40. Deutscher Juristentag 1953

Referat Dr. Adolf Arndt

Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages 1953 – öffentlichrechtliche Abteilung

 

KORREFERAT

von Rechtsanwalt Dr. Adolf Arndt M. d. B., Bonn

Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren!

Nach Herrn Professor Ipsen hier das Wort zu ergreifen, ist für mich begreiflicherweise nicht leicht; nicht nur weil der Herr Referent mit der Fülle seiner Gedanken in beredter Weise unser aller Beifall gewonnen, sondern weil er leider auch den Kampf mit der Uhr verloren hat. Und in der vorgerückten Zeit noch Ihre Aufmerksamkeit zu beanspruchen für Gedankengänge, die wahrscheinlich doch teilweise auf einen erheblichen Widerspruch stoßen werden, erschwert mir meine Aufgabe doppelt.

Die Unruhe, die sich mit dem Ziel einer sog. Selbstverwaltung der Gerichte geltend macht, bricht (wie ich glaube) doch aus noch tieferen Bereichen auf, als die erste These des Referenten es wahr haben will, die erste These, in der es heißt, daß Selbstverwaltung im Sinne einer Autonomie vom Staat nicht gefordert sei.

Diese Behauptung, daß eine Selbstverwaltung im Rechtssinne gleich einer Autonomie vom Staat nicht gefordert werde, verharmlost doch Ursprung und Stoßrichtung der Kräfte, die sich regen und weit über die Unabhängigkeit der Richter hinaus nach einer von Grund auf verselbständigten Dritten Gewalt streben, um eine Unabhängigkeit nicht nur der Rechtserkenntnis, sondern durch Richterrecht eine wachsende Freiheit auch vom Gesetz anzubahnen. Offen wird ausgesprochen, daß der Richter auch vor einer Gebotsberichtigung nicht zurückschrecken dürfe, und wird geringschätzig von der Volkssouveränität gesagt, sie sei aus der Mottenkiste der französischen Revolutionsideen hervorgeholt. Der Drang nach sog. Selbstverwaltung ist also mehr als eine neue Welle nur gerichtsreformatorischer Art, ist Ausdruck einer Kampfansage auch gegen die Volksvertretung als das gesetzgeberische Organ und ist gespeist aus Widerstand gegen Gesetzesrecht und Rechtspositivismus als Zeichen der Macht, die dem einen Verfechter der dritten Gewalt als Urwesen des Staates erscheint. Recht und Staat werden nicht mehr in einem wechselwirkenden Spannungsverhältnis, sondern von einzelnen Vertretern (natürlich nur sehr extremen) der Bewegung geradezu als einander feindliche Gegensätze gesehen. Es war kein Zufall, daß der Herr Referent ein einziges Mal besondern Beifall fand bei seinem Vortrage, als er sich nämlich gegen die parteipolitische Aufschlüsselung von Richterstellen wandte, [Scharren] wobei ich glaube, sie ist ebenso wenig evident, wie das, was von den Verfechtern einer Selbstverwaltung gesagt wird. Auch da – ja, ich komme noch darauf – bedarf es doch sehr des Nachweises. Und es wurde von dem Herrn Referenten gefordert, man dürfe einen Einfluß nur parlamentarisch ausüben und infolgedessen nicht über die Fraktionen. Als ob Fraktionen etwas anderes wären als nach der Geschäftsordnung mit eigenen Kompetenzen ausgestattete Teile des Parlaments und als ob Parteien anders als in Fraktionen in Erscheinung treten könnten! ? Im übrigen gibt es in keinem Gesetz ein Vorschlagsrecht der Fraktionen. Im Richterwahlausschuß des Bundes ist jedes Mitglied selbständig nur seinem Gewissen verantwortlich und selbst vorschlagsberechtigt; im Wahlmännergremiurn für das Bundesverfassungsgericht gibt es nur Hinweisrechte der verschiedenen Stellen, aber keine irgendwie verbindlichen Vorschlagsrechte.

Meine Damen und Herren! Ein Unbehagen vor der Macht, ein Unbehagen, das einen von Parteien vermittelten und geformten Staat nicht als rechtlich glaubhaft, nicht als gerechtfertigt oder legitim zu erkennen fähig ist, dieses Unbehagen ist der Grund – ja, gestatten Sie, der Abgrund – aus dem der Ruf nach einer Herrschaft des Rechts durch die Richter aufsteigt. Man wird daher die Frage nicht erschöpfen, wollte man die Prüfung versäumen, ob sich in diesem Unbehagen eine auch echte Not oder nur eine Versuchung offenbart. Diese Frage kann nicht dadurch abgeschnitten werden, daß man feststellen muß, sie sei ihrem Wortlaut nach uns gar nicht aufgegeben. So wie unsere Frage lautet, nämlich, ob im Rahmen des Grundgesetzes sich die vollständige Selbstverwaltung aller Gerichte empfiehlt, ist sie allerdings nach dem geltenden Verfassungsrecht unschwer beantwortet. Dem Herrn Referenten pflichte ich darin bei, daß eine Selbstverwaltung der Gerichte in dem rechtlichen Sinne einer Autonomie vom Staat de lege lata nicht diskutabel ist, wie es im ersten Satz seiner ersten These heißt, und freue mich, daß wir sowohl mit dem Gutachten des Herrn Prof. Ridder als auch mit der unserer Erörterung hier gewidmeten Arbeit von Herrn Prof. Scheuner in einer Reihe verfassungsrechtlicher Ergebnisse übereinstimmen, die eine vollständige Selbstverwaltung aller Gerichte, die im Rechtssinne diesen Namen verdient, als im Rahmen des Grundgesetzes unzulässig erscheinen lassen, also insbesondere die reine Selbstergänzung der Richter durch Richter.

Zutreffend ist dargelegt worden, daß auch aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung eine derartige Autonomie nicht ableitbar ist. Die Gewaltenteilung ist nur ein System gegenseitiger Hemmung und Mäßigung mit der Aufgabe, aus dem Gleichgewicht der Befugnisse eine rechtssichere und gerechte Ordnung erwachsen zu lassen, die als eigene gewollt frei gelebt wird. Dagegen hebt die Gewaltenteilung nicht die Einheitlichkeit der Staatsgewalt auf. Auch die Befugnis, Recht zu sprechen, ist vom Staatsvolk ausgehende Staatsgewalt, ausgeübt im Namen des Volks von Organen seines Staates, gerechtfertigt aus der Selbstbestimmung des Volkes; nicht aber entspringt diese Befugnis einer rechtsprechenden Gewalt, die eigenständig aus anderer Quelle käme als sonst alle übrige Staatsgewalt. So ist unser Staatswesen insbesondere durch Art. 20 und Art. 92 GG verfaßt. Zwingende Vorschriften in den Art. 95 Abs. III, 96 Abs. II und 98 Abs. IV sowie 65 und 67 GG unterstellen ferner die Gerichte – mit einziger Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts – einem parlamentarisch verantwortlichen Minister institutionell und bürden diesem Minister auch für die Auswahl der Richter die demokratische Verantwortung auf. Diese Rechtsausführungen, die ich wegen der weitgehenden Übereinstimmung absichtlich ganz kurz gehalten habe, darf ich in ihrem Ergebnis kurz zusammenfassen:

1. Im Rahmen des Grundgesetzes ist eine Regelung, die rechtlich Selbstverwaltung der Gerichte wäre, unzulässig.

2. Im Verhältnis zwischen einzelnen Organen, die unmittelbar Organe des Staates sind, kann sinnvoll von Selbstverwaltung gar nicht gesprochen werden.

