Opas Justiz lebt

Aus dem Text:

…. Die Parallelen zwischen der bestehenden Justiz und der katholischen Kirche sind augenfällig; ich spreche von der Hierarchie im Rechtswesen. An der Spitze die Professoren, die gewissermaßen als Kardinäle dem Mysterium der Dogmatik am nächsten stehen, über die Bundesrichter als Bischöfe bis schließlich zu den Amtsrichter-Kaplänen, bei denen der Rechtsstrom zu einem dünnen Rinnsal geworden ist.“

 

Oberlandesgerichtsrat Dr. Theo Rasehorn, Köln

Beitrag „Opas Justiz lebt. Über eine Grabrede auf die Zukunft der Justiz“. Auszug (Kurzzitat) aus Ulrich Sonnemann: Wie Frei ist unsere Justiz?, Kindler Verlag GmbH , München 1969.

 

Hier soll der Justiz gerade keine Grabrede gehalten, wohl aber darauf hingewiesen werden, daß wir in einer Zeit leben, in der die Justiz in Frage gestellt werden muß, in der auch die Frage gestellt werden darf – und muß!

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Wenn in dieser Zeit und bei diesen Gedanken das Wort vom Richter als Staatsdiener auftaucht, wird man irritiert, muß man sich zurechttasten. Der Begriff des Staatsdieners erreicht ja die Schwelle des heutigen Bewußtseins nicht mehr. Angestrengt überlegt man – und dann kommen endlich Assoziationen: an den schnauzbärtigen wilhelminischen Schutzmann, an die beflissenen kaisertreuen Beamten im Untertan von Heinrich Mann.

Gehorsamster Diener

Nach den Auffassungen des für den Bereich des Rechtswesens durchaus fortschrittlichen ehemaligen Bundesverfassungsrichters Prof. Friesenhahn ist jene Welt von Untertanen und Staatsdienern die Welt des Richters in unserer Zeit. So hieß einer seiner Vorträge, gehalten am 8. Mai 1969 zur Eröffnung des III. Internationalen Richterkongresses. Dort ist ausgeführt:

»Die Richter sind Staatsdiener. Daran ist nichts zu drehen und zu deuteln. Sie sind es, weil die Rechtsprechung nun einmal eine Aufgabe des Staates und nicht eine bloß gesellschaftliche Funktion ist. Die verbindliche Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten und die Verhängung von Strafen stellt grundsätzlich … Ausübung von Hoheitsgewalt dar.«

Hoheitsgewalt? Die Gewalt also, die dem Herrscher gegenüber den Untertanen zukommt. Wer sind denn heute unsere »Hoheiten«?

Der Einwand kommt, jede Fachsprache habe ihre Chiffren, weshalb z. B. die Mitteilungsform der Naturwissenschaftler nicht mit der Alltagssprache verglichen werden dürfe. Aber Hoheitsgewalt und Staatsdiener gehören doch zur Alltagssprache! Sie wurden von der Staatsrechtswissenschaft aus der Alltagssprache des vergangenen Jahrhunderts übernommen, als diese Ausdrücke eine politische und gesellschaftliche Wirklichkeit umschrieben. Wer aber diesen Bedeutungswandel innerhalb eines Jahrhunderts verkennt, wer den Begriff des »Staatsdieners« derart bewußt in der Öffentlichkeit gebraucht, ja auf ihm insistiert, muß der nicht doch den Eindruck erwecken, daß er hier vor Richtern aus aller Welt gerade für den deutschen Richter das Ethos eines Dieners fordert, denjenigen also preist, der ohne nachzudenken Befehle ausführt?

Streichen wir das Ethos fort, sehen wir nicht das Ideale, sondern das Reale, so stimmen wir Friesenhahn allerdings zu: der deutsche Richter ist tatsächlich ein Staatsdiener! Sagen wir das auch den Richtern aus aller Welt, sagen wir auch, wie schwer wir daran zu tragen haben. Bekennen wir, daß zu uns Richter gehören, die Carl von Ossietzky verurteilt und Hitler nach dem Putsch praktisch freigesprochen haben, bekennen wir auch, daß Rehse, Richter an dem grauenvollen NS-Volksgerichtshof, einer der unsrigen ist, und daß zu uns auch wiederum die gehören, die Reine trotz seiner Bluturteile freisprachen – alles Richter, alles Staatsdiener, getreu der jeweiligen Obrigkeit.

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Wie begann es?

Die Stammväter der heutigen deutschen Richter waren keine Richter; es waren Staatsdiener, Fürstendiener, Höflinge, aus der Schule des römischen Rechts hervorgegangene »gemietete doctores«, die sich die deutschen Territorialherren ausgangs des Mittelalters hielten. Nichts verband sie mehr mit den Schöffenrichtern, die, vom germanischen Rechtsdenken aus, dem mittelalterlichen Gerichtswesen zu einer großen Blüte verholfen hatten. Anders in England, wo Richter und Recht in einer fast jahrtausendalten Tradition stehen, wo die für ein Rechtswesen nicht unwichtige Kontinuität gesichert ist.

