Bessere Politik durch mehr Gewaltenteilung

Aus dem Text:

„….Das Niveau der Politik wird in erster Linie von den Politikern bestimmt und wer dieses Niveau beklagt, soll einen Blick auf die werfen, die er gewählt hat. Aber er sollte auch die Strukturen und Spielregeln in Betracht ziehen, die den Rahmen deutscher Politik abgeben und die offenbar unsere Politiker erst ermöglichen…. Heute bevölkern vor allem Lehrer und andere Beamte in den alten und Ingenieure in den neuen Ländern die Volksvertretungen; man muss diesen Umstand sogar noch wertschätzen, weil diese Abgeordneten anders als die reinen Parteifunktionäre oder Nurpolitiker, die von der Universität über Stabstellen aller Art bereits in jungen Jahren in wichtige politische Funktionen einrücken, wenigstens zeitweise das Leben des von ihnen vertretenen Volkes mitgelebt haben….Wenn Staatskunst sich in der Fertigkeit erschöpft, Ämter zu erringen und diese dann mit allen Mitteln festzuhalten, dann muss Folge dieser Pervertierung der Weg in die Staatskrise sein ….“

 

Bessere Politik durch mehr Gewaltenteilung

– eine ungewöhnliche Reformperspektive –

von Christoph Jestaedt, Dresden

Die Gewaltenteilung, der die Vorstellung zugrunde liegt, dass die eine Staatsgewalt von gesonderten Staatsorganen ausgeübt wird, ist ein Kind der Neuzeit. Zum einen setzt sie den Staat und seine souveräne öffentliche Gewalt voraus, die erst im 16. Jahrhundert in den religiösen Auseinandersetzungen entstehen. Zum anderen setzt sie die Bereitschaft voraus, diese einheitliche Staatsgewalt nicht nur von einem Staatsorgan ausüben zu lassen. Die Gewaltenteilung ist damit das Gegenstück zu jeder Form von Absolutismus, komme dieser nun wie der monarchische Absolutismus ohne eine Verfassung oder wie bei den modernen Diktaturen mitunter auch im Gewand einer Verfassung, die beispielsweise einen „demokratischen Zentralismus“ oder das „Führerprinzip“ festschreibt, daher.

Die Gewaltenteilung bedarf um ihres besseren Funktionierens willen einer Verfassung und ihre unterschiedlichen Ausprägungen können wir daher an den Verfassungsstaaten dieser Erde beobachten. Gewaltenteilende Strukturen und Regeln sollten festliegen, da sie sonst leicht eines Teils ihrer Wirkung beraubt werden könnten. Ob letztendlich die Verfassung auch in Schriftform vorliegt oder wie in England als verfestigte Verfassungs-Tradition die Jahrhunderte überdauert, ist ein Randproblem.

Mit dem Prinzip der Gewaltenteilung allein wird man kaum Staat machen können, denn es beantwortet wichtige Fragen nicht, beispielsweise die Frage, wo kommt die Macht her, wer ist die Quelle der Souveränität? Die Gewaltenteilung setzt vielmehr bei einer gegebenen Macht an und versucht deren Ausübung so zu reglementieren, dass Freiheit gesichert wird. Von daher – und das zeigt die Geschichte sehr deutlich – ist die Gewaltenteilung in allen bisher bekannten konkreten Ausprägungen des Verfassungsstaates anzutreffen – mal mehr mal weniger; sie war Kernstück der konstitutionellen Monarchien, sie ist Kernstück konstitutioneller Republiken und auch die parlamentarischen Monarchien und die parlamentarischen Republiken wollen nicht auf sie verzichten.