3. Der Sprachgebrauch des Herrn Referenten, hier unter Selbstverwaltung lediglich „untechnisch“ die eigenständige und weisungsfreie Wahrnehmung von Geschäften der Justizverwaltung durch Richter verstehen zu wollen, ist doch bedenklich und sollte um der begrifflichen Klarheit willen vermieden werden.

Diese, nach meiner Überzeugung rechtliche Beantwortung einer uns leider vielleicht nicht ganz präzise gestellten Frage trifft aber (wie ich eingangs hervorhob) nicht das Anliegen, um das es hier geht. Der Herr Referent hat deshalb begründeten Anlaß gehabt, in seinen weiteren Thesen dazu Stellung zu nehmen, ob der Verfassungsgrundsatz der richterlichen Unabhängigkeitsgebiete, gewisse Aufgaben der Gerichtsverwaltung weisungsfrei als richterliche Geschäfte oder als Intendanzgeschäfte der Richter wahrnehmen zu lassen. Ich muß jedoch der dritten These des Herrn Referenten, mit der er diese Frage grundsätzlich bejaht, meinerseits mit der Behauptung widersprechen, daß diese dritte These zu allgemein gefaßt ist. Sie heißt: Der Verfassungsgrundsatz der richterlichen Unabhängigkeit gebietet Selbstverwaltung für die unter II genannten Aufgaben, soweit ihre exekutive Wahrnehmung sie gefährden kann ‚ zu allgemein gefaßt und deshalb so nicht richtig, weil in der zweiten These Aufgaben zusammengenommen sind, die ihrer Art und ihrem Rechtswert nach sich radikal unterscheiden. Der 8. und 9. These des Herrn Referenten, die sich mit der Dienstaufsicht und mit dem Etat der Gerichte beschäftigen, vermag ich – abgesehen von dem Sonderproblem der Richteranklage – zuzustimmen, so daß ich mir Ausführungen darüber versagen kann und klar betone, daß ich in dieser Richtung grundsätzlich den Standpunkt des Herrn Referenten teile, gerade auch was die Frage der Dienstaufsicht betrifft, von der her ernsteste Gefährdungen der richterlichen Unabhängigkeit zu erwarten sind und wo deshalb in der von dem Herrn Referenten vorgeschlagenen Weise Abhilfe geschaffen werden sollte.

Ich bin jedoch der Meinung, daß die Auswahl und die Beförderung der Richter Aufgaben sind, die eine besondere Prüfung erfordern, ob sie wirklich eigenständig und weisungsfrei als richterliche Geschäfte wahrgenommen werden dürfen oder aber ob im Sinne des Kompromißvorschlages, wie der Herr Referent ihn gemacht hat, eine wirklich mitbestimmende Mitwirkung der dritten Gewalt an ihrer Ergänzung sich empfiehlt, wobei ich glaube, daß da dann nur noch ein gradueller Unterschied besteht, ob man nun diese volle Selbstergänzung der Gerichte vorschlägt oder aber eine derartige Mitwirkung, wie es hier geschehen ist.

Auch der Herr Referent allerdings hat sich in seiner 4. These zu der Auffassung bekannt, daß die reine Selbstergänzung der Richterschaft und Gerichtsmitgliedschaft verfassungswidrig wäre, und deshalb in seiner 7. These Empfehlungen gegeben, die auf eine Richterwahl abzielen durch Richterwahlausschüsse, deren Zusammensetzung ich dann erst dem Referat entnehmen konnte und die auf eine Art Zusammenarbeit von Regierung, Parlament und Richterschaft abgestimmt sein sollen. Den Hauptteil meines Korreferats will ich deshalb der Frage widmen: wer soll die Richter ernennen? Denn das Grundanliegen derer, die nach einer sog. Selbstverwaltung der Gerichte verlangen, ist doch wohl die Sorge, daß die Rechtserkenntnis beeinflußt und von sich abhängig macht, wer den ernennen soll, der zu richten hat.

Dieser Sorge läßt sich weder mit begrifflichen Untersuchungen über das Wesen der Selbstverwaltung ausweichen, noch läßt sie sich durch die verfassungsrechtliche Feststellung beschwichtigen, daß die von manchen so stürmisch geforderte Selbstwahl der Richter durch die Richter nach dem Grundgesetz unzulässig ist. Die Aufgabe, Richter zu berufen und zu befördern, unterscheidet sich von den übrigen Geschäften der Gerichtsverwaltung- etwa Dienstaufsicht, Haushaltsplanung und das alles – dadurch, daß sie zumindest mehr politisch ist; sie ist Inhalt der Personalpolitik. Was aber ist Personalpolitik? Wo findet sich in ihr das Politische? Und lassen sich Unbefangenheit und Unabhängigkeit des Richters damit vereinbaren, daß es Politik war, die ihm einen Richterstuhl einräumte? Und wenn sich schon der deutsche Traum von der unpolitischen Politik nicht verwirklichen lassen sollte, muß es dann in einer Verfassungswirklichkeit, die man als Parteienstaat beschreibt, unvermeidlich Parteipolitik sein, die hierbei entscheidet, oder gibt es nicht wenigstens parteilose Politik ?

Ich glaube, das Irrlichternde an der Bewegung, die uns heute hier beschäftigt, ist die Suche nach dem Niemandsland des Unpolitischen, ein Leuchtendes aber das brennende Gewissen, vor dem als bloßer Machtspruch erscheint, was nur Parteigewalt ist und sich nicht durch Überparteilichkeit im Ergebnis rechtfertigen kann. Das Überparteiliche schien einst in der Krone symbolisiert, die zudem sakral, als von Gottes Gnaden verliehen, sich legitimierte. Recht gesprochen wurde deshalb im Namen des Königs, wodurch der Richter sich mit dem noch heilen und ungeteilten Ganzen identifizierte, einer personalen Institution, die als dynastische Repräsentanz des Rechts, des Staats und des Volks in einem alle Teilungen zeitlos und parteilos in sich aufzuheben beanspruchte.

Es würde zu weit führen zu untersuchen, in wie höchstem Maße politisch das monarchische Prinzip war und wie fraglich sein Anspruch, in der Idee des Monarchen die Realität der parteibildenden Gegensätze zu verschmelzen. Jedenfalls sind auf die Macht der Krone die ungekrönten Mächte gefolgt. Macht verwirklicht sich durch Abhängigkeit. Der Abhängige unterliegt einem Zwang dessen, der über ihn Macht hat, einem Zwang dessen, der in der allerverschiedensten Weise auf seinen Willen Einfluß nimmt und ihn lenken kann mit Vorteilen oder Nachteilen, die in der Gegenwart bis zur Vernichtung der Existenz gehen können, auch jetzt bei uns. Man würde der Lage des Richters in unserer Zeit nicht gerecht werden, ließe man dieses Ausgesetztsein eines jeden Menschen heute außer acht. Je mehr die Arbeit geteilt ist, und eine wachsende Menschenzahl zwingt durch die Notwendigkeit stets steigender Gütererzeugung zu immer mehr Arbeitsteilung, je mehr die Arbeit geteilt ist, um so abhängiger – etwa von der Technik, von den Verkehrsmitteln, dem Meldewesen, der Medizin und somit von denen, die die Hand am Griff haben – ist der Mensch und desto unselbständiger und aufeinander und mehr auf andere angewiesener ist jeder Mensch. Und je kleiner diese Welt durch Beschleunigung der Geschwindigkeit wird, desto enger ist die Aufgabe, die einer leisten kann, und desto vereinzelter und bruchstückhafter darum der Mensch!

