Richtertum, Justiz und Staat

Aus dem Text:

…. an dem Einen sollte m. E. kaum zu zweifeln sein: Die verselbständigte, „entfesselte“ Organisation der rechtsprechenden Gewalt ist es, mit der wir die oft so peinlich fühlbaren Halbheiten bezüglich der Justizorganisation überwinden können. Nur sie führt die mit den Unabhängigkeitsgarantien des 19. Jahrhunderts angebahnte Entwicklung zu dem von der Sache der Rechtsprechung recht eigentlich geforderten Ziel. … In dieser Richtung zu arbeiten und auch zu wagen, sind wir einer schuldbeladenen Vergangenheit, sind wir aber auch der Zukunft Deutschlands, ja Europas schuldig.

 

Prof. Dr. EBERHARD SCHMIDT, Heidelberg

Vortrag „Richtertum, Justiz und Staat“. Gehalten auf dem Südwestdeutschen Richtertag in Stuttgart – Bad Cannstadt am 21. April 1953

 

Wenn wir Deutschen im schmalen Raum unserer Bundesrepublik, machtlos und abhängig, wie wir sind, Gegenkräfte gegen das Gewalt- und Unrechtssystem des Bolschewismus entwickeln wollen, so gehört dazu in erster Linie, daß wir die Idee des Rechtsstaats nicht nur verkünden, sondern daß wir ihr eine lebendige Kraft verleihen. Das steht durchaus in unserer Macht, ist unserem tatbereiten Willen möglich. Unsere Verfassungsverhältnisse können wir autonom gestalten. Und so können wir auch unserem Rechtswesen eine Gestaltung verleihen, bei der mutig die Erfahrungen nutzbar gemacht werden, die die Geschichte der deutschen Justiz vermittelt.

I.

Die moderne deutsche Justiz hat es, wenn ich die Dinge recht verstehe, in ihrer Entwicklung zur Trägerin der rechtsstaatlichen Idee sehr viel schwerer gehabt, als die Justiz etwa in den angelsächsischen Ländern. Sie ist zusammen mit dem wissenschaftlich gebildeten, von Anfang an aber angefeindeten Berufsjuristentum im Zeitalter des Ständestaates entstanden, ist durch das Zeitalter des unaufgeklärten und des aufgeklärten Absolutismus hindurchgegangen, hat sich im landesherrlichen Konstitutionalismus vielfach am Ziele ihrer Wünsche geglaubt und ist dann von 1918 bis heute in drei Revolutionen und in drei verschiedenartigsten Staatsformen den ungeheuerlichsten Belastungsproben ausgesetzt gewesen und oft genug vor die nackte Existenzfrage gestellt worden.

