Aus den „Federalist Papers“

Aus dem Text:

„…. Auf welches Mittel sollen wir zurückgreifen, um auch in der Praxis die in der Verfassung festgelegte Teilung der Gewalten zu gewährleisten? Darauf gibt es nur eine Antwort: Da all diese äußeren Maßnahmen sich als unzureichend erwiesen haben, muß der Mangel behoben werden, indem die innere Struktur des Regierungssystems so gestaltet wird, daß dessen konstitutive Elemente durch ihre wechselseitigen Beziehungen selbst zum Mittel werden, den jeweils anderen Teil in seine Schranken zu verweisen. ….

 

 

James_Madison

James Madison

Die „Federalist Papers“: Streitschrift, Verfassungskommentar und politische Theorie der amerikanischen Verfassungsväter

[Auszug (Kurzzitat) aus

Die Amerikanische Revolution und die Verfassung 1754 – 1791

Deutscher Taschenbuch Verlag – dtv dokumente , Stuttgart 1987]

 

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13. Kapitel

Eines hat die Epoche der Amerikanischen Revolution und Verfassungsvereinbarung nicht hervorgebracht: eine systematische Darlegung der politischen Theorie der Gründerväter von 1776 und 1787 auf dem Reflexionsniveau etwa der ihnen bestens vertrauten „Two Treatises of Government“ von John Locke. Ihre ausgeprägten politischphilosophischen Leitvorstellungen fanden immer nur Ausdruck in unmittelbarem Zusammenhang mit der öffentlichen politischen Auseinandersetzung, die den Widerstand gegen die englische Kolonialherrschaft und die Gründung des unabhängigen Nationalstaats begleitete. So war es denn auch eine Streitschrift, die Serie von 85 Zeitungsartikeln, in denen Alexander Hamilton, James Madison und John Jay die New Yorker von den Vorzügen des Verfassungsentwurfs von 1787 zu überzeugen versuchten, die zum authentischen Verfassungskommentar und zur Summa der politischen Theorie der amerikanischen Verfassungsvater geworden ist. Einer ihrer besten Kenner, der Politikwissenschaftler Clinton Rossiter, hat ihr in seiner Edition von 1961 zu Recht als nach Unabhängigkeitserklärung und Verfassung den dritten Platz unter den „heiligen Schriften“ [sacred writings] der amerikanischen Politikgeschichte zugewiesen. Zwischen dem 27. Oktober 1787 und dem 28. Mai 1788 erschienen 77 der Artikel unter dem Kollektivpseudonym „Publius“ in mehreren New Yorker Zeitungen und zusammen mit acht zusätzlichen Artikeln als zweibändige Schrift unter dem Titel „The Federalist“ (New York 1788).

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168. „Machtstreben muß Machtstreben entgegenwirken“: Madison im 51. „Federalist“- Artikel, 6. Februar 1788

Gewaltenteilung [separation of powers] war für die amerikanischen Verfassungsväter kein Selbstzweck und bedeutete deshalb nicht ein säuberlich voneinander abgegrenztes Nebeneinander von Kompetenzen, sondern ein Gegeneinandersetzen verschränkter Kompetenzen mit dem Ziel der gegenseitigen Machtkontrolle. Das psychologische Prinzip der Organisation republikanischen Regierens brachte Madison daher auf die Formel: „Machtstreben muß Machtstreben entgegenwirken.“

„Auf welches Mittel sollen wir zurückgreifen, um auch in der Praxis die in der Verfassung festgelegte Teilung der Gewalten zu gewährleisten? Darauf gibt es nur eine Antwort: Da all diese äußeren Maßnahmen sich als unzureichend erwiesen haben, muß der Mangel behoben werden, indem die innere Struktur des Regierungssystems so gestaltet wird, daß dessen konstitutive Elemente durch ihre wechselseitigen Beziehungen selbst zum Mittel werden, den jeweils anderen Teil in seine Schranken zu verweisen. Ich will hier keinen vollständigen Abriß der Entwicklung dieses wichtigen Gedankens versuchen, sondern nur einige wenige allgemeine Beobachtungen vortragen, die vielleicht ihren Beitrag dazu leisten können, Prinzipien und Struktur des vom Konvent vorgeschlagenen Regierungssystems besser beurteilen zu können.