Meine Damen und Herren! Es liegt mir daran, diese Frage hineinzustellen in den breitesten geistigen Rahmen; denn dieses Abhängigsein, dieses Ausgesetztsein den Mächten, dieses Nicht-Raumhaben oder auch dieses sich durch irgendein Bekenntnis, sei es zu einer Konfession, sei es zu einer Partei, sei es zu sonst etwas, Festlegen und dadurch schon Ausgeschlossen-werden und eigentlich Keinen-Atem-mehr-haben im Leben und Berufsleben, das ist ein ganz grundsätzliches Problem, das uns alle beängstigen muß und in dem dann diese Frage, wer bestimmt den Richter und wie soll der Richter kommen, mitten darin steht. Wir sehen diese eigenen Abhängigkeiten und die ihnen entsprechenden Mächtigkeiten anderer, erst recht wenn es Mächtigkeiten ganzer Gruppen und Bünde sind, heute gleichsam mit Röntgenaugen. Wir erfahren die Macht als eine Hydra, vernichtend, falls sie sich gegen uns vereinigt, und nicht minder uns überwältigend, wenn die Zahl ihrer Häupter Legion ist. Und all diesen Mächten ausgeliefert, in der Regel ohne jeden wirtschaftlichen Rückhalt preisgegeben und nur auf die Verwertung seines Könnens angewiesen, sind auch der Richter und der Bewerber um einen Richterstuhl. Und der Druck aller dieser Mächte ist besonders groß auf den Menschen, der Richter ist, oder auf die Menschen, die Richter berufen können, weil der Richter gleichsam Treuhänder eines einzigartigen Vermögens ist, der Fähigkeit, Berechtigungen Rechtskraft zu verleihen und durch dieses Wesen seines Rechtserkenntnisses die gesamte Staatsmacht zur Durchsetzung seines Spruches zu verpflichten. So erklärt sich der Drang der Richter oder, wenn Sie wollen, die Flucht nach vorne vor der Macht anderer: als Suche nach Selbstmacht durch sog. Selbstverwaltung, oder die Forderung, jenseits der Macht bei eigenständigen Körperschaften Zuflucht zu finden, wie sie etwa Eschenburg, aber auch andere vor und nach ihm vorgeschlagen haben. Ist aber das wesensbestimmende Merkmal des Politischen die Beeinflussung der Machtverteilung, wie beispielsweise Pareto lehrt, oder der Kampf um die Entscheidungsbetugnis, um mit Schumpeter zu sprechen, so wird die Entscheidungsbefugnis, wer Richter sein und wer zu einem noch einflußreicheren Richteramt aufsteigen soll, unvermeidlich in jeder Hand sich zu Politik verwandeln und aus dem Kampf darum überhaupt nicht herausgenommen werden können. Personalpolitik ist die Handhabung der Macht, darüber zu entscheiden oder darauf Einfluß zu nehmen, welcher Person eine bestimmte Aufgabe im Staat, etwa die richterliche, übertragen wird. So wie in der antiken Sage König Midas, was er anrührte, zu Gold verwandelte, muß auch der Richter, der die Entscheidungsgewalt erhält oder nach den Vorschlägen des Herrn Referenten miterhält, die Entscheidungsgewalt, Richter zu machen, oder jedes Kollegium, dem diese Macht anvertraut wird, politische Hände bekommen. Richter zu berufen oder personell Gerichte zu bilden, ist der Sache nach Machtausübung und bei Gerichten, die Staatsorgane sind, ein Integrationsvorgang, ein willensbestimmter Schöpfungsakt der Staatsverwirklichung, der wesensgemäß einer richterlichen Gewalt, die als rechtskraftbegründende Rechtserkenntnis „invisible et nul“ sein muß und nichts anderes sein kann, entgegengesetzt ist. M. a. W. nicht die Personalpolitik hört in der Hand der Richter oder in der Mit-Hand der Richter oder eines quasi-richterlichen Kollegiums auf, Personalpolitik zu sein, sondern umgekehrt fangen die Richter oder die Mitglieder eines solchen Kollegiums an, Politiker zu werden. Kein ärgeres Danaergeschenk ist für die Gerichte denkbar als eine solche Macht. [Beifall]

Und Vorschläge nach der Art von Eschenburg, die von einem angeblich parteilosen oder vermeintlich unpolitischen Kollegium träumen, laufen auf nichts anderes hinaus, als auf die Verschleierung einer mittelbaren Richterwahl, die doppelt geheim und darum doppelt ohne Verantwortlichkeit sich vollzieht. Wenn doch bestimmte Rechtslehrer oder Richter zu Mitgliedern eines so mächtigen Kollegiums bestellt werden sollen, wer weiß denn da ernstlich nicht, daß bereits bei der Ernennung dieser wahlberechtigten Richter oder Hochschullehrer (oder wer immer es sei) ihre künftige Entscheidungsbefugnis stark in die Waagschale fallen wird. Für die Gerichte selbst noch zersetzender müßte es sich auswirken, den Richtern selber diese Entscheidungsmacht aufzubürden oder auch nur sie anders denn als reine Ratgeber daran durch ein irgendwie verbindliches Vorschlagsrecht zu beteiligen. Die Abhängigkeit der Richter untereinander, insbesondere von ihren Präsidenten und Präsidien, würde unerträglich werden, die Gerichte – jetzt muß ich auch einmal so ein scharfes Wort gebrauchen – zu Schlangennestern des Kampfes untereinander und eines Zerfalls in Gruppen. Schon heute gibt die Präsidialgewalt in manchen Gerichten zu Bedenken Grund und sollte bei der fälligen Gerichtsreform und im Zuge dessen, was der Herr Referent gesagt hat, zu der Bemühung führen, durch institutionelle Sicherung der gerichtsinternen Kollegialität den Vorrang mancher Präsidenten oder auch das, was sie daraus zu machen pflegen, zu entkräften. Wenn etwas die Unabhängigkeit der Richter auch gefährdet, so ist es heute schon die unrichterliche Vorgesetztenbeziehung innerhalb des Gerichtskörpers, die sich vor allem in der Macht äußert, Beurteilungen und Zeugnisse über andere Richter des gleichen Gerichts zu schreiben und über den Mitrichter Berichte zu verfassen. Ganz wird sich diese Macht nicht ausschließen lassen, aber sie muß so eng wie möglich in Grenzen gehalten und kontrolliert werden, sollte nie mehr sein als eine Befugnis zur unverbindlichen Äußerung und wird mehr als bisher dem Präsidenten zu nehmen und aus dem gleichen Gericht hinaus in die als erkennende Gerichte tätigen Kammern und Senate zu verlagern sein, die als Rechtsmittelinstanz die Rechtsprechung des in Rede stehenden Richters nachzuprüfen haben.

Aus diesen Gründen kann ich auch nur auf das entschiedenste abraten von dem Vorschlag in der 7. These des Herrn Referenten, die Richterschaft als Vorwahl-Körperschaft zu behandeln, aus deren Mehrheitswillen verbindliche Vorschlagslisten für die Wahl durch Richterwahlausschüsse hervorgehen. Ich habe nicht gehört, warum das sein soll. Aber jetzt bitte denken Sie sich das Unglück doch einmal praktisch: wenn in der Richterschaft die Köpfe zusammengesteckt werden und wenn in die Richterschaft jetzt alle Regenbogenfarben der politischen Parteien hineinkommen bei den Gruppen, die sich zu diesen Vorwahlen bilden. Wer sich der Illusion hingibt, aller Personalpolitik ein Ende bereiten zu können oder im Elfenbeinturm der Gerichte selbst das Personalpolitische in ein Personal-unpolitisches verzaubern zu wollen, der trägt doch Sprengstoff in die Richterschaft hinein.

