machtvollkommenheiten vereint. Daher ist dort weniger Freiheit zu finden als in unseren Monarchien. Deswegen hat die Regierung genau solche Gewaltmittel zu ihrer Erhaltung nötig wie die türkische. Das bezeugen die Staatsinquisitoren sowie jene Büchse, in die jederzeit jeder Denunziant auf einem Zettel seine Anschuldigung einwerfen kann.

Man betrachte die Situation eines Bürgers in diesen Republiken. Die gleiche Beamtenschaft hat als Ausführer der Gesetze alle die Befugnisse, die sie sich als Gesetzgeber selber verliehen hat. Sie vermag den Staat durch ihren Gemeinwillen [volontés générales] zu verheeren. Da sie auch noch die richterliche Gewalt innehat, vermag sie jeden Bürger durch ihre Sonderbeschlüsse zugrunde zu richten.

Alle Befugnisse bilden hier eine einzige. Obwohl hier keine äußere Pracht einen despotischen Herrscher verrät bekommt man ihn auf Schritt und Tritt zu spüren.

Daher haben alle Herrscher, die sich zu Despoten machen wollten, stets mit einer Vereinigung aller Ämter in ihrer Hand den Anfang gemacht; desgleichen mehrere europäische Könige mit der Vereinigung aller höchsten Stellen ihres Staats…..

Richterliche Befugnis darf nicht einem unabsetzbaren Senat verliehen werden, vielmehr muß sie von Personen ausgeübt werden, die nach einer vom Gesetz vorgeschriebenen Weise zu gewissen Zeiten im Jahr aus dem Volkskörper ausgesucht werden. Sie sollen ein Tribunal bilden, das nur so lange besteht, wie die Notwendigkeit es verlangt.

In dieser Form wird die Gerichtsbefugnis, so gefürchtet sie unter den Menschen ist, sozusagen unsichtbar und nichtig, da sie weder mit einem bestimmten Stand noch einem bestimmten Beruf verbunden ist. Man hat nicht dauernd Richter vor der Nase. Gefürchtet ist das Amt, nicht die Beamten.

Bei schweren Anklagen ist es sogar nötig, daß sich der Verbrecher, gemeinsam mit dem Gesetz, Richter wählen kann. Zumindest muß er eine so große Anzahl zurückweisen können, daß die restlichen als Männer seiner Wahl angesehen werden können.

Die zwei anderen Vollmachten können viel eher Beamten oder unabsetzbaren Körperschaften anvertraut werden denn sie werden nicht gegen Einzelpersonen angewendet. Die eine ist lediglich der Gemeinwille des Staates, die andere lediglich der Vollzug des Gemeinwillens.

Indessen, die Gerichte sollen nicht unveränderlich sein, die Urteile müssen es aber so weitgehend sein, daß sie nie mehr als ein genauer Gesetzestext sind. Wenn sie nur die Privatmeinung des Richters darstellten, würde man in einem Gesellschaftszustand leben, ohne genau die Verpflichtungen zu kennen, die man damit vertraglich eingeht.

Die Richter müssen sogar aus dem Stand des Angeklagten stammen oder ihm ebenbürtig sein. Sonst könnte er sich in den Kopf setzen, er sei in die Hände voreingenommener Leute gefallen, die ihm Gewalt antun wollen.

Wenn die legislative Befugnis der Exekutive das Recht zur Gefangensetzung von Bürgern abtritt, die eine Kaution für ihr Verhalten stellen können, gibt es keine Freiheit mehr. Höchstens wenn sie verhaftet worden sind, um sich auf Grund einer Anklage wegen eines Verbrechens unverzüglich zu verantworten, auf das nach dem Gesetz die Todesstrafe steht. In solchem Fall sind sie tatsächlich frei, weil sie allein der Gewalt des Gesetzes unterstehen.

Falls aber die legislative Befugnis sich infolge irgendeiner geheimen Verschwörung gegen den Staat oder infolge irgendeines Einverständnisses mit äußeren Feinden für gefährdet hielte, könnte sie der exekutiven Befugnis die Verhaftung verdächtiger Bürger für eine kurze und beschränkte Zeit gestatten. Die Betroffenen würden ihre Freiheit nur zeitweilig verlustig gehen, damit die Freiheit für immer bewahrt wird…..