Das Monarchische Prinzip und die Volkssouveränität geben im Wesentlichen Auskunft auf die Frage, von wem die Staatsgewalt ausgeht, lassen aber das Wie der Ausübung der Staatsgewalt weitgehend offen. Genau da eröffnet sich das Wirkungsfeld für das Strukturprinzip Gewaltenteilung. Es entspricht aus schmerzlichen Erfahrungen gewonnener menschlicher Weisheit, dem Mißbrauch von Macht vorzubeugen, denn die Erfahrung lehren, dass jede Macht zum Mißbrauch reizt – und das unabhängig davon, von wem die Staatsgewalt letztendlich ausgeht. Nicht nur Könige haben die Macht mißbraucht, auch demokratisch vermittelte Macht wurde und wird oft genug in einer Weise eingesetzt, die man nur als mißbrächlich bezeichnen kann. Aber auch hier wird deutlich, dass der Verfassungsstaat mit seiner in aller Regel „gemischten Verfassung“ von einem funktionierenden Zusammenspiel mehrerer Verfassungsprinzipien lebt. Dieses Zusammenspiel sollte immer wieder überprüft und gegebenenfalls auch nach oder sogar neu justiert werden, damit der Verfassungsstaat seine innere Dynamik behält und so eine Staatsordnung konstituiert, die zu den sich ändernden Zeiten mit ihren wechselnden Problemkonstellationen einen immer aufs Neue adäquaten Rahmen zur Realisierung des Gemeinwohls bereithält. Dies gilt vor allem dann, wenn sich im Laufe der Zeiten gesellschaftliche oder staatliche Machtfaktoren herausbilden, die in der Lage sind, die staatliche Machtausübung weitgehend organübergreifend zu bestimmen, die Gewaltenteilung im Einzelfall zu unterlaufen oder gar in der Sache trotz Fortbestehens des normativen Kostüms der Gewaltenteilung diese aufzuheben. Dieser Tendenz zur Monopolisierung der Machtausübung muss der gewaltenteilende Verfassungsstaat auch dann widerstehen, wenn die Beeinträchtigung oder gar die Beseitigung der Gewaltenteilung in demokratischen Pantoffeln daherkommt. Solch ein Faktor war in der Vergangenheit beispielsweise die Armee, die ein Staat im Staate sein wollte, heute sind es vor allem die Parteien, die ihren Parteienstaat aufbauen, den das Grundgesetz so, wie er sich derzeit darstellt, jedenfalls nicht gewollt hat.

Nach Art 21 GG sind die Parteien zur Mitwirkung bei der Willensbildung des Volkes berufen. Sie sollen Assistenten des Volkssouveräns, seine Helfer sein, aber wer sie heute agieren sieht, denkt unvermittelt an die letzten Merowingerkönige, die von ihren Helfern, den Hausmeiern, erst bevormundet und dann geschoren und ins Kloster geschickt worden sind. Zwar wird man den Volkssouverän kaum am Ende ins Kloster schicken, weil es so viele Klöster nicht mehr gibt, aber desto übler fällt seine Bevormundung aus. Alle vier Jahre darf er wählen, der Volkssouverän, umgeben von ihm schmeichelnden und auf die niedrigen Instinkte abzielenden Parteien, die ihm in gespielter Auseinandersetzung ihre Mogelpackungen reichen, bei deren Öffnung immer das gleiche weiße Soßenpulver zum Vorschein kommt.

Das Niveau der Politik wird in erster Linie von den Politikern bestimmt und wer dieses Niveau beklagt, soll einen Blick auf die werfen, die er gewählt hat. Aber er sollte auch die Strukturen und Spielregeln in Betracht ziehen, die den Rahmen deutscher Politik abgeben und die offenbar unsere Politiker erst ermöglichen. Warum ist nicht ein Wirtschafts- oder Gewerkschaftsführer im Bundestag, warum sucht man vergeblich einen Medizinprofessor wie den großen Virchow aus dem kaiserlichen Reichstag? Warum ist Rürup nicht SPD-Abgeordneter und Kirchhof CDU-Abgeordneter im Deutschen Bundestag? Die Antwort ist einfach und erschreckend zugleich: die beiden Professoren sind für den Beruf des Abgeordneten in seiner heutigen Form bei weitem überqualifiziert. Die Zeiten, in denen man in Deutschland von einem „Professorenparlament“ reden konnte, sind lange vorbei. Heute bevölkern vor allem Lehrer und andere Beamte in den alten und Ingenieure in den neuen Ländern die Volksvertretungen; man muss diesen Umstand sogar noch wertschätzen, weil diese Abgeordneten anders als die reinen Parteifunktionäre oder Nurpolitiker, die von der Universität über Stabstellen aller Art bereits in jungen Jahren in wichtige politische Funktionen einrücken, wenigstens zeitweise das Leben des von ihnen vertretenen Volkes mitgelebt haben.

Gefragt ist Loyalität gegenüber der Partei und nicht Sachverstand, der einen Gesetzgeber sein Handwerk erst seriös ausüben lassen könnte. Daher braucht man auch die Zufuhr des Sachverstands von außen und so eröffnet sich ein ungeahntes Betätigungsfeld für beamtete und nichtbeamtete Fachleute bis in Unternehmensvorstände hinein sowie für elder statesmen, denen allen gemeinsam ist, dass sie einen Einfluss ausüben dürfen, der demokratisch in keiner Weise legitimiert ist. Ein kastrierter Parlamentarismus muss auf diesen von der Verfassung nicht vorgesehenen Notbehelf zurückgreifen, weil in den Reihen unserer Politiker so wenig Sachverstand anzutreffen ist, dass diese zu einer eigenständigen Gesetzgebung kaum in der Lage wären.