Wer dem gleisnerischen Trugbild des politikleeren Raumes nachjagt und wähnt, eine willensbestimmte Entscheidungsmacht über Richterernennung und -beförderung von ihrem Wesen als Macht befreien zu können, indem er die eine Tür vor dem Lucifer Personalpolitik verriegelt, wird hundert Pforten öffnen, durch die ganze Scharen von personalpolitischen Teufeln und Teufeleien einströmen. Und da darf ich gleich an ein Wort anknüpfen, das der Herr Referent gesagt hat, das Zitat eines Schweizer Wortes, es gebe grundsätzlich Zonen, die überparteilich bleiben müssen. Wir sind uns darin gewiß alle einig, daß die Rechtspflege unparteilich sein muß und daß es darauf ankommt, dieses Unparteilich-sein zu sichern. Aber wir sind vielleicht darin auseinander, daß hier angenommen (bewußt oder unbewußt) oder unterstellt wird, als sei diese Unparteilichkeit wie ein weißer Fleck auf der Landkarte der Macht zuerst schon da und müsse bleiben und geschützt werden vor dem farbigen Einströmen der politisch parteilichen Kräfte, – das ist die eine Auffassung – oder aber die andere entgegengesetzte und von mir vertretene ist die, daß überall die Machtspannungsfelder sind, die gar keinen weißen Fleck lassen, und es darauf ankommt, das Überparteiliche erst zu leisten, zu schaffen, erst hervorzubringen. Mit dieser Warnung vor der irrigen Zuflucht in die unpolitische Personalpolitik, in diese Zuflucht, die mir in Wahrheit mehr Ausflucht oder Flucht erscheint, ist aber nur das Negative der Versuchung aufgezeigt, die hinter dem Streben nach sog. Selbstverwaltung lauert, noch nicht dagegen wird diese bloße Negation der echten Not oder jedenfalls dem besorgtem Suchen gerecht, inmitten der Bedrohungen des Parteienstaates einen Raum zu finden, wo die Gerichtsbarkeit das werden kann, was sie sein muß: unparteiliche Dienerin allein des Rechts.

Wir sehen uns deshalb vor zwei Fragen gestellt, die von der Richterschaft nicht ohne Grund uns vorgelegt werden.

Erstens, so fragt die Richterschaft, was schützt uns vor parteipolitischen Einflüssen? Und zweitens – so sollte sich auch jeder fragen – wer kann als zum Richter berufen gelten oder wie muß der zum Aufstieg in die höheren und höchsten Gerichte geeignete Richter beschaffen sein?

Denn in der Antwort auf diese beiden Fragen besteht doch wohl eine um der Demokratie, des Staates und des Rechts willen wünschenswerte Personalpolitik.

Wenn ich mit der zweiten Frage beginnen darf, der Frage nach dem Richterlichen, das den Richter ausmacht, so werde ich manchen unter Ihnen wieder enttäuschen müssen, wenn ich bekenne, daß ich das Richterliche einer Person nicht im vermeintlich Parteilosen finde. Den „homo judex absolutus“, den gibt es nicht, mindestens ist er nicht als solcher auf die Welt gekommen. So wenig es in einer Demokratie echte Nichtwähler gibt, da jeder scheinbare Verzicht auf das Stimmrecht in Wahrheit nur Mitläuferschaft mit der jeweils stärksten Gruppe ist, so wenig gibt es den, der nicht tagtäglich Partei nimmt. Auch ein jeder Bewerber um ein Richteramt und ein jeder Richter selbst ist ein ein Mensch im Gefüge, ist ein Bürger mit eigener Geschichte, eigenem Ort nach allen Richtungen hin, steht also nicht auf einem imaginären Nullpunkt außerhalb von Welt und Zeit. Zwar ist es beliebt, Personen, deren Ort in der Nachbarschaft des eigenen liegt, als angeblich parteilos zu präsentieren, wirkt aber wenig überzeugend, mindestens auf die Dauer nicht, ja im Wiederholungsfalle manchmal herausfordernd. Es gibt keinen Meinungslosen, und gäbe es ihn, so würde dieser Mangel an Eigenschaften vielleicht sogar am wenigsten zum Richtersein befähigen. Das Bekenntnis zu einer Überzeugung und das möglicherweise unbewußte, nie aber fehlende Verhalten gerade auch politischer Art können grundsätzlich der Richtereignung nicht entgegenstehen. Das Richterliche ist meines Erachtens in der Ausbildung einer anderen Eigenschaft zu finden: in der Fähigkeit, eine Frage nicht einseitig, auch nicht allein vom eigenen Standpunkt zu sehen, sondern in ihrer Vielseitigkeit und mit Achtung vor der Möglichkeit auch anderer Standpunkte, nämlich aus dem Wissen und der Weisheit heraus, daß das Leben aus echten Konflikten besteht. Diese Fähigkeit verleiht die Gabe, sich seiner selbst zu entäußern und mit dem Recht als der jedermann bindenden Regel sich als für sie verantwortlich zu identifizieren. Menschen dieser Art gilt es aufzuspüren und zu gewinnen, nicht Meinungslose, sondern Menschen, die der eigenen Meinung wegen nicht machtgewillt sind, vielmehr sich eine Offenheit bewahren, ein Offensein, das sie im antiken Sinne zu Personen des Rechts macht, das immer ein Ausgleich der Konflikte ist. [Beifall] Ein Richter in diesem Sinne wird deshalb seine eigene Weltsicht, etwa den Personalismus, nicht als absolut und als jedes Andersdenken ausschließend zum Rechtssatz erheben, wie es leider in einem Urteil des Bundesgerichtshofs geschehen ist aus Anlaß der Frage, ob die schuldhafte Infektion eines Nasciturus mit Lues ihn nach der späteren Geburt zum Schadensersatz berechtige.

Auch die andere Frage, wie wir sie aus der Richterschaft hören, verstellt durch sich selbst den Weg zur Lösung, weil sie mir nicht richtig gefaßt zu sein scheint. Nicht was vor parteipolitischen Einflüssen schützt, sollte man suchen, sondern das Wie, die Art, die Mittel, solche Einflüsse zu neutralisieren, die in diesen Einflüssen wirkenden Mächte dienstbar zu machen und zu einem Ausgleich zu bringen. Denn diese Mächte sind nun einmal da, ja ich wage die Behauptung, diese um der Freiheit willen unentbehrlichen Parteiungen sind nicht nur etwas Unvermeidliches, sondern in einer Demokratie das Belebende. Nicht also sollten wir uns an die Sisyphusarbeit verlieren, was vor parteipolitischem Einfluß schützt, sondern wie wir die Kräfte ausgleichend und zum Ganzen rundend neutralisieren, um aus der Gesamtheit dieser Einflüsse die Neutralität der Rechtspflege schaffen und tragen zu lassen. Also hier ist dieser radikale Unterschied, daß einerseits angenommen wird, es sei etwas als weißer Fleck da und man müsse nur gewissermaßen einen Schutzdamm darum herumbauen, um die feindlichen Mächte fern zu halten, die da im Wege von Parteieinflüssen einsickern wollen, und diesen Damm könnte unter Umständen eine Kooptation der Richterschaft oder ihre Mitwirkung bei der Personalpolitik mit bilden, während meine sehr entgegengesetzte Auffassung die ist: Alles ist von diesen politischen Kräften erfüllt, und man soll sie im Gegenteil gerade sogar zum Tragen bringen, nur in einer Weise und mit Methoden, daß sie sich gegenseitig neutralisieren und ausgleichen, weil das Überparteilichwerden ein Ergebnis, in einer Institution erst etwas zu Leistendes ist. Daraus ergeben sich dann gewisse Gebote für das Weitere.