In einem freien Staat soll jeder Mensch, dem man eine freie Seele zugesteht, durch sich selbst regiert werden: daher müßte das Volk als Gesamtkörper die legislative Befugnis innehaben Da dies in den großen Staaten unmöglich ist und in den kleinen Staaten vielen Nachteilen unterliegt, ist das Volk genötigt, all das, was es nicht selbst machen kann, durch seine Repräsentanten machen zu lassen.

Die Nöte seiner eigenen Stadt kennt man besser als die anderer Städte. Über die Leistungskraft seiner Nachbarn urteilt man sicherer als über die von fernstehenden Mitbürgern. Darum sollen die Mitglieder der legislativen Körperschaft nicht pauschal aus dem Ganzen der Nation ausgesucht werden. Es ist vielmehr zwechmäßig, daß sich die Einwohner jedes bedeutenden Orts einen Repräsentanten wählen.

Die Repräsentanten sind in der Lage, die Angelegenheiten zu erörtern. Das ist ihr großer Vorteil. Das Volk ist dazu durchaus nicht geeignet. Das ist eines der großen Gebrechen der Demokratie.

Haben die Repräsentanten von ihren Wählern eine allgemeine Anweisung erhalten, so ist eine besondere Anweisung für jede Angelegenheit, wie es bei den deutschen Reichstagen gehandhabt wird, nicht notwendig. Gewiß gäbe das Wort der Deputierten bei diesem Verfahren weit eher der Stimme der Nation Ausdruck; aber das würde endlose Verlängerungen heraufbeschwören. Jeder Deputierte wäre der Herr aller anderen. Bei Ereignissen, die schnellstes Handeln erfordern, könnte die ganze Kraft einer Nation durch eine Laune gelähmt werden…..

In den verschiedenen Distrikten müssen alle Bürger bei der Wahl der Repräsentanten das Recht zur Stimmabgabe besitzen, diejenigen ausgenommen, die in solch einem Elend leben, daß man ihnen keinen eigenen Willen zutraut.

Die Mehrzahl der antiken Republiken litt an einem schweren Gebrechen: dort besaß das Volk das Recht, Beschlüsse, die zugleich Vollzug verlangen, eigenmächtig zu fassen – wozu das Volk vollkommen außerstande ist. Es darf nur durch die Wahl der Repräsentanten an der Regierung mitwirken. So weit reicht sein Horizont. Zwar können nur wenige Menschen die Leistungskraft von Menschen genau ermessen, aber jeder ist imstande, im großen ganzen zu erkennen, ob der Mann seiner Wahl besser beraten ist als die meisten anderen.

Die repräsentierende Körperschaft darf auch nicht für irgendeine eigenmächtige Beschlußfassung gewählt werden – was sie nicht gut zu leisten vermöchte -, sondern zur Schaffung von Gesetzen beziehungsweise zur Kontrolle, ob die geschaffenen Gesetze richtig angewendet wurden. Das vermag sie sehr gut, und niemand besser als sie.

Stets gibt es im Staat Leute, die durch Geburt, Reichtum oder Auszeichnungen hervorragen. Wenn sie aber mit dem Volk vermengt würden und wie die andern bloß eine Stimme besäßen, so würde die gemeinsame Freiheit für sie Sklaverei bedeuten. Sie hätten keinerlei Interesse an der Verteidigung der Freiheit, denn die meisten Beschlüsse würden zu ihren Ungunsten gefaßt. Ihre Teilnahme an der Gesetzgebung muß daher ihrer anderweitigen Vorrangstellung innerhalb des Staates angemessen sein. Das trifft zu, wenn sie eine Körperschaft bilden, die das Recht hat, Unternehmungen des Volkes auszusetzen, genauso wie das Volk das Recht hat, die ihrigen auszusetzen.

Auf diese Weise wird die legislative Befugnis sowohl der Adelskörperschaft als auch der gewählten Körperschaft der Volksvertreter anvertraut. Jede hat ihre Versammlungen und Abstimmungen für sich, sowie getrennte Gesichtspunkte und Interessen.