Wie grotesk die inzwischen eingetretene Lage ist, zeigt die beliebte Klage, dass unsere Rechtsordnung so ungeheuer kompliziert sei. Da mag etwas dran sein, aber grotesk ist, dass diese Klage vor allem aus dem Munde von Politikern zu hören ist, die fast alle an der Rechtsetzung mitwirken können. Sie merken offenbar noch nicht einmal, dass sie die beklagenswerten Folgen ihres eigenen Tuns und damit ihr eigenes Versagen zum Thema machen.

Bedenklich muss stimmen, dass bei den derzeit erreichten Verhältnissen der Sachverstand eines Rürup, eines Kirchhof oder manchen anderen brillanten Fachmanns nur von außen kommen kann, weil fachlich kompetenten Abgeordneten diesen Kalibers das jeweilige Partei- und Fraktionsestablishment verwehren würde, von innen zu wirken; schließlich will man die Linie, auf der gedacht, geredet und dann die Hand gehoben wird doch selbst bestimmen – durch In-sich-Abstimmung in den oligarchischen Parteizirkeln, in denen inzwischen keiner mehr seine Position wegen seines fachlichen Könnens erreicht hat. Anderenfalls könnte doch die heilige Geschlossenheit der Partei und der Fraktion in Frage gestellt sein, die angeblich allein den Machterhalt sichern soll. Selbst von Berufs wegen kritische Journalisten sekundieren der eigenartigen Einschätzung, dass der Wähler angeblich jeden erdenklichen Unsinn gerne hinnehmen oder übersehen wird, solange er nur von einer Partei geschlossen vertreten wird.

Wenn Staatskunst sich in der Fertigkeit erschöpft, Ämter zu erringen und diese dann mit allen Mitteln festzuhalten, dann muss Folge dieser Pervertierung der Weg in die Staatskrise sein. Eine Staatsordnung, die eine solche Abirrung auf Dauer zuläßt, stellt sich selbst in Frage. Die Erfahrungen mit der Weimarer Republik, die mindestens ebenso an dem Versagen ihrer zwar demokratischen, aber das Gemeinwohl sträflich ausblendenden Partei-Politikern wie an dem Ansturm ihrer Feinde zugrunde gegangen ist, sind längst historisch aufgearbeitet und könnten genutzt werden.

Stattdessen werden Scheinthemen diskutiert. Der Föderalismus soll angeblich schuld an der Misere sein. Nicht unschwer erkennt man den Grund dieser Spiegelfechterei und ist verstimmt. Einige Parteipolitiker im Bund wollen den ihnen lästigen Bundesrat entmachten und einige Parteipolitiker in den Ländern würden hierzu die Hand reichen, wenn sie im Gegenzug von von ihnen als lästig empfundenem Bundesrecht befreit würden. Es wird weisgemacht, in den neuen Länder gäbe es längst „blühende Landschaften“, wenn die hier Mächtigen sich das Recht aussuchen könnten, unter dessen Geltung sie gerne ihre innovative Politik machen wollen. Auch dieser Angriff auf den Föderalismus ist im Übrigen gleichzeitig ein Angriff auf die Gewaltenteilung, denn die föderale Struktur des Grundgesetzes ist nichts anderes als eine vertikale Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern, die die Machtverteilung im Bundesstaat bisher sehr freiheitssichernd geregelt hat.

Wenn man unterstellt, dass die Änderung von Strukturen und Regeln Politiker zur Änderung eingefahrener Verhaltensweisen bewegen könnten, wäre zu fragen, ob und wie eine Revitalisierung der Gewaltenteilung Abhilfe schaffen könnte.