1. Dieser wandlungsreiche Geschichtsablauf zeigt uns das unser Justizwesen tragende Richtertum zunächst einmal in engster Verbindung mit der juristischen Wissenschaft. Seit den Tagen der Rezeption verschwindet der ungelehrte Schöffe, der Richter ist Jurist, das heißt: er hat eine rechtswissenschaftliche Ausbildung, deren Qualität sich vom 16. bis zum 18. Jahrhundert mehr und mehr hebt, je mehr sich die deutsche Rechtswissenschaft aus der Schülerrolle dem Auslande gegenüber emanzipiert und eine auf freier Geistigkeit und eigenem Ethos ruhende selbständige Wissenschaft geworden ist. Ich habe schon auf der Bonner Richtertagung des vorigen Jahres dargelegt, wie am Anfang dieser Entwicklung die große Richterpersönlichkeit des Freiherrn v. Schwarzenberg in der als notwendig erkannten wissenschaftlichen Ausbildung des Richtertums mehr gesehen hat als bloße Verstandesschulung, deren trationales Können schließlich allen staatlichen Zwecken nutzbar gemacht werden könnte, wie er vielmehr in der Wissenschaft das Ringen um die Erkenntnis des Gerechten und gerade darum im wissenschaftlich gebildeten Richter den Diener der Gerechtigkeit gesehen hat, dem die wissenschaftliche Schulung nicht nur Wissen und Begriffe, sondern zugleich auch den Zugang zu den überzeitlichen Richtertugenden der „mâze“ und „bescheidenheit“ vermittelt. Diese der Gerechtigkeit verpflichtenden Tugenden sollen den wissenschaftlich gebildeten Richter stark machen gegen die Zweckmäßigkeitsversuchungen der politischen Gewalt. Dafür hat man in jener Zeit, da der Juristenstand als ein gelehrter sich entwickelte, durchaus ein feines und sicheres Gefühl gehabt. Wenn, mit Goethe zu sprechen, „Sorge, Furcht vor größerem Übel Regenten die nützlich ungerechten Taten abnötigt“, so soll der Jurist -so wußte man damals schon genau -derjenige sein, der vor einer Verwechslung von Staatsnutzen und Gerechtigkeit zu warnen hat. Gerechtigkeit ist die Wahrheit, die der Jurist dem Fürsten ins Gesicht sagen soll. In diesem Sinne hat Luther, der langsamer als der von ihm verehrte Schwarzenberg gerade diese Seite juristisch wissenschaftlicher Bildung eingesehen hat, in einer Tischrede von 1532 einen treffenden Vergleich zwischen den der göttlichen Wahrheit verpflichteten Theologen und den der Rechtswahrheit verpfichteten Juristen gezogen. Der Theologe Luther sagt: „Es wird den Juristen gehen wie den Theologen, denn darum ist man uns feind, daß wir der Welt die Wahrheit sagen. Werden auch die Juristen den Fürsten die Wahrheit sagen, so werden sie es so gut haben wie wir. Uns beide verachten sie, so sie doch die Wahrheit von uns müssen wissen“‚. Das aber sind nun nicht bloß Postulate, Idealisierungen und Stilisierungen gewesen, vielmehr hat sich herausgestellt, daß von der Verschwisterung des Richtertums mit der juristischen Wissenschaft eine Kraft ausgegangen ist, die sich in der gefahrvollen Welt des Staatlichen und seiner Macht immer wieder im Sinne des Rechtes bewährt hat. Das hat insbesondere von denjenigen Gerichtsgremien zu gelten gehabt, die, wie die Juristenfakultäten und die Schöffenstühle, am unmittelbarsten mit der Jurisprudenz in Verbindung waren. Schon die Konsilien des 16. und 17. Jahrhunderts geben, wie v. Bar ganz richtig gesehen hat, „Zeugnis von sittlichem Ernst und Mut, der Unterdrückte auch gegen fürstliche Willkür verteidigt“, und die Praxis des Leipziger Schöffenstuhls hat unter der Führung des Begründers der modernen Strafrechtswissenschaft, des zu Unrecht oft geschmähten Benedict Carpzov, eine richterliche Unabhängigkeit bewiesen, an die sich die Machtinteressen des Fürstentums selbst in den wirren Zeiten des Dreißigjährigen Krieges nicht herangewagt haben.