Das erste Gebot der geistigen Redlichkeit sollte es deshalb sein, die nun einmal unentbehrliche und nicht als richterliche Rechtserkenntnis vollziehbare Personalpolitik auf keine Weise zu tarnen, sondern im Gegenteil sie als solche zu kennzeichnen, und auf die einzige Weise zu bannen, die möglich ist: sie im hellen Lichte der Öffentlichkeit zu handhaben.

Das zweite Gebot ist die Forderung, den Richter nicht sich selbst zu einem Personalpolitiker zu entfremden, auch nicht durch diese Art- diese unbedingte Art – der Mitwirkung. Sein fachlicher und menschlicher Rat wird sogar schwerer wiegen, wenn der Rat unbefangen ohne das Interesse an eigener Hausmacht und ihrer Vermehrung das Wort eines Freien bleibt, der nichts für sich selbst will. Dieses richterliche Anrecht auf Gehör wird allerdings in seiner Bedeutung steigen, wenn man endlich der so unheilvollen Aufsplitterung der Gerichtsbarkeit Einhalt geböte, die unter vielen Vorwänden darauf ausgeht, getrennte Gerichtszweige in die Botmäßigkeit von Hausgerichtsbarkeiten zu bringen. [Beifall] Sehr richtig ist von Scheuner hervorgehoben, daß wir hier vor einem Krebsschaden stehen. Es sollte nicht verwundern, daß der Ruf nach einer Entfesselung der rechtsprechenden Gewalt gerade aus den Kreisen der Verwaltungsrichter kommt, zuerst gekommen ist. Die Selbständigkeit der Verwaltungsgerichte und in ihrem Gefolge das Rechtsstaatwidrige in Verfassung und Verfahren der besonderen Finanzgerichte sind ein böses Erbe des Absolutismus, der seine Macht keinem richterlich erkennbaren Recht unterwerfen wollte. Mit lauter Scheingründen haben die Verwaltungsrichter an der falschen Front gekämpft und gegen das Grundprinzip einer Unteilbarkeit der Rechtspflege verstoßen. Sie büßen diesen Fehler dadurch, daß sie sich jetzt in eine Abhängigkeit von der Verwaltung verstrickt sehen. Das Gewicht eines richterlichen Rates in der Personalpolitik, aber auch die Widerstandsfestigkeit der Gerichte als Gesamtheit gegen parteipolitische Übergriffe einer einseitig parteilichen Personalpolitik könnten durch die Einheit des Gerichtswesens erheblich verstärkt werden.

Das dritte Gebot ist Nüchternheit in der Erkenntnis, daß alle Politik parteipolitisch betrieben wird. Ich weiß, daß diese Medizin scheußlich bitter schmeckt. Man sucht deshalb das, was man Staatspolitik nennt, wie das verlorene Paradies oder die versunkene Krone. Aus der überkommenen Achtung vor der Obrigkeit, mit der man die Verwaltung gleichsetzt, klammert man sich an den Wunschtraum, daß die jeweilige Regierung staatspolitisch handele oder, wenn schon nicht die Regierung, dann doch der Gleichdenkende, dagegen immer der Andersdenkende nur parteipolitisch. In einer freiheitlich parlamentarischen Demokratie sind jedoch politisch-staatlich wie auch theologisch Obrigkeit sowohl die Mehrheit als auch die Minderheit, weil erst beide zusammen das sich selbst bestimmende Volksganze repräsentieren. Auch neigt gerade der durch seine Aufgabe des Rechtsbewahrens zum Konservativen erzogene Richter dazu, zu verkennen, daß geschichts- und staatenbildend stets zwei sich notwendig ergänzende Grundkräfte wirken – die eine, die beharrt, die andere, die verändern will, – und man unausweichlich für eine dieser beiden Kräfte Partei nehmen muß, also beide Strömungen politisch und parteilich sind. Als parteipolitisch wird stattdessen immer nur die Haltung bezeichnet, die einem gerade nicht paßt. Wenn wir uns klar machen würden, daß es nicht allein die Kräfte des uns entgegengesetzten Stromes sind, die Partei ergriffen haben, sondern ein jeder von uns mit seinem gesamten Denken und Dasein nur Teil und also Partei innerhalb des Ganzen ist, so würden wir uns von jener Täuschung, die unser politisches Leben bis zum kalten Bürgerkrieg verschärft, befreien, nur den Ort des anderen, nicht den eigenen als parteilich gering zu schätzen.

Dieses dritte Gebot der Nüchternheit in der Erkenntnis, daß gerade um der Freiheitlichkeit unseres Staatswesens willen alle Politik und darum auch Personalpolitik parteipolitisch betrieben wird, ein sich selbst bestimmendes Volk anders als durch Parteien gar nicht zu sich kommen kann, hat weittragende Folgen. Sie schließt es, wie Eberhard Schmidt mit Recht geltend gemacht hat, als Halbheit – das ist schon vorsichtig gesagt – aus, die Personalpolitik ganz in der Hand einer parteilich bestimmten Regierung zu lassen.

Das vierte Gebot verlangt von uns die Einsicht, daß sich das Ganze, worin alles Parteiliche aufgehoben ist, nur aus den Stücken und Teilen zusammenfügen läßt als ein Neues uns Aufgegebenes, das erst zu leisten ist, also nicht ersetzt werden kann dadurch, daß man mit bloß Einem (mag dies sogar das Staatsoberhaupt sein oder jenes quasi-richterliche Justizkollegium) das Vereinende zu ersetzen sucht. Ein pouvoir neutre läßt sich nicht als solches unmittelbar instituieren, sondern erst mittelbar aus der Neutralisierung der ins Gleichgewicht gebrachten Kräfte gewinnen. Hier erinnere ich an die Beschreibung der vielzähligen Mächte und Mächtigkeiten, denen sich der Mensch ausgesetzt sieht und von denen er sich als abhängig erfährt. Die Last dieser Mächte kann einzig durch ihren gegenseitigen Gewichtsausgleich aufgehoben werden, um dem Einzelnen Raum zu schaffen und für den Richter die Freiheit, die sein ihn ausmachendes Unabhängigsein bedeutet und ihm ermöglicht, nicht einer der Mächte, sondern dem Recht aller und des Ganzen zu dienen. Ein Versuch dieser Neutralisierung ist es, die Personalpolitik offen und erklärtermaßen mit in die Hand von Richterwahlausschüssen zu legen, deren parteipolitische Herkunft nicht einmal verschleiert werden darf, die aber durch mehrfache Gleichgewichte Neutralisierungen der Mächte oder Parteien werden und einen Entwurf zum Ganzen hin bilden sollen. Das eine Gleichgewicht wird durch die gegenseitige Hemmung zwischen der jeweiligen Verwaltung, dem Minister, und dem ihm gegenübergestellten Ausschuß in der Weise erzielt, daß keine der beiden Stellen ohne die andere entscheiden kann und nur der vereinte und übereinstimmende Wille gilt. Mir ist deshalb nicht einsehbar, warum der Herr Referent den von ihm vorgeschlagenen Ausschuß paritätisch zusammensetzen will, so daß der verantwortliche Minister auch im Ausschuß mit sitzt. Das ist verfassungsrechtlich nach meiner Auffassung nicht zulässig. Davon abgesehen aber wäre dabei gerade ein Haupteffekt des Gegenspiels von Minister und Ausschuß, die – um einen Ausdruck aus dem Prozeßrecht zu gebrauchen – zu duae conformes kommen müssen, durch eine Überstimmbarkeit der Regierungsmitglieder ja ausgelöscht.