Um eine angemessene Grundlage für eine getrennte und spezifische Ausübung der verschiedenen Regierungsgewalten zu schaffen, wie sie bis zu einem gewissen Grad von allen Seiten als wesentlich zur Erhaltung der Freiheit anerkannt wird, muß offensichtlich jede Gewalt einen eigenen Willen haben und also so konstituiert sein, daß die Mitglieder einer Gewalt so wenig wie möglich mit Ernennung oder Wahl der Mitglieder der anderen zu tun haben. Wo dieses Prinzip durchgängig befolgt wird, müßten alle Ernennungen oder Wahlen zur höchsten ausübenden, gesetzgebenden und richterlichen Gewalt sich allein von der Autorität des Volkes herleiten, und zwar jeweils auf Wegen, die untereinander keinerlei Verbindung haben. Möglicherweise wäre ein derartiges Konzept für den Aufbau der verschiedenen Gewalten in der Praxis weniger schwierig, als es rein theoretisch erscheint. Allerdings würden einige Schwierigkeiten und zusätzliche Kosten mit seiner Durchführung verbunden sein. Man muß deshalb gewisse Abweichungen vom Prinzip zulassen. Besonders bei der Konstituierung der richterlichen Gewalt ist es wahrscheinlich unzweckmäßig, starr an diesem Prinzip festzuhalten: zum einen, weil für deren Mitglieder besondere Qualifikationen ganz unerläßlich sind und also primär der Auswahlmodus gesichert sein muß, der diese Qualifikationen gewährleistet; und zweitens, weil die Ernennung auf Lebenszeit bei denMitgliedern dieser Gewalt bald jedes Gefühl von Abhängigkeitgegenüber der Autorität, von der das Amt verliehen wurde, erlöschen läßt.

Ebenso klar ist, daß die Mitglieder der verschiedenen Gewalten für die mit ihrem Amt verbundenen Vergütungen so wenig wie möglich von den anderen abhängig sein sollten. Wenn die Mitglieder der Exekutive oder die Richter in diesem Punkt von der Legislative nicht unabhängig sind, dann bestünde ihre Unabhängigkeit auch in jeder anderen Hinsicht nur dem Namen nach. Aber die wichtigste Sicherung vor einer allmählichen Konzentration der verschiedenen Gewalten in einer Hand besteht darin, den Amtsinhabern der verschiedenen Gewalten die nötigen verfassungsmäßigen Mittel und persönlichen Anreize an die Hand zu geben, Übergriffe der anderen abzuwehren. Die Vorkehrungen für eine Verteidigung müssen in diesem wie in allen anderen Fällen der voraussichtlichen Stärke der Bedrohung entsprechen. Machtstreben muß Machtstreben entgegenwirken. Zwischen dem persönlichen Interesse des Amtsinhabers und den Verfassungsrechten des Amtes muß ein innerer Zusammenhang bestehen. Es wirft ein schlechtes Licht auf die menschliche Natur, daß solche Vorkehrungen nötig sind, um einen Mißbrauch der Macht im Staat zu verhindern. Aber wirft nicht die Notwendigkeit der Existenz des Staates schon an sich ein schlechtes Licht auf die menschliche Natur? Wenn die Menschen Engel wären, so brauchten sie keine Regierung. Wenn Engel über die Menschen herrschten, dann bedürfte es weder innerer noch äußerer Kontrollen der Regierenden. Entwirft man jedoch ein Regierungssystem, in dem Menschen über Menschen herrschen, dann besteht die große Schwierigkeit darin: es zuerst zur Herrschaft zu befähigen, und es dann darauf zu verpflichten, sich selbst unter Kontrolle zu halten. Die Abhängigkeit vom Volk ist zweifellos das beste Mittel, staatlicher Macht Schranken zu setzen; aber die Menschheit hat aus Erfahrung gelernt, daß zusätzliche Vorkehrungen nötig sind.

Diese Strategie, das Fehlen edlerer Motive durch ein Gegeneinander rivalisierender Interessen zu ersetzen, kann man in allen menschlichen Angelegenheiten, seien sie privater oder öffentlicher Natur, verfolgen. Das wird besonders bei der Verteilung der Macht an untergeordneter Stelle deutlich, wo es permanentes Ziel sein muß, die verschiedenen Funktionen so aufzuteilen und zu organisieren, daß ihre Träger sich gegenseitig in Schach halten, und somit das persönliche Interesse jedes einzelnen als Wächter für die Rechte der Gesamtheit fungiert. Dieses von der Vernunft ausgeklügelte Vorgehen ist für die Sicherung der höchsten Gewalt im Staat nicht weniger erforderlich.