Aber jener Kraftstrom, der von der juristischen Wissenschaft her das Richtertum durchdringt, hat sich vielleicht am deutlichsten erwiesen, als man im 18. Jahrhundert der Problematik landesherrlicher Machtsprüche und landesherrlicher Justizaufsicht inne wurde und in voller Bewußtheit dessen, um was es ging, den Kampf um die richterliche Unabhängigkeit eröffnete. Es ist kein Zufall, daß in Preußen die Coccejische Justizreform durch eine Höchstanspannung der wissenschaftlichen Anforderungen an das Richtertum mit der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit eben dieses Richtertums zugleich sein Berufsethos, damit aber zugleich auch sein Standesbewußtsein ungemein kräftigte. Das aber war die Voraussetzung und der entscheidende Anlaß dafür, daß die Notwendigkeit der Weisungsfreiheit der Richtersprüche erkannt wurde, daß im Dezember 1779 der Kriminalsenat des Kammergerichts den welthistorischen Ungehorsam fertig brachte, mit dem er sich dem befehlenden König gegenüber vor die Unschuld stellte, um auf diese Weise auf jede Gefahr hin den Sinn der Unabhängigkeit richterlicher Entscheidungen zu dokumentieren. Von diesem Ereignis, einem der bedeutsamsten in der Justizgeschichte überhaupt, bis zur sogenannten verfassungsmäßigen Verankerung der richterlichen Unabhängigkeit dauerte es noch sieben Jahrzehnte, erfüllt von manchen harten Kämpfen, manchem persönlichen Opfer mutiger Richter. Aber das Postulat der Unabhängigkeit der Justiz hat seitdem von der Tagesordnung nicht mehr verschwinden können. Unter neuen Verhältnissen, auf Grund unserer eigenen Erfahrungen in den Stürmen der letzten Jahrzehnte ist es uns heute ein neues Problem geworden.

2. Noch ein Zweites zeigt die Geschichte uns, das wir heute aufmerksam beachten sollten. Wenn wir in früheren Jahrhunderten in den Juristenfakultäten und Schöffenstühlen diejenigen Spruchbehörden sehen, die sich aus ihrer „Rechtsverständigkeit“ heraus so etwas wie Unabhängigkeit ihrer Rechtssprüche zu leisten und fürstlicher Willkür Widerpart zu halten vermochten, in dieser Beziehung aber auch respektiert wurden, so hängt das ganz offenbar damit zusammen, daß sie außerhalb des Staatsdienerorganismus, außerhalb des eigentlichen territorialen Justizaufbaus eine ganz eigene Stellung gehabt haben. Diese Spruchbehörden erteilten ihre Rechtsweisungen ja nicht nur an die Gerichte des eigenen Landes, sondern wirkten weit über die territorialen, ja über die Reichsgrenzen hinaus. Was gab ihnen die dazu erforderliche Autorität? Nichts anderes als die Auffassung, daß in ihnen, mit Schwarzenberg zu sprechen, die „Rechtsverständigkeit“ ihre Stätte habe, eine Rechtsverständigkeit, die nicht nach Macht und Staatsräson schielt, sondern aus der Reinheit wissenschaftlichen Denkens zur Reinheit des Strebens nach Gerechtigkeit gelangt. Wir sehen hier, wie wirkungs- und segensvoll es ist, wenn die für den Gerechtigkeitsdienst verantwortlichen Stellen organisatorisch selbständig und in ihrem Wirken dem sonstigen Staatsdienst mit seiner Über- und Unterordnung entrückt sind.