Ein anderes Gleichgewicht ist die anteilige Mitwirkung der politischen Kräfte im Ausschuß, um die allein von der Zahl entschiedene Abstimmbarkeit zu Gunsten einer Verständigung abzuschwächen. Ich habe nicht verstehen können, warum der Herr Referent sogar besonders betont hat, die Parlamente sollten hier diese Ausschüsse nach dem Mehrheitsprinzip bilden. Dadurch würde ja die Gefahr parteipolitisch einseitiger Einwirkungen doch vergrößert, während alles darauf ankommt, einen höchstmöglichen Neutralisierungseffekt hervorzurufen. Denn die durch das MehrheitsprinzIp gekennzeichnete Abstimmbarkeit in der Demokratie kann als friedliches Mittel des Gestaltens erst dadurch Verbindlichkeit und Geltung gewinnen, daß sie im Schutz und auf dem Boden des gemeinsam Unabstimmbaren sich vollzieht, verkörpert in der Einigkeit über die Grundrechte, aber auch in der Einigkeit über das Unparteiliche als Wesen der Rechtsprechung. Ein weiteres Gleichgewicht kann in der Mitwirkung von Ausschußmitgliedern kraft Amtes, wie Hessen sie kennt, gesucht werden. Ich lehne also den Vorschlag des Herrn Referenten insoweit nicht grundsätzlich ab, insbesondere auch Richter durch die einzelne Gesetzgebung in solche Ausschüsse zu berufen, aber hier muß ich vor einem Übergewicht dieser Mitglieder und einer Überschätzung ihres Beitrages warnen und auf ein fünftes Gebot verweisen.

Das fünfte Gebot, das ich hier zur Diskussion stellen möchte, verpflichtet zu der Achtung davor, daß jeder Mensch, auch der richterliche Mensch, ein unvertauschbarer und gleichsam unendlicher Wert ist, weshalb nicht das Fachliche und schon gar nicht das Intellektuelle überwertig werden darf, sondern Richter-berufen Staat-bilden heißt und Staat zu rechtfertigen ist aus dem Vertrauen, das der Staat in freiwilliger Anerkennung gewinnt.

Meine Damen und Herren! So wenig, wie juristische Klugheit oder das vollendete juristische Wissen den besten Justizminister machen, sondern das politische und rechtspolitische Vertrauen, das ihm geschenkt wird, so sehr ist auch das Richterliche sowohl eine Verhaltensweise des ganzen Menschen als auch in seiner staatbildenden Art eine über die rechtsprechende Aufgabe weit hinauswirkende Mehrung des Vertrauens in die geschichtliche Selbstverwirklichung der Nation. So gesehen, gibt es für die Richterschaft weniger eine Vergleichbarkeit derselben Eigenschaften mehrerer Bewerber, also nicht nur die Steigerungsform der besseren Rechtskenntnis, der größeren Erfahrung oder des festeren Charakters oder was Sie wollen, also weniger diese Vergleichbarkeit als im Blickpunkt des Vertrauens für die Rechtspflege oft bedeutender noch den Wert der unvergleichbaren Verschiedenheit der einzelnen Persönlichkeiten. Keineswegs geschieht es aus einem unsachlichen Gesichtswinkel heraus, daß man das Ansehen der Reichs- und Bundesgerichte seit jeher im Volksganzen auch zu verwurzeln suchte, indem man jedes Land aus der Eigenart seiner Menschen heraus beitragen läßt, den Gerichtskörper zu bilden. Ein nur aus Nord- oder nur aus Süddeutschen berufenes Bundesgericht könnte sich nicht das runde Vertrauen erwerben wie ein Gericht aus der gemeinsamen Zusammenarbeit aller Stämme. Was aber landsmannschaftlich für die Stämme gilt, hat für das notwendige Vermögen an Vertrauen auch Bedeutung durch eine Vereinigung von Personen des verschiedenen Glaubens oder der andersartigen geistigen Welten. Ich bitte Sie, einmal sehr reiflich zu prüfen, ob nicht hier der echte und gesunde Kern dessen ist, was immer so sehr geringschätzig als die „parteipolitische Aufschlüsselung“ bezeichnet wird. Tief zu Unrecht hat man – ich muß das jetzt offen sagen, gerade weil ja vorhin gescharrt wurde ‚ das Bundesverfassungsgericht gekränkt durch das Gerücht, es sei parteipolitisch aufgeschlüsselt. Dieses Geflüster widerspricht nicht nur der geschichtlichen Wahrheit, weil der Bundesrat und das Wahlmännergremium des Bundestages zusammen einstimmig für jedes Mitglied des Bundesverfassungsgerichts die ungeteilte Verantwortung übernommen und sich um einen echten Ausgleich bemüht haben, sondern diese Bezichtigung ist auch blind gegenüber der Wirklichkeit, für die mit Grund ein Schatz an Rechtskenntnissen und ein Besitz an Lauterkeit, so unentbehrlich sie sind, allein noch nicht genug das Vermögen gerade dieses Gerichts ausmachen können, sondern dessen Reichtum an Vertrauen erst durch die Reichhaltigkeit der Geister in ihrem Verschiedensein erworben wird. Allerdings wählt man Personen andersartiger Denkwelt – mag es sich nun um die unergründlichen Ursprünge ihrer geistigen Form oder des Glaubens ihrer Seele handeln – nicht nun etwa deshalb, damit sie einen aus diesen Tiefen gespeisten Willen im Gericht verkörpern und ihr Wollen daraus nähren, wohl aber, um das Wissen des vereinten Gerichts von den Mannigfaltigkeiten der Sicht zu vollenden und den wirklichen Menschen, die in keinem freien Volk und am allerwenigsten gerade bei uns in Deutschland nach einem Soll genormt sind, auch zu beweisen, daß Richter ihrer Lebensart oder ihrer Glaubensheimat Hand in Hand mit den anderen in einer Zusammenarbeit und in einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung nicht etwa sich selbst, sondern über sich hinaus das Recht finden können. [Beifall] Das Maß an Vertrauen für ein Gericht kann also weder mit der Elle der Rechtskenntnisse seiner Mitglieder noch allein nach dem Gewicht ihrer charakterlichen Lauterkeit und Rechtschaffenheit gemessen werden, sondern es gewinnt seine letzte Fülle erst durch die integrierende Möglichkeit für jedermann, sich mit dem Gericht zu identifizieren, sich darauf zu verlassen, dort muß es Recht geben, unverbogenes Recht, weil auch meinesgleichen darin wirkt und den Spruch mit verantwortet. Wird das Personalpolitische als das durch Personenauswahl Gemeinschaftsbildende gesehen, so muß gerade dieser Gesichtspunkt auch zur Geltung kommen. Es sollte sehr zu denken geben, daß die auf sog. Selbstverwaltung gerichtete Strömung (so echt die Not ist angesichts des drohenden Übergewichts der nicht durch einen Ausgleich neutralisierten Mächte), daß diese Strömung eine durchaus negative Seite hat, weil sie mit harter Intoleranz darauf hinausläuft, gerade eine sehr entschiedene Geisteshaltung, die naturrechtliche, als die einzig anerkennenswerte zum Maßstab zu machen. Das Ziel bei einzelnen extremen Vertretern ist auch kaum, das Vertrauen in den von Parteien vermittelten und geformten Staat zu mehren, sondern umgekehrt, aus Mangel an Vertrauen in die rechtliche Überzeugungskraft einer parlamentarischen Gesetzgebung notfalls durch offene Gebotsberichtigung willensmäßig zu ändern, was dem eigenen Denken nicht zusagt. Ich kann dagegen den Gesichtspunkt der Legitimität und der Legitimation durch Vertrauen nicht klar genug betonen, gerade auch weil er ein aktiver und schöpferischer Gedanke politischer Art ist und dadurch die politische, nicht aber richterliche Denkweise deutlich macht, aus der heraus diese Entscheidungen zu treffen sind. Die sinnvollen Möglichkeiten einer richterlichen Mitwirkung in Richterwahlausschüssen sind daher je nach der Stufe und der Aufgabe eines Gerichts verschieden und jedenfalls in ihrem Wert begrenzt, – das möchte ich sagen – eng begrenzt. Dem beliebten Wunsch, dem Bundesgerichtshof einen möglichst großen Einfluß auf die Wahl des Bundesverfassungsgerichts einzuräumen oder etwa Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht durch eine Änderung des Grundgesetzes miteinander zu verschmelzen, muß ich die vielleicht ungern angehörte Beobachtung entgegenhalten, daß die bundesgerichtliche Rechtsprechung in Verfassungsfragen nicht ermutigend ist. Ich darf daran erinnern, wie wenig Verständnis der Bundesgerichtshof- immer nach meiner subjektiven Überzeugung – im ConstanzeUrteil) dem Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG entgegenbringt oder wie fremd seinem 1. Zivilsenat im Urteil vom 26. Jan. 1951 – zutreffend vom Bund für Bürgerrechte kritisiert – das Petitionsgrundrecht blieb oder wie erschreckend die Formulierung im Urteil seines 2. Strafsenats vom 21. Okt. 1951 ist, daß auch und gerade vor dem Führer der Opposition für ihn nicht bestimmte Kabinettsbeschlüsse im Interesse der ungestörten Arbeit der Bundesregierung als strafrechtlich geschützte Geheimnisse zu bewahren seien und öffentliche Interessen gefährdet werden könnten, wenn die demokratische Opposition mehr, als der Regierung lieb sei, aus den Kabinettssitzungen erfahre.