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Im germanischen Stammland Deutschland wollte man……von freiheitlichen Rechtsinstitutionen wenig wissen; man ließ die Schöffengerichtsbarkeit austrocknen oder beseitigte sie rigoros. So wurde nicht Eicke von Repgow, der Verfasser des Sachsenspiegels, zum Stammvater unserer heutigen Richter, sondern ein juristisch ausgebildeter Höfling eines kleinen Fürstentums……Wenn auch die Richter stolz auf das Beispiel der Berliner Kammergerichtsräte pochen, die eher die Haft auf sich nahmen, als auf Befehl des Königs das Recht zu beugen, so ist in der deutschen Justizgeschichte der Gegenspieler, der König, viel wirksamer geworden. Für ihn war es selbstverständlich, daß lediglich er zu bestimmen hatte, was die Richter als Recht verkünden sollten.

Aus Höflingen wurden schließlich über Fürstendiener und Staatsdiener die »richterlichen Beamten« der Reichsjustizgesetze von 1877; diese Beamten hatten nichts mehr mit den von Bismarck lebenslang gehaßten und verfolgten Kreisrichtern gemein, die 1848 Seite an Seite mit den Professoren in der Paulskirche von Freiheit, Demokratie und Unabhängigkeit träumten. Der preußische Justizminister Leonhard höhnte, er habe nichts gegen die Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit der Richter, wenn nur ihre Anstellung und Beförderung in seiner Hand blieben.

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Das Ethos der Mittelmäßigkeit

Und man war dabei, wenn die Obrigkeit stark war, wenn sie den Dienern befahl. Erwartete die Regierung dagegen eher Mitwirkung, Mitverantwortung, Mündigkeit wie in der Weimarer Zeit, dann nörgelten die Richter und priesen die Zeiten des harten Herrn, die ja auch bald wiederkehrten.

Es geht aber nicht darum, daß über zehntausend Richter in der NS-Zeit integer geblieben und einige Hundert zu »Blutrichtern« geworden sind; es geht auch nicht darum – wie Friesenhahn ausführt -, daß sich die Richter der vergangenen Generation als unabhängige bewährt haben und sich »die Qualität ihrer Entscheidungen mit denen der heutigen Richter messen dürften«. Um alles dies geht es nicht; denn was besagt das schon? Nichts weiter, als daß der weitaus überwiegende Teil der Richter seine Pflicht getan hat und tut, wie auch der weitaus überwiegende Teil der Soldaten, Polizisten oder auch Erzieher seine Pflicht tut. Aber gerade dieses Pflichttun, das Funktionieren des Durchschnitts, führt eben zu dem Fehlschluß, die Justiz sei intakt, weil sich die Richter »ehrlich bemühten«, und führt zu dem Irrtum, bei ihnen sei »der Schutz der Rechte und Freiheiten des Bürgers gut aufgehoben«.

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Die Idealisierung der Mittelmäßigkeit ist es, durch die man sich dem Lernprozeß der Gesellschaft entziehen will. Statt Hintergründe aufzuzeigen, Strukturen sichtbar zu machen, um die Gesellschaft damit zur Mündigkeit und zu Rationalität zu führen – statt des Lernprozesses also -, betreiben gewichtige Teile unserer Führung einen Verdummungsprozeß, in dem dann, wie es Bild symptomatisch zeigt, die Mediokrität als solche hervorgehoben und idealisiert wird….

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Gewiß darf heute Kritik geübt werden; auch Beamte, sogar Richter, dürfen widersprechen, ohne daß sie aus dem Amt gejagt werden. Man brüstet sich gern mit dieser Toleranz. Aber die mittelalterlichen Fürsten sind wohl toleranter gewesen; sie hörten wenigstens ihren Hofnarren zu, und bisweilen dachten sie auch über das Gehörte nach. Unsere Verwaltungsfürsten wissen nicht nur alles, sie wissen auch alles besser: Was kann schon von den Narren da unten kommen, die nicht ihren Überblick haben?

Wer aber den Lernprozeß unserer Gesellschaft will, der muß gewiß zunächst zuhören und sich informieren lassen; er muß vor allem aber den Aufbruch aus der Mittelmäßigkeit wollen.

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Säkularisierung der Justiz

….Die Parallelen zwischen der bestehenden Justiz und der katholischen Kirche sind augenfällig; ich spreche von der Hierarchie im Rechtswesen. An der Spitze die Professoren, die gewissermaßen als Kardinäle dem Mysterium der Dogmatik am nächsten stehen, über die Bundesrichter als Bischöfe bis schließlich zu den Amtsrichter-Kaplänen, bei denen der Rechtsstrom zu einem dünnen Rinnsal geworden ist. Das Unfehlbarkeitsdogma – wenn der Richter ex cathedra, von seinem Richterstuhl aus, spricht, was nur der Eingeweihte in den juristischen Zeitschriften, aber nicht etwa die profane Presse kritisieren darf. In diesen Rechtszeitschriften darf natürlich nur veröffentlicht werden, was als »reine Lehre«, als juristische Ideologie, das Imprimatur bekommt.

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