Gerade hierin sahen die absoluten Landesfürsten um 1700 und später das Gefährliche dieser Institution. Daher wurde nun verboten, daß Rechtsbelehrungen von Schöffenstühlen oder Fakultäten anderer Territorien eingeholt wurden. Die Verbeamtung der an den landeseigenen Fakultäten tätigen Professoren und die Entwicklung der namentlich in Strafsachen entscheidend werdenden Kabinettsjustiz setzte jene für die Rechtspflege so segensreich gewesenen überterritorial selbständigen Spruchgremien mit ihrer eigenartigen Stellung zum Justizwesen der Länder außer Funktion. Aber wenn nun auch die absoluten Herrscher ihren Richtern durchaus die gleiche Staatsdienerrolle wie allen andern Beamten auftrugen, von ihnen die gleiche Unterworfenheit, den gleichen Gehorsam gerade auch in den Rechtsprechungsangelegenheiten verlangten, so dauerte es doch nicht allzulange, daß die eigenartige Sache der Justiz in eben diesen Richtern jene Bestrebungen zeitigte, die für die Justiz zu einer innerhalb des Staatsorganismus eigenartigen Stellung drängten. Die Weisungsfreiheit für den Inhalt der Rechtssprüche, um die zunächst einmal unter dem Gesichtspunkt des Kampfes gegen die landesherrlichen „Machtsprüche“ gerungen wurde, war nur der erste Schritt zu einer organisatorischen Sonderstellung der Justiz. Denn ein Beamter oder Staatsdiener, dem von der vorgesetzten Dienstbehörde gerade für die spezifische Funktion, in der er dem Staate zu dienen hat, keine Weisungen gegeben werden können, ist, Ende des 18. Jahrhunderts, rein beamtenrechtlich gesehen, ein Sonderfall und eine aus dem beamtenrechtlich Üblichen durchaus herausfallende Erscheinung. Seit der Zeit der konstitutionellen Verfassungen ist dann die organisatorische Sonderstellung der Richter verstärkt worden durch Einführung der Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit, ohne die alle Weisungsfreiheit sinn- und zwecklos ist. Damit war nun in der Tat innerhalb des ganzen Staatsbeamtenwesens, aus dem als solchem die Richter nicht herausgelöst wurden, immerhin eine organisatorische Sonderstellung der „Justizbeamten“, soweit sie richterliche Ämter verwalten, erreicht und die sozial, politisch, rechtlich gefestigten Zeiten des späten 19. Jahrhunderts mochten glauben und glaubten auch in der Tat, daß damit alles Erforderliche in der Entwicklung einer unabhängigen Rechtspflege erreicht sei. Daß es zu einer solchen Entwicklung hat kommen können, hat – es ist heute sehr wichtig, das festzuhalten und scharf zu betonen – nichts damit zu tun gehabt, daß man etwa den Richterstand hätte „privilegieren“ wollen. Mit „Privilegien“ haben wir es da zu tun, wo es jemandem gelingt, sich aus rein persönlichen Rücksichten persönliche Sondervorteile zu sichern, die nicht im einer bestimmten Sachaufgabe und Funktion ihren zwingenden Grund finden, sondern auf sozialer Macht beruhen. Wenn ehedem die Häuser des hohen Adels von Steuern und Einquartierungslasten frei gewesen sind, so hat es sich dabei in der Tat um ganz echte „Privilegien“ gehandelt. Die Sonderstellung der Richter in Gestalt von Weisungsfreiheit, Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit ist aber das Ergebnis eines folgerichtigen Erfassens der dem Richter obliegenden Sachaufgabe gewesen, sie folgt aus der „Sache der Justiz“, aus dem Wesen des Gerechtigkeitsdienstes, aus der psychologischen und funktionalen Eigenart des richterlichen Urteils. Weil das wissenschaftlich und berufsethisch erstarkte und im besten Sinne selbstbewußt gewordene Richtertum des späten 18. Jahrhunderts die spezifische Natur seiner justiziellen Sachaufgabe erkannt hatte, darum trat es in den Kampf um seine Unabhängigkeit ein, darum hatte es unter einem so klugen König wie Friedrich dem Großen die ersten Anfangserfolge. Hätte es sich um nichts als Standesprivilegien gehandelt, so wäre die Zeit des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts denkbar schlecht gewählt gewesen, um zu dem erwünschten Ziele richterlicher Unabhängigkeit zu gelangen, und Friedrich der Große wäre solcher privilegiensüchtigen Anmaßung gegenüber gewiß nicht in Verlegenheit gewesen, hätte ihr vielmehr sehr schnell ein drastisches Ende bereitet. In einer Zeit wie der heutigen, die von Nivellierungssucht und Vermassungstendenzen gekennzeichnet ist, hat man ganz besonderen Anlaß, sich dagegen zu verwahren, daß die beamtenrechtliche Sonderstellung der Richter irgend etwas mit ,,Privilegierung“ zu tun habe. Wo das behauptet wird, handelt es sich um unsachliche politische Gegnerschaft. Die Frage, die heute angesichts der mit Weisungsfreiheit, Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit verbundenen Sonderstellung der Richter gestellt werden muß, ist lediglich die, ob damit organisatorisch schon das erreicht ist, was um der Sachaufgabe der Justiz willen erstrebt und erreicht werden muß. Und damit stehe ich vor den Problemen der Gegenwart.