Ich erwähne diese Urteile, um darzutun, daß die Befähigung zum Bundesrichter noch keineswegs auch die zum Verfassungsrichter mit umschließt und durchaus noch nicht dazu legitimiert, an der Berufung von Verfassungsrichtern mitzuwirken. Eigenwert und Struktur des Politischen sind leider bei uns noch wenig bekannt, ja, meist nicht einmal erkannt und anerkannt. Ohne den Sinn für das Politische, insbesondere im Bereich der Rechtspflege den Sinn für das Personalpolitische und seine vertrauenschaffende Aufgabe kann aber eine Mitwirkung bei der Richterwahl nicht fruchtbar sein.

Nun will ich mit meinen Ausführungen beileibe nicht gesagt haben, daß die Arbeitsergebnisse der Richterwahlausschüsse durchweg befriedigend seien. Wir haben in den Ländern und im Bund verschiedenartige Richterwahlausschüsse und ihre Leistungen sind ebenfalls sehr unterschiedlich und weisen sehr wohl die Narben unserer menschlichen Unzulänglichkeit auf. Insbesondere ist auch meine Behauptung, alle Politik werde parteipolitisch betrieben, nicht so zu verstehen, daß jede Art und Weise der Parteinahme gute, d. h. staatsbildende Politik sei; anderenfalls hätte ich kaum Anlaß genommen, mich aus dem Richterwahlausschuß des letzten Bundestages sehr vorzeitig zurückzuziehen. Auch Richterwahlausschüsse können vor der außerordentlichen Aufgabe, neutralisierend zu wirken und dadurch das Parteiliche durch ein Gleichgewicht der Mächte aufzuheben, durchaus versagen. Dieses Versagen kann in einem Mangel an Eignung seiner Mitglieder begründet sein, aber auch institutionell in der Verletzung eines schon anfangs genannten Gebots, dem Erfordernis der Öffentlichkeit.