Allerdings kann man nicht jeder der drei Gewalten gleich viel Macht zur Selbstverteidigung geben. In einem republikanischen Regierungssystem dominiert notwendig die Legislative. Eine mögliche Abhilfe für dieses Problem ist es, die in unterschiedliche Kammern aufzuteilen und deren Gemeinsamkeiten durch einen unterschiedlichen Wahlmodus und unterschiedliche Grundsätze für ihre Tätigkeit so weit zu reduzieren, wie es das Wesen ihrer gemeinsamen Abhängigkeit von der Gesellschaft zulassen. Dabei kann es sogar notwendig werden, gefährliche Übergriffe durch zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen abzuwehren. Ebenso wie das große Gewicht der Legislative deren Teilung erfordert, kann sich aus der relativen Schwäche der Exekutive die Notwendigkeit ergeben, diese zu stärken. Ein absolutes Vetorecht gegenüber der Legislativen erscheint auf den ersten Blick als die logische Waffe, mit der die Exekutive ausgestattet werden müßte. Aber vielleicht wäre das weder völlig sicher noch für sich allein ausreichend. Im Normalfall wird es vielleicht nicht mit der nötigen Entschiedenheit angewandt und in Ausnahmefällen möglicherweise heimtückisch mißbraucht werden. Vielleicht kann man diesen Fehler eines absoluten Vetos durch eine qualifizierte Verbindung zwischen der schwächeren Gewalt und der schwächeren Kammer der stärkeren Gewalt beheben, so daß letztere die verfassungsmäßigenRechte der ersteren unterstützt, ohne von den Rechten der eigenen Gewalt zu sehr losgelöst zu werden.

Wenn die Grundsätze, auf denen diese Überlegungen beruhen, richtig sind – wovon ich überzeugt bin – und als Kriterium an die verschiedenen Einzelstaatsverfassungen ebenso wie an die Bundesverfassung angelegt werden, dann wird zwar auch letztere diesem Kriterium letztlich nicht gerecht werden, aber erstere halten ihm noch viel weniger stand.

Darüberhinaus gelten besonders zwei Überlegungen für das föderative System Amerikas, die dieses System in einem sehr interessanten Licht erscheinen lassen.

Erstens. In einer einfachen Republik wird alle vom Volk abgetretene Gewalt einer einzigen Regierung zur Ausübung übertragen; Übergriffe werden durch die Teilung in streng und deutlich voneinander abgegrenzte Gewalten innerhalb des Regierungssystems erreicht. In der komplexen [compound] Republik Amerikas wird die vom Volk abgetretene Gewalt zunächst zwischen zwei Regierungssystemen aufgeteilt und dann der jeweilige Anteil der Macht zwischen den unabhängigen und genau abgegrenzten Gewalten unterteilt. Für die Rechte des Volkes ergibt sich daraus eine doppelte Sicherheit. Die beiden unterschiedlichen Regierungssysteme kontrollieren sich gegenseitig und werden intern nochmals selbst kontrolliert.