Unter den drei von uns besprochenen Befugnissen ist die richterliche gewissermaßen gar keine. Nur zwei bleiben übrig. Da sie zu ihrer Mäßigung eine regulierende Gewalt nötig haben, ist für diesen Zweck der aus Adligen zusammengesetzte Zweig der legislativen Körperschaft sehr geeignet.

Die Mitgliedschaft in der Adelskörperschaft soll erblich sein. Erstens ist sie es gemäß ihrer Natur. Überdies muß sie auf die Bewahrung ihrer Sonderrechte sehr bedacht sein. Diese sind als solche verhaßt und daher in einem freien Staat stets in Gefahr.

Indes könnte eine erbliche Gewalt versucht sein, ihren Sonderinteressen zu folgen und darüber die Interessen des Volkes zu vergessen. Daher muß dafür gesorgt werden, daß sie in Dingen, bei denen sie an der Korruption höchstlich interessiert ist, wie etwa bei Gesetzen zur Steuererhebung lediglich durch ihr Verhinderungsrecht, nicht aber durch ihr Entscheidungsrecht an der Gesetzgebung teilhat.

Entscheidungsrecht nenne ich das Recht, von sich aus anzuordnen oder das von andern Angeordnete abzuändern. Verhinderungsrecht nenne ich das Recht, einen von anderen gefaßten Beschluß zu annullieren. Diese Gewalt besaßen die Tribunen Roms. Obwohl der Inhaber des Verhinderungsrechts auch das Recht zur Zustimmung haben kann, besteht diese Zustimmung in nichts weiter als der Erklärung, daß man von seinem Verhinderungsrecht keinen Gebrauch mache. Aus diesem Recht leitet es sich her.

Die exekutive Befugnis muß in den Händen eines Monarchen liegen, weil in diesem Zweig der Regierung fast durchweg unverzügliches Handeln vonnöten ist, das besser von einem als von mehreren besorgt wird. Was hingegen von der legislativen Befugnis abhängt, wird oft besser von mehreren angeordnet als von einem.

Es gäbe keine Freiheit mehr, wenn es keinen Monarchen gäbe und die exekutive Befugnis einer bestimmten, aus der legislativen Körperschaft ausgesuchten Personenzahl anvertraut wäre, denn die beiden Befugnisse wären somit vereint. Dieselben Personen hätten an der einen und der anderen manchmal teil – und somit könnten sie immer daran teilhaben.

Es gäbe keine Freiheit mehr, wenn die legislative Körperschaft eine beachtliche Zeitspanne nicht zusammenberufen worden wäre. Denn eins von beiden würde eintreten: entweder würden keine gesetzgeberischen Beschlüsse mehr gefaßt und der Staat würde in Anarchie stürzen, oder aber diese Beschlüsse würden von der exekutiven Befugnis gefaßt und er würde absolutistisch.

Eine ständige Tagung der legislativen Körperschaft wäre unnütz. Dies wäre für die Repräsentanten lästig und würde überdies die exekutive Befugnis zu stark beschäftigen. Sie dächte nicht mehr an die Durchführungsmaßnahmen, sondern nur noch an die Verteidigung ihrer Sonderrechte und ihr eigenes Recht auf den Gesetzesvollzug…..

Wenn die exekutive Befugnis nicht das Recht besäße, die Unternehmungen der legislativen Körperschaft aufzuhalten, wäre diese letztere despotisch. Sie vermöchte sich alle erdenklichen Vollmachten selber zu verleihen und so alle anderen Befugnisse zunichte zu machen.

Indessen darf die legislative Befugnis nicht umgekehrt die Möglichkeit bekommen, die exekutive Befugnis aufzuhalten. Die Durchführung hat nämlich schon ihrer Natur nach ihre Grenzen, und ihre Begrenzung ist daher unnötig. Außerdem befaßt sich die exekutive Befugnis immer nur mit Angelegenheiten des Augenblicks. Die Macht der Tribunen in Rom war insofern ein Fehler, als sie nicht allein die Gesetzgebung aufhielt, sondern sogar die Durchführung. Das verursachte große Mißstände.