Es dürfte auf der Hand liegen, dass in einer Staatsordnung, in der die Regierung und das Parlament bei ihrer jeweiligen Bestellung sauber von einander getrennt wären und gleichwohl zusammenarbeiten müßten, die Parteien es zumindest sehr viel schwerer hätten, über die Bande zu spielen und verfilzend zu verbinden, was nicht zusammengehört. Eine Regierung, die von einem durch das Volk direkt gewählten Präsidenten bestellt würde (wie in Frankreich) oder ein direkt vom Volk gewählter Chef der Exekutive (wie in den USA) bei gleichzeitiger Inkompatibilität der Mitgliedschaft in der Exekutive und in den gesetzgebenden Körperschaften würden die Parteien schnell um ihren derzeitigen gewaltenübergreifenden Einfluss bringen. Die gewählten Volksvertreter würden die politische Kontrolle der Exekutive und ihre Aufgabe, an den politischen Grundentscheidungen und der Gesetzgebung mitzuwirken, wahrnehmen können unabhängig von der Frage, ob sie damit dem Interesse an Erringung oder Erhalt von Macht ihrer jeweiligen Partei dienen, denn ihre Positionierung in der Sache würde über die Existenz der von ihnen nicht mehr abhängigen Regierung nicht mehr entscheiden. Die Regierung ihrerseits könnte für die von ihr für richtig erachtete Politik sich immer wieder neue und das heißt vor allem wechselnde Mehrheiten suchen. Die in der Atmosphäre des verfilzten Verhältnisses der Regierung und „ihrer“ Regierungsmehrheit gewachsene Sicht, es reiche bei politischen Problemen aus, Handlungsfähigkeit zu zeigen und die Probleme eben nicht zu lösen, würde schnell aufgebrochen, weil durch die Änderung der Strukturen Regierung und Parlament zu natürlichen Konkurrenten um die jeweils bessere Politik würden; man kann dann eben kein guter Abgeordneter mehr sein, wenn man einen Kanzler dummes Zeug schwätzen oder gar in die Tat umsetzen läßt, und umgekehrt.

Gerade im Verhältnis der ersten zur zweiten Gewalt würde ein Wettbewerb um die bessere Politik entstehen. Am Ende würde der Souverän in den jeweiligen Wahlen entscheiden, wer seine Aufgabe ordentlich erledigt hat und wer nur zur Kategorie der „Ämtersesselkleber“ und „Medienscharlatanen“ gehört und daher aus dem weiteren politischen Spiel genommen werden sollte. Und der Souverän kann differenzieren zwischen Regierung und Parlament; er muss keine Kröte schlucken, nur weil er mit dem Politikangebot einer Partei grundsätzlich einverstanden ist. In einem Parlament, dessen größerer Teil von der zwanghaften parteipolitischen Verpflichtung, die „eigene“ Regierung durch die immer wieder herbeizuführende Kanzlermehrheit zu stützen, befreit wäre, könnte sich in ganz anderer Weise den im Lande miteinander ringenden Interessen öffnen und sich vor allem auch der Diskussion der die Gesellschaft bewegenden Fragen widmen. Das Parlament würde wieder ganz von selbst zum Ort der politischen Auseinandersetzung; Parlamentsdebatten wären nicht mehr absehbare ritualisierte Veranstaltungen auf intellektuell bescheidenem Niveau, bei denen sogar die Polemik geistlos und langweilig ist.

Um bei echten Diskussionen nicht unter die Räder zu kommen, müssten die Parteien schon aus wohlverstandenem eigenem Interesse darum bemüht sein, die Rürups und die Kirchhofs für ein politisches Engagement in ihren Reihen zu gewinnen. Dies wird allerdings nur möglich sein, wenn man solchen Fachleuten das einzuhalten verspricht, was Art. 38 Grundgesetz dem freigewählten deutschen Abgeordneten zusagt: sich als der Vertreter des ganzen deutschen Volkes zu betätigen und nur seinem Gewissen zu folgen. Von einem solchermaßen qualitätsaufgefrischten Parlament könnte dann auch wieder eine eigenständige Gesetzgebung erwartet werden. Dass eine solche Änderung unter anderem dazu führen könnte, dass es für das Erlangen eines Abgeordnetenmandates nicht mehr ausreicht, jung zu sein und über die Fähigkeit zu verfügen, die eigene Nominierung für einen „sicheren Wahlkreis“ in einem Orts-, Kreis- oder Landesverband mit dem Segen der Parteioberen durchzuboxen, wird hierbei als Fort- und nicht als Rückschritt angesehen; wer über keine fachliche Kompetenz und/oder über keine Lebenserfahrung verfügt, gehört so lange nicht ins Parlament, wie diese Defizite nicht behoben sind.

Wollen die Parteien bei der Auswahl der Regierung, die ja nicht mehr aus dem Parlament erwächst, noch ein Wort mitsprechen, müssten sie auch hier ihr bisheriges Verhalten bei der Auswahl grundlegend ändern; auch dies könnte der Sache nur gut tun. Sie müssen sich um für das Amt des Präsidenten oder des Bundeskanzlers wählbare Persönlichkeiten bemühen, die zumindest den Anschein erwecken, dass sie das Zeug zum fähigen Verwalter, wenn nicht gar zum Staatsmann haben. Wer hierüber täuscht oder sich aus anderen Gründen als Fehlbesetzung erweist, wird eine zweite Amtszeit ungleich schwerer erlangen können, als dies heute bei den festgefügten Parteikonstellationen möglich ist.