Zweitens. Es ist in einer Republik von großer Bedeutung, nicht nur die Gemeinschaft vor der Unterdrückung der Herrschenden zu schützen, sondern auch den einen Teil der Gemeinschaft vor der Ungerechtigkeit des anderen Teils zu bewahren. Unterschiedliche Klassen von Staatsbürgern haben notwendig unterschiedliche Interessen. Wenn die Mehrheit ein gemeinsames Interesse hat, sind die Rechte der Minderheit nicht sicher. Man kann diesem Übel auf zwei Wegen abhelfen: Entweder durch die Schaffung eines von der Mehrheit – also von der Gemeinschaft selbst – unabhängigen Willens oder durch Einbeziehung so vieler unterschiedlicher Arten von Bürgern in die Gemeinschaft, daß ein unrechter Zusammenschluß zu einer Mehrheit außerordentlich unwahrscheinlich, wenn nicht ganz unmöglich wird. Der erste Weg wird in allen Staaten beschritten, in denen die höchste Gewalt erblich oder selbsternannt ist. Das schafft bestenfalls eine äußerst prekäre Sicherheit, weil eine von der Gemeinschaft unabhängige Macht sich sowohl der unrechten Ansichten der Mehrheit als auch der gerechten Interessen der Minderheit annehmen oder sich sogar gegen beide stellen kann. Für den zweiten Weg bildet die föderative Republik der Vereinigten Staaten ein Beispiel. Während alle Autorität von der Gemeinschaft ausgeht und von ihr abhängt, ist die Gemeinschaft selbst in so viele Teile, Interessen und Klassen ihrer Bürger gespalten, daß die Rechte des einzelnen oder der Minderheit nur wenig von gezielten Interessenzusammenschlüssen der Mehrheit zu befürchten haben. In einem freien Staat müssen die Bürgerrechte ebenso gesichert sein wie die religiösen Rechte. Ihre Sicherheit besteht in dem einen Fall in der Vielzahl der Interessen, im anderen Fall in der Vielzahl der Sekten. Der Grad der Sicherheit wird in beiden Fällen von der Anzahl der Interessen bzw. Sekten abhängen, die ihrerseits vermutlich von der Größe des Landes und seiner Bevölkerungszahl innerhalb eines Herrschaftsbereichs abhängen. Diese Darlegungen werden allen ernsthaften und bedächtigen Freunden der republikanischen Regierungsform gerade das föderative System als Lösung besonders nahelegen, da sie belegen, wie genau in dem Maß, in dem das Gebiet der Union in enger begrenzte Konföderationen oder Staaten aufgeteilt wird, unterdrückerische Zusammenschlüsse der Mehrheit zur Unterdrückung der anderen leichter möglich werden. Der beste Schutz zur Sicherung der Rechte aller Gruppen von Bürgern in republikanischen Staaten aber würde dadurch geschwächt und infolgedessen müßten Stabilität und Unabhängigkeit eines Teils des Regierungssystems, als einzig denkbarer sonstiger Schutz dieser Rechte, im gleichen Maße vergrößert werden. Gerechtigkeit ist das Anliegen eines Staates. Sie ist das Ziel der bürgerlichen Gesellschaft. Man hat darum gerungen und wird solange darum ringen, bis man sie erlangt oder in ihrem Verfolg die Freiheit verloren hat. In einer Gesellschaft, deren Strukturen es zulassen, daß sich eine stärkere Faktion mit Leichtigkeit zusammentun und die schwächere Faktion unterdrücken kann, in einer solchen Gesellschaft kann man wahrlich sagen, es herrsche Anarchie wie im Naturzustand, wo der Schwächere nicht sicher sein kann vor der Gewalttätigkeit des Stärkeren. Und so wie im Naturzustand auch die Stärkeren durch die Ungewißheit ihres Zustandes veranlaßt werden, sich einer Regierung unterzuordnen, die die Schwächeren genau wie sie selbst schützt, so werden auch in dem oben genannten System die mächtigeren Faktionen oder Parteien aus ähnlichen Motiven sich ein Regierungssystem wünschen, das alle Parteien, die schwächeren und die mächtigeren, schützt. Kaum einer wird bezweifeln wollen, daß – sollte sich der Staat Rhode Island vom Staatenbund trennen und allein weiter existieren – sich die Unsicherheit der Freiheitsrechte auch unter einer auf dem Volkswillen beruhenden Regierungsform in einem so kleinen Staat in der permanenten Unterdrückung durch faktiöse Mehrheiten äußern würde und bald der Ruf nach einer vom Volk ganz unabhängigen Macht von eben den Faktionen erklingen würde, deren Mißherrschaft sie notwendig gemacht hat. In der großflächigen Republik der Vereinigten Staaten und bei der großen Vielfalt an Interessen, Parteien und Sekten, die in ihren Grenzen existieren, kann sich eine Mehrheitskoalition der ganzen Gesellschaft nur ganz selten auf der Basis anderer Grundsätze als denen der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls ergeben. Damit ist die Gefahr für eine kleinere Partei aufgrund der Willkür einer größeren Partei geringer, und es bestehen auch weniger Vorwände, die Sicherheit ersterer durch die Schaffung einer von letzterer unabhängigen Gewalt [also etwa eines Monarchen] zu schützen oder anders ausgedrückt einer von der Gemeinschaft unabhängigen Gewalt. Es ist ebenso sicher wie wichtig, und das trotz aller vorgebrachten gegenteiligen Meinungen, je größer eine Gemeinschaft ist, vorausgesetzt ihre Ausdehnung hält sich in praktikablen Grenzen, um so besser geeignet ist sie für die Selbstregierung. Und zum Glück für die republikanische Sache sind diese Grenzen sehr weit dehnbar, wenn man das föderative Prinzip klug den Gegebenheiten anpaßt und graduell anwendet“.

In: New York Journal, 6.2. 1788, nach: Rossiter (Hrsg.), Federalist Papers, S. 320 – 325.

Am 2. Juli 1788, zwölf Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung, stellte der Präsident des Kontinentalkongresses offiziell die Ratifizierung der Bundesverfassung fest. Für den 4. Februar 1789 wurde die Wahl des ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten und für den 4. März 1789 der Zusammentritt des ersten Repräsentantenhauses und des Senats angesetzt. Mit der Übernahme des Präsidentenamtes am 30. April 1789 in New York dokumentierte George Washington, der Heerführer des Unabhängigkeitskrieges, die Kontinuität von Revolution und Nationalstaatsgründung.

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