Wenn indes in einem freien Staat die legislative Befugnis nicht das Recht zum Eingriff in die exekutive Befugnis haben darf, hat sie doch das Recht zur Prüfung der Art und Weise, in der die von ihr verabschiedeten Gesetze durchgeführt worden sind, oder sollte die Möglichkeit dazu haben. Darin besteht der Vorzug dieser Regierung vor der kretischen und lakedämonischen. Dort gaben die Kosmen und die Ephoren über ihre Verwaltung keine Rechenschaft.

Wie diese Prüfung auch beschaffen sei, die legislative Körperschaft darf jedenfalls nicht die Macht haben, über die Person des mit der Exekutive Betrauten zu Gericht zu sitzen – und folglich auch nicht über seine Aufführung. Seine Person muß geheiligt sein, weil dies für den Staat notwendig ist, damit die legislative Körperschaft nicht tyrannisch wird. Von dem Augenblick seiner Anklage oder Verurteilung an gäbe es keine Freiheit mehr.

In diesem Falle wäre der Staat keine Monarchie mehr, sondern eine Republik ohne Freiheit. Der Durchführende kann die Gesetze aber nicht schlecht durchführen ohne boshafte Berater, die als Minister die Gesetze hassen, obwohl diese sie als Menschen begünstigen. Daher können diese Berater ermittelt und bestraft werden…..

Zwar darf die richterliche Befugnis im allgemeinen nicht mit irgendeinem Teil der Legislative vereinigt werden, doch sind drei Ausnahmefälle zulässig. Sie haben ihren Grund im Einzelinteresse dessen, der vor Gericht steht.

Die Großen haben immer Neider. Wenn sie vom Volke gerichtet würden, könnten sie in Gefahr geraten. Nicht einmal die Vergünstigung des geringsten Bürgers eines freien Staats würden sie genießen: sie würden nicht von ihresgleichen gerichtet werden. Daher ist es nötig, daß die Adligen vor den aus Adligen zusammengesetzten Zweig der legislativen Körperschaft zitiert werden statt vor die ordentlichen Gerichte der Nation.

Sonst könnte es vorkommen, daß in gewissen Fällen das Gesetz, hellsichtig und blind zugleich, wie es ist, zu rigoros wäre. Doch die Richter der Nation sind, wie gesagt, lediglich der Mund, der den Wortlaut des Gesetzes spricht, Wesen ohne Seele gleichsam, die weder die Stärke noch die Strenge des Gesetzes mäßigen können. Der Zweig der legislativen Körperschaft, den wir bei anderer Gelegenheit als »unentbehrliches Gericht« bezeichneten, erweist sich auch hier als solches. Es steht seiner höchsten Autorität an, das Gesetz zugunsten des Gesetzes selbst zu mildern und weniger streng als das Gesetz zu entscheiden.

Es könnte auch passieren, daß in öffentlichen Angelegenheiten irgendein Bürger die Rechte des Volkes verletzte und Verbrechen beginge, welche die eingesetzten Beamten nicht bestrafen könnten oder wollten. Im allgemeinen kann aber die legislative Befugnis keine Urteile fällen, und erst recht nicht in einem Einzelfall, in dem sie das Parteiinteresse, hier des Volkes, vertritt. Mithin kann sie bloß Anklägerin sein. Vor welchem Gericht aber wird sie klagen? Wird sie sich herablassen, vor die gesetzmäßigen Tribunale zu gehen? Diese stehen tiefer als sie und setzen sich überdies aus Leuten zusammen, die gleich ihr zum Volk gehören und durch die Autorität eines so gewaltigen Anklägers mitgerissen werden. Nein, zur Bewahrung der Würde des Volkes und der Sicherheit des einzelnen muß der legislative Teil des Volkes seine Klage vor dem legislativen Teil des Adels vorbringen. Dieser hat weder die gleichen Interessen noch die gleichen Leidenschaften wie jener.

Diesen Vorteil hat diese Regierung vor der Mehrzahl der alten Republiken voraus. Bei diesen herrschte der Mißbrauch, daß das Volk zu gleicher Zeit Kläger und Richter war.