Dieses erste und letzte Gebot weist auf die heilsame Wirkung der Öffentlichkeit hin. Ich habe heute zum ersten Mal (von dem Herrn Referenten) gehört, daß auch Öffentlichkeit für die Gerichte gefährdend sein könnte. Für die Aufgabe jeder Politik, auch der Personalpolitik, nämlich die Aufgabe, Macht zu sammeln und Macht zu zerstreuen, weil es für den lebendigen Zusammenschluß der aufeinander angewiesenen Gemeinschaft so viel Macht wie nötig, aber so wenig Macht wie möglich geben muß, zur Überwindung dieses einer jeden Politik innewohnenden Widerspruchs ist die Öffentlichkeit unentbehrlich. Daher kann ich dem Gutachter, Herrn Prof. Dr. Ridder, trotz mancher überspitzter Formulierungen nur mit Nachdruck darin beipflichten, daß die lenkende und berichtigende Bedeutung der öffentlichen Meinung gar nicht hoch genug veranschlagt werden kann und letztlich der entscheidende Einwand gegen die sog. Selbstverwaltung in der Gefahr zu finden ist, im Innern der Gerichtsbarkeit heimlich einen autonomen Kreiselkompaß einzubauen, der den Kurs des Staatsschiffs bestimmt, ohne dem Gebot des Steuermanns unterworfen zu sein. Die sog. Selbstverwaltung würde an die Stelle der kontrollierbaren und weitgehend auch kontrollierten Mächte, von denen abhängig zu sein man scheut, das Joch einer unkontrollierten Macht setzen, deren Gewalt durch ihre Verborgenheit nur noch potenziert ist. Man wird es also als ein besonderes Verdienst des Gutachtens ansehen müssen, daß es unsere Frage als eine nur unselbständige behandelt hat, die nicht für sich allein erörtert werden kann, sondern daß es aus dem Wissen um Einheit und Geschlossenheit der Verfassung die Lösung aus der inneren Gesetzlichkeit des ganzen Staatsrechts aufweist. Darum ist es unerläßlich, sowohl die Zusammenhänge mit der allgemeinen Gliederung des Parteienstaates als auch die Einbettung in seine Grundrechte, insbesondere die Verbindung mit dem demokratischen Element der Öffentlichkeit, zu erkennen. Keine Institution ist so unmittelbar der Volksmacht ausgesetzt wie die der politischen Parteien. Die gegen die politischen Parteien gerichteten Angriffe können nicht verbergen, daß bewußt oder meist unbewußt sie nur als der Sack genommen werden, den man schlägt, während als Esel gemeint das Volk dahintersteht, wie denn auch die Bewegung zur Selbstverwaltung der Gerichte in einem ihrer Abgründe weniger auf eine Freiheit des Richters zum Recht als auf seine Unabhängigkeit vom Volk abzielt. Das Volk als Urheber aller Macht soll – das ist wieder nur in einigen extremen Auffassungen erkennbar – überspielt werden durch einen Griff, der entweder jene quasi-richterlichen Kollegien oder unmittelbar die von den Grundsätzen der Demokratie entfesselte Richterschaft zu einem geheimen Rat der Mächtigen wandelt, wodurch die Richter aufhören müßten, Richter zu sein, und Regenten würden. Das aber heißt, wie Rudolf Amelunxen ausgesprochen hat, die demokratische Staatsform selbst in Frage stellen. Es geht dann nicht mehr um mehr Richterlichkeit durch mehr Unabhängigkeit, sondern darum, daß Richter mehr als Richter werden wollen und alsdann weniger sein werden. Gewiß darf man sich der Sorge nicht verschließen, wie stark in unserer Zeit eine Vielzahl von Mächten den Menschen bedroht und darum auch den Richter in seinem eigensten Wesen der Unabhängigkeit gefährdet. Aber auf der Suche nach Heilkräften sollte man den Richtern nicht anraten, das farblose Schwarz ihrer schlichten Talare mit dem verführerischen Purpur des Herrschens zu vertauschen, vielmehr sehen, daß Öffentlichkeit nicht allein seit alters eine Gewähr für ein rechtsstaatliches und gerechtes Gerichtsverfahren ist, sondern auch für das Verfahren, das ein freies Volk in ein rechtsstaatliches Verfaßtsein bringt, ein Urgebot der Sicherheit vor parteilicher Übermacht ist. Öffentlichkeit ist auf vielfältige Weise nötig und möglich. Bezeichnend hat sich der Unterschied ausgewirkt, daß im Wahlmännergremium für das Bundesverfassungsgericht jedes Mitglied offen, dagegen im Richterwahlausschuß für die Bundesgerichte geheim abstimmt. Diese Geheimabstirnmung hat nicht selten dazu geführt, daß zwar in der meist dürftigen Aussprache nur Lob für den Bewerber zu hören war, die verborgene Wahl jedoch überraschend von einem heimlichen „Caucus“ gesteuert und der Bewerber aus unbekannten Gründen und dann vermutlich unsachlichen Gründen abgelehnt wurde, ohne daß einer mit seinem Namen dafür sich verantwortlich erklärte. Eine Reform des Bundesrichterwahlgesetzes sollte diese Geheimabstimmung beseitigen. Weit darüber hinaus aber ist zu beachten, daß ein solcher Eiferer für den Rechts- und Verfassungsstaat wie Werner Kaegi fordert, daß in der Schweiz die Bewerber für eine Wahl zum Bundesrichter frühzeitig der Öffentlichkeit vorgestellt und ihre Eignung vor dem weiteren Forum der Öffentlichkeit erörtert werden sollte, wobei Kaegi richtig die Verbindungslinie zwischen der Heilwirkung der Öffentlichkeit und der personalpolitischen Aufgabe der Vertrauensbildung zieht, weil es nach seiner Meinung der Rechtsprechung zugute kommt, die verschiedenen Volkskreise im Gericht vertreten zu sehen. Diese unentbehrliche Öffentlichkeit kann heute eine parlamentarische Kontrolle des verantwortlichen Ministers nicht mehr leisten. Mögen auch Gradunterschiede zwischen unseren Landtagen und unserem Bundestag bestehen, so wird man die Lage im Bundestag doch als symptomatisch nehmen können. Der Bundestag als solcher hat nicht nur keine Möglichkeit zur Einsicht in Personalakten, ja, er erfährt personalpolitische Entscheidungen – etwa in der Verwaltung – wenn überhaupt, dann erst nachträglich aus der Presse. Und ein Nachtusch gelegentlich einer Haushaltsdabette ist völlig wirkungslos und ungeeignet, die im Grundgesetz bestimmte Verantwortlichkeit des Ministers für seine Geschäftstührung zu verwirklichen. Der Weg des Grundgesetzes, durch die besondere Institution des Richterwahlausschusses einerseits den notwendig parteipolitisch bestimmten Minister und andererseits die Parteien in diesem Ausschuß rechtzeitig an einen Tisch zu bringen und gegenseitig zu entmachten, damit sie sich um eine ausgleichende Aufhebung der widerstreitenden Ansprüche wegen des Ganzen bemühen sollen, ist grundsätzlich zu bejahen, aber noch mehr einer Aufsicht der Öffentlichkeit zu unterwerfen. Ich stimme also insofern dem Prinzip zu, daß die Richterwahlausschüsse mit dem Minister zusammen der optimale Weg sind, ohne aber im einzelnen die mir sehr bedenklich erscheinenden Vorschläge des Herrn Referenten zu akzeptieren. In anderen und älteren Demokratien scheut man nicht davor zurück, den Bewerber um ein Richteramt, besonders um ein Bundesrichteramt, sogar erst öffentlich zu zeigen und zu verhören.

Worum geht es letzten Endes? Richter zu gewinnen, die nach einem Lutherwort der Welt die Wahrheit sagen. Man könnte das innerste Wesen der Unabhängigkeit nicht allein des Richters, sondern des Geistes überhaupt, die Unerschrockenheit nennen, sich unbeliebt zu machen. Denn wer vor den Schranken des Gerichts sein Recht sucht, ist ja in der Regel nicht der Mächtige, sondern der Schwache und Hilflose. Das Auge des Richters aber soll vor der Macht eine Binde tragen. Er darf darum am allerwenigsten den geheimen Mächten gerade seines eigenen Standes ausgeliefert und durch die scheinbare Selbstverwaltung im engsten und darum einflußreichsten Kreise botmäßig und sich selbst entfremdet werden. Die wachsame Öffentlichkeit muß sehen können, wer mit den Insignien des Richters ausgestattet und warum einer des Talars für würdig befunden wird. In der Hand eines solchen Mannes wird die Waage nicht zittern und wird nichts Gewicht haben als das Recht, das nicht der Richter nach seinem Gutdünken zuteilt, sondern das ein freies Volk zur eigengewollten Ordnung seiner Gemeinschaft sich selbst als gelebte und geliebte Regel schafft und tagtäglich erwirbt. [Beifall]

Rechtsanwalt Dr. Neuhäuser:

Meine Damen und Herren! Ich darf Herrn Dr. Arndt für sein Korreferat im Namen der Abteilung danken und damit die heutige Sitzung schließen.

[Die Sitzung wird auf den folgenden Vormittag vertagt.]

THESEN

zum Korreferat von Rechtsanwalt Dr. Adolf Arndt M. d. B.

I. Für die Organe, denen die rechtsprechende Gewalt anvertraut ist, empfiehlt sich keine Selbstverwaltung.

II. Eine Selbstverwaltung wäre auch mit den Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie und daher mit der Verfassung nicht vereinbar.

VORMITTAGSSITZUNG

AM 11. SEPTEMBER I953

DISKUSSION

Rechtsanwalt Dr. Neuhäuser:

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Sitzung der öffentlichrechtlichen Abteilung, die der Diskussion gewidmet ist. Es liegen bereits zahlreiche Meldungen vor. Deshalb sei mir eine kurze Vorbemerkung zur Geschäftsordnung erlaubt. Ich fürchte, daß wir uns ins Uferlose verlieren, wenn wir nicht von vornherein eine gewisse Beschränkung der Redezeit vornehmen. [Beifall, Zwischenruf: Nicht zu kurz!] Es ist eine einfache Rechnung, die wir dabei anstellen müssen: Auf der einen Seite besteht der berechtigte Wunsch, die Redezeit nicht zu kurz zu bemessen, auf der anderen Seite müssen wir uns klar sein, daß bereits in diesem Augenblick 20 Meldungen vorliegen. – Es wird eben der Vorschlag gemacht, zunächst einmal mit einer Zeit von 15 Minuten zu beginnen, und sich vorzubehalten, später die Redezeit weiter zu verkürzen. Ich darf davon ausgehen, daß dieser Vorschlag allgemeine Zustimmung findet.

Professor Dr. Eberhard Schmidt, Heidelberg.