II.

1. Daß unsere Justiz das ihr verfassungsmäßig anvertraute Amt der Rechtspflege nur auf der Grundlage einer nicht genug zu vertiefenden rechtswissenschaftlichen Ausbildung wahrzunehmen vermag, daß wir dabei unter Rechtswissenschaft nur die in freier Lehre und Forschung sich betätigende geistige Erarbeitung des Wissens um das Rechte und der geistigen Meisterschaft in der Rechtsanwendung verstehen dürfen, das bedarf hier keiner näheren Begründung, zumal uns ja gerade die Geschichte gezeigt hat, welcher Kraftstrom von solcher wissenschaftlichen Grundlegung her dem Richtertum, seiner Leistungsfähigkeit und seinem Berufsethos zugeleitet wird. Gerade weil das Bonner Grundgesetz vom Richter heute das Höchste verlangt, daß er nämlich selbst dem „Gesetz“ gegenüber in Ausübung seines materiellen Prüfungsrechtes das „Recht“ durchsetzt, gerade darum ist ohne rechtswissenschaftliche Fundierung Richtertum überhaupt nicht möglich. Indem aber richterliche Rechtsprechung immer zugleich rechtswissenschaftliche Erkenntnis in geistig selbständiger Arbeit ist, „bedeutet“, wie Radbruch einmal ganz richtig gesagt hat, „die richterliche Unabhängigkeit nichts anderes als die Freiheit der Wissenschaft übertragen auf das Gebiet der praktischen Rechtswissenschaft“, besser gesagt: der praktischen Rechtspflege.

Richtertum und Rechtswissenschaft, wie wir sie im scharfen Gegensatz zum ostzonalen Drill auf Linientreue und geistige Selbstaufgabe verstehen, gehören essentiell zusammen. Damit ist nichts gegen die Mitwirkung des Laienrichters in der Strafgerichtsbarkeit, der Arbeitsgerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit gesagt, solange überall dafür gesorgt ist, daß das wissenschaftlich gebildete Richtertum die Führung behält. Man sollte in allen Sparten der Gerichtsbarkeit sehr streng zwischen dem juristisch-wissenschaftlich gebildeten Richter als dem „Richter“ kat’ezochen und dem Laienrichter unterscheiden. Insofern ist namentlich in der besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit und in der Arbeitsgerichtsbarkeit noch manches nachzuholen. Daß die Vorsitzenden in den Spruchkammern der Oberversicherungsämter (§§ 68, 77 Reichsversicherungsordnung) und in den Arbeitsgerichten (Arbeitsgerichtsgesetz § 18 i. d. F. für Bayern, Württ.-Baden, Hessen) nicht juristisch ausgebildete Berufsrichter zu sein brauchen, ist, von andern Bedenken gegen diese Spruchbehörden ganz abgesehen, alles andere als glücklich. Die juristische Ausbildung des Volljuristen kann eben nicht durch irgendwelche fachlichen Spezialerfahrungen, mögen sie noch so gründlich sein, ersetzt werden. Von einem „Gericht“ sollte überhaupt bei keiner Spruchbehörde gesprochen werden, bei der nicht mindestens der Vorsitzende im Sinne des § 2 Gerichtsverfassungsgesetz die „Fähigkeit zum Richteramt“ hat, überdies aber auch mit den sogenannten Garantien der §§ 6 bis 8 Gerichtsverfassungsgesetz ausgestattet ist. Es kommt mir, gerade im Hinblick auf die ostzonalen Verhältnisse, als ein Versäumnis des Bonner Grundgesetzes vor, daß in ihm kein Wort gesagt ist von der Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Ausbildung der Richter im Sinne traditioneller deutscher Rechtswissenschaft. Die Aufgabe, die das Bonner Grundgesetz dem Richtertum überträgt, hätte sehr dafür gesprochen. Wir haben in den letzten Jahren in der weitverzweigten Aussprache über die großen Themen „Richter und Gesetz“, „Gesetz und Recht“, „Wert und Unwert des Positivismus“, „Naturrecht und positives Recht“ doch, weiß Gott, erkannt, was es bedeutet, daß der Richter beim Erkennen des Rechten nicht am Gesetz Halt machen darf, daß er sich den Weg zur Erkenntnis des Rechts in ständig neuer, selbständiger rechtswissenschaftlicher Arbeit bahnen muß, daß er nur scheinbar dem „Gesetz unterworfen“, daß er vielmehr immerdar vor dem „Rechte“ verantwortlich ist. Das ist es ja, was seiner Funktion die völlig unvergleichliche Eigenart gibt, die Eigenart, die die Denkweise des Richters von derjenigen der Repräsentanten der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt so radikal unterscheidet, und eine Eigenart dazu, die nicht nur den Richtern der hohen Spruchbehörden zukommt, die vielmehr jeder Tatrichter in Amts- und Landgericht jeden Tag zu erleben in die Lage kommen kann.