Die exekutive Befugnis muß, wie gesagt, durch ihr Verhinderungsrecht an der Gesetzgebung beteiligt sein. Sonst sähe sie sich bald ihrer Sonderrechte beraubt. Wenn sich jedoch die legislative Befugnis an der Durchführung beteiligt ist die exekutive Befugnis ebenfalls verloren.

Es gäbe keine Freiheit mehr, wenn der Monarch vermöge eines Entscheidungsrechts an der Gesetzgebung teilnähme. Dennoch ist seine Teilnahme an der Gesetzgebung für den Fall, daß er sich rechtfertigen muß, erforderlich. Darum muß er durch sein Verhinderungsrecht daran teilnehmen…..

Das also ist die Grundverfassung der Regierung, von der wir reden. Die legislative Körperschaft setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Durch ihr wechselseitiges Verhinderungsrecht wird der eine den andern an die Kette legen. Beide zusammen werden durch die exekutive Befugnis gefesselt, die ihrerseits von der Legislative gefesselt wird.

Eigentlich müßten diese drei Befugnisse einen Stillstand oder eine Bewegungslosigkeit herbeiführen. Doch durch den notwendigen Fortgang der Dinge müssen sie notgedrungen fortschreiten und sind daher gezwungen, in gleichem Schritt zu marschieren.

Da die exekutive Befugnis an der Legislative nur durch ihr Verhinderungsrecht teilhat, darf sie in die Debatte der laufenden Geschäfte nicht eingreifen. Sie braucht nicht einmal Anträge einzubringen. Da sie jederzeit die Beschlüsse verwerfen kann, so kann sie Beschlußfassungen über Vorschläge zurückweisen, die gegen ihren Willen eingebracht wurden.

In manchen Republiken der Alten oblag die Debatte über die Geschäfte dem Volksganzen. Dort stellte selbstverständlich die exekutive Befugnis die Anträge und debattierte sie mit dem Volk. Andernfalls wäre bei den Beschlüssen ein sonderbares Durcheinander entstanden.

Es gibt keine Freiheit mehr, wenn die exekutive Befugnis an der Festsetzung der Erhebung der Staatsgelder anders als durch ihre Zustimmung mitwirkt. Sonst würde sie in dem wichtigsten Punkt der Gesetzgebung zur Legislative.

Die legislative Befugnis würde ihre Freiheit aufs Spiel setzen, wenn sie die Erhebung der Staatsgelder nicht von Jahr zu Jahr sondern für die Dauer festlegte. Die exekutive Befugnis wäre dann nicht mehr von ihr abhängig. Falls man solch ein Recht auf Dauer eingeräumt bekommt, gilt es ziemlich gleich, woher man es erhalten hat, von sich oder einem andern. Wenn sie diese Festsetzung für die Land- und Seestreitkräfte, die sie der exekutiven Befugnis anvertrauen muß, für die Dauer statt von Jahr zu Jahr vornimmt, gilt das gleiche…..

Wollte man sich bequemen, das bewundernswerte Werk des Tacitus über die Sitten der Germanen zu lesen, so würde man daraus ersehen, daß die Engländer die Idee ihrer Staatsregierung von diesen Germanen bezogen haben. Dies herrliche System wurde in den Wäldern erfunden.

Da alle Menschendinge ein Ende nehmen, wird auch der Staat, von dem die Rede ist, seine Freiheit verlieren und wird vergehen. Rom, Lakedämon und Karthago sind leider vergangen. Er wird vergehen, sobald die legislative Befugnis verderbter als die exekutive ist.

Mir steht die Prüfung nicht zu, ob die Engländer gegenwärtig diese Freiheit genießen oder nicht. Ich begnüge mich mit der Feststellung, daß sie durch ihre Gesetze in Kraft gesetzt wurde, und forsche nicht weiter.

Mit all dem vermesse ich mich nicht, die anderen Regierungen herabzusetzen. Auch sage ich nicht, diese äußerste politische Freiheit müsse alle beschämen, die eine nur mäßige besitzen. Wie könnte ausgerechnet ich so etwas sagen, der ich nicht einmal das Übermaß an Vernunft für erstrebenswert halte und der Meinung bin, die Menschen kämen fast durchweg mit den mittleren Zuständen besser zurecht als mit den extremen?…..

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