Das Volk hat auch immer noch die Option, einem Regierungschef, den man zwar einerseits schätzt, andererseits aber auch nicht uneingeschränkt traut, ein kritisches Parlament beizugeben, das in der Alltagsarbeit einen solchen Regierungschef gegebenenfalls entzaubern und sogar auf den Pfad der Tugend zwingen kann. Überhaupt hätte der Souverän mehr Optionen und geriete nicht so schnell an die Schwelle, an der er sich nur noch mit der Alternative konfrontiert sieht, am Wahltag zu Hause zu bleiben oder doch das „kleinere Übel“, das leider allzu häufig nicht gut genug ist, zu wählen. Diese im Vergleich zu heute vielgestaltigeren Optionen des Wählers machen sehr deutlich, dass ein Mehr an Gewaltenteilung in Deutschland auch eine Revitalisierung der Demokratie in unserem politischen Leben mit sich bringen würde. Dies dürfte vielen der heut staats- und politikverdrossenen Menschen das Gefühl zurückgeben, wieder stärker am politischen Leben teilzunehmen und nicht mehr immer und überall, wo er mit Politik konfrontiert ist, einer sich selbst ergänzenden und alles beherrschenden Politikerkaste ausgeliefert zu sein.

Aber nicht nur zwischen der ersten und der zweiten Gewalt könnte ein stärker gewaltenteilendes System die derzeitigen parteienstaatlichen Wucherungen entflechten und damit den Intentionen des Grundgesetzes wieder mehr zur Beachtung verhelfen. Die dritte Gewalt sollte die längst fällige Verselbständigung erfahren, wie sie im Grundgesetz angelegt ist. Teile der Rechtsprechung stehen immer noch unter einem aus dem Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts stammenden Kuratel, das der bei einem Blick auf die europäischen Nachbarn sich als zutiefst antiquiert herausstellenden Vorstellung huldigt, ohne einen sie beaufsichtigenden Justizminister könnten Richter kein oder jedenfalls nicht richtig Recht sprechen. Die Erfahrungen mit dem Bundesverfassungsgericht und einer nicht dem klassischen Justizministerium unterstellten Verwaltungsgerichtsbarkeit zeigen, dass dem auch in Deutschland so nicht sein muss. Was der Obrigkeitsstaat nicht wollte und auch der Parteienstaat keine Veranlassung sah, in Angriff zu nehmen, sollte nun endlich gewagt werden. Selbstverwaltung und eine angemessene Ausstattung, die nicht mehr de facto in das Belieben der Exekutive gestellt ist, könnten mehr Gewaltenteilung bedeuten und das vom Grundgesetz gewollte unabhängige und nur an der Sache orientiertes Ausüben von staatlicher Macht durch die Rechtsprechung erleichtern. Der freiheitliche demokratische Rechtsstaat braucht wirklich keine Minister der Justiz, die Gerichte als „Behörden im nachgeordneten Bereich“ ansehen und behandeln.

Gerade im Bereich der dritten Gewalt sollte der Einfluss der Parteien auf die ihnen zustehende Mitwirkung zurückgeführt werden und dem sich auch hier schleichend mehr und mehr breitmachenden Parteienstaat ein wirksamer Riegel vorgeschoben werden. Bundesrichter müssen nicht von Parteien ausgekungelt werden, Bundesverfassungsrichter müssen nicht unter Beachtung eines Parteienproporzes bestellt werden. Richterämter gehören nicht zur potentiellen Ämterverteilungsmasse der Parteien, mit denen diese Kandidaten sich gewogen machen oder belohnen können. Der Bundespräsident könnte aus einem Vierer-Vorschlag, zu dem die Bundesregierung und die Präsidien der betroffenen Gerichte zu gleichen Teilen beitragen mit der Zustimmung abwechselnd des Bundesrates und des Bundestages auswählen; dies würde das Schnüren von „Paketen“ erheblich erschweren und gäbe vor allem dem Gesichtspunkt der Qualität eine viel größere Durchsetzungschance.

Kommen wir auf die Frage zurück, ob eine stärkere Betonung des Prinzips der Gewaltenteilung einen Beitrag für bessere Rahmenbedingungen einer am Gemeinwohl orientierten Politik leisten könnte, so ist diese Frage uneingeschränkt zu bejahen und gleichzeitig festzustellen, dass sich eine Vielzahl von Optionen zur Revitalisierung des gesamten politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland bietet, die der Diskussion wert sind.

Der Verfasser ist seit 1992 Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Dresden und Mitautor des Buchs „Sachsen als Verfassungsstaat“.

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