2. Um dieser Eigenart des richterlichen Amtes willen hat das jetzt so lebhaft gewordene Gespräch über die richtige Gestaltung der Justizorganisation und der richterlichen Stellung zum Staat seine tiefe Berechtigung und seine große aktuelle Bedeutung. Von hier aus verstehe ich auch den Sinn der Richtervereine, die sich jetzt allenthalben bilden, um korporativ für das einzutreten, was dem Richtertum, letzten Endes aber Staat und Volk not tut. Wer sie nur verstehen sollte „als ein Regiment im großen Armeekorps derer, die zum Sturm auf die Staatskasse angetreten sind“, würde auf sehr falschem Wege sein. Damit will ich die wirtschaftlichen Probleme, die dem Richterstande auf den Nägeln brennen, keineswegs bagatellisieren. Die wirtschaftliche Hebung des Richterstandes ist eine entscheidend wichtige Sache. Wer diejenigen geistigen Leistungen zu prästieren hat, die das Richten über menschliche Handlungen bedeutet, wer sich dazu ständig fortzubilden hat und neben dem spezifisch juristischen Können einen aufgeschlossenen Sinn für alle menschlichen Lebensbereiche erwerben muß, der muß wirtschaftlich so gestellt sein, daß er nicht nur eben gerade sich und seine Familie über Wasser halten kann, sondern daß er sich eine Bibliothek halten und in seinem Vaterlande umsehen kann. Aber zu dieser Arbeit an sich selbst muß ihm auch Zeit zur Verfügung stehen. Gewiß, nach einem verlorenen Kriege müssen wir alle und die Diener des Staates voran mit verdoppeltem Einsatz arbeiten. Wenn ich aber von einem juristisch sehr versierten, seine Sache von Grund aus verstehenden und schnell arbeitenden Oberlandesgerichtsrat zuverlässig höre, daß er, von seinem Urlaub abgesehen, keine Zeit hat, neben seiner Aktenarbeit ein Buch zu lesen oder auch nur Sonntags mit seinen Kindern einmal in die Natur zu gehen, so ist das eine Überlastung, die weder dienstlich noch sittlich verantwortet werden kann. Mich regt dieser Fall deswegen auf, weil er, wie mir scheint, keine Ausnahmeerscheinung darstellt, wie das ja auch die von Bockelmann ins Licht der Öffentlichkeit gerückte Maßnahme der Landgerichtspräsidien eines Bundeslandes zeigt, die schlankerhand einen Teil der den Gerichten gesetzlich zugewiesenen Sachen bei der Geschäftsverteilung wegen Überbürdung der Richter unberücksichtigt gelassen haben.

3. Aber ich will diese wirtschaftliche Seite der Problematik des Richterstandes nur kurz gestreift haben; mir geht es hier um grundsätzlichere Fragen, die sich aus der vorhin erörterten Eigenart richterlicher Funktion ergeben.

Das Bonner Grundgesetz hat das Grundsätzliche bezüglich der Stellung des Richteramtes im Ganzen des Staatsorganismus nicht gelöst, vielmehr die Lösung nur angebahnt, freilich mit sehr deutlichen Worten.

Es hat, wie kaum eine andere deutsche Verfassung bisher, mit der Gewaltenteilung Ernst gemacht und sieht in der den Richtern „anvertrauten“ „rechtsprechenden Gewalt“ eine in sich selbständige, neben Gesetzgebung und Verwaltung mit ganz eigener Funktion und unvergleichbarer Verantwortung ausgestattete Säule des demokratischen Staatsbaues. Die rechtsprechende Gewalt hat die Garantie dafür zu leisten, daß allenthalben „Recht“ im Sinne einer an den Grundrechtswerten orientierten Gerechtigkeitsordnung herrscht, nicht nur da, wo über die Handlungen der Einzelnen in Zivil- und Strafrechtspflege judiziert wird, sondern auch da, wo Herrschafts-, ja wo Gesetzgebungsakte gesetzt werden. Wie kaum eine andere Verfassung jemals gibt das Bonner Grundgesetz auf die uralte Philosophenfrage, wer denn die Herrschenden beherrsche, die ganz klare, eindeutige Antwort: das Recht, und nur das Recht, und immer das Recht. Wenn es nicht so aufregend wäre, könnte man es interessant nennen, daß uns heute schon die Frage beunruhigt, ob das Bonner Grundgesetz die Herrschaft des Rechtes nicht zu weit in den Bereich des Politischen verschoben und damit das Prinzip der Herrschaft des Rechts überspannt hat. Der Streit um die außenpolitischen Verträge mit seinem wohl nur für die Sowjets erfreulichen Hin und Her zwischen Bonn und Karlsruhe und der dazu gelieferten publizistischen Begleitmusik dürfte wohl schon gezeigt haben, daß im Bereiche des Menschlichen kein Prinzip, auch nicht das des Rechtsstaats oder, mit Jahrreiß zu sprechen, des „Rechtsweg-Staates“ bis zur letzten Konsequenz entwickelt werden darf ohne die Gefahr, daß es, aller inneren Werthaftigkeit zum Trotz, zu Tode geritten wird, zum Schaden nicht nur der Politik, sondern leider auch der Justiz. Aber die dringend gewordene Notwendigkeit, nach dieser Richtung hin das Prinzip des „Rechtsweg-Staates“ vernünftig zu begrenzen, ändert gar nichts daran, daß das Prinzip selbst gesund und richtig ist, was alle Vorgänge hinter dem Eisernen Vorhang tagtäglich bestätigen.

Weil die Richter die Garanten der Wirksamkeit des rechtsstaatlichen Prinzips sind und weil die von ihnen im erster Linie repräsentierte rechtsprechende Gewalt eine selbständige Säule des demokratischen Staatsaufbaues ist, ordnet Art. 98 Grundgesetz in Abs. I und Abs. III an, daß die Rechtsstellung der Richter des Bundes durch „besonderes Bundesgesetz“, die der Richter in den Ländern durch „besondere Landesgesetze“ zu regeln ist. Der Ton ist in beiden Absätzen auf das Wort „besonderes“ zu legen. Das Grundgesetz kann und darf also nur so verstanden werden, daß die Rechtsstellung der Richter als ein ganz selbständiges Problem in sich gesehen werden muß, daß sie von den Aspekten der richterlichen Funktionen her in besonderen, nur der richterlichen Rechtsstellung gewidmeten Gesetzen zu regeln ist unter völliger Loslösung vom allgemeinen Beamtenschema. Es wäre grundfalsch und m. E. einfach verfassungswidrig, im Zuge der Regelung des allgemeinen Beamtenrechts den Richtern ein paar Sonderparagraphen zu widmen, die „Richter“ aber grundsätzlich den „Beamten“ gleichzustellen und die für den Richterstand geltenden Normen vom allgemeinen Beamtenrecht her aufzubauen.

Wenn nun auch Art. 98 Abs. III S. 2 Grundgesetz dem Bunde gestattet, für die Richtergesetze der Länder Rahmenvorschriften zu erlassen, so sind die Länder doch nicht genötigt, diese Rahmenvorschriften abzuwarten. Rahmenvorschriften des Bundes werden frühestens mit der sogen. „großen Justizreform“ zu erwarten sein. Es wäre aber völlig verkehrt und im Hinblick auf das der Länderjustiz eignende Schwergewicht auch ganz unsachgemäß, diese in unbekannter Zukunft liegende große Justizreform abzuwarten, statt seitens der Länder mit vorbildlichen Richtergesetzen voranzugehen und mit diesen Schrittmacher der großen Justizreform zu werden. Natürlich haben die Länder dabei alle aus dem Grundgesetz und dem Gerichtsverfassungsgesetz ersichtlichen bundesrechtlichen Bestimmungen über Richteramt und Richterstellung zu respektieren, aber im übrigen sind sie frei, und es ist nicht zweifelhaft, daß diese Freiheit so groß ist, daß ein Land, vor allem ein neugeschaffenes, das an einem neuen Verfassungsaufbau arbeitet, die wunderbare Gelegenheit hat, einmal eine Neuorganisierung der rechtsprechenden Gewalt zu unternehmen, die, ganz von der Sache der Rechtsprechung gedacht, über die Halbheiten hinausgelangt, bei denen die bisherige Entwicklung stehen geblieben ist. Van Husen hat in diesem Sinne ganz richtig von einer „Entfesselung der dritten Gewalt“, d. h. eben der rechtsprechenden Gewalt, gesprochen. Und sehr beachtliche Vorschläge für diese „Entfesselung“ gerade im Zusammenhang mit „Verfassung und Verwaltungsaufbau des Südweststaates“ bietet Theodor Eschenburg in einer sehr interessanten Studie, an die ein etwas leidenschaftlicher, aber recht lesenswerter Artikel von Paul Wilhelm Wenger im „Rheinischen Merkur“ anknüpft.

4. Lassen Sie mich nun einige Fragen herausgreifen, auf die sich unsere Bemühungen um feste Stabilisierung der rechtsprechenden Gewalt als selbständiger Säule, als ,,dritter Gewalt im modernen Massenstaat“ beziehen müssen.

a) Es läge für mich als Hochschullehrer nahe -gerade weil ich in der rechtswissenschaftlichen Ausbildung das Essentiale wahren Richtertums erblicke -mit der Ausbildungsproblematik in Hochschulstudium und Vorbereitungsdienst zu beginnen, dies um so mehr, als im sogen. „10-Punkte-Programm der Justiz in Nordrhein-Westfalen“ eine Reform des juristischen Studiums in Aussicht gestellt wird, wonach der junge Jurist, bevor er an sein Rechtsstudium kommt, „durch ein zweisemestriges Studium unseres Weltbildes geführt“ werden soll mit Vorlesungen über Philosophie und Psychologie, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften. Das soll ein vorverlegtes studium generale sein mit der Folge, daß sich das Gesamtstudium des Juristen von 6 auf 8 Semester erhöht. Befreunden kann ich mich mit diesem Vorschlag keineswegs. In zwei Semestern kann man in die Riesengebiete der Philosophie und Psychologie, der Soziologie und Wirtschaftswissenschaften gerade eben etwas hineinschnüffeln, von einem Erfassen auch nur der harmloseren Probleme kann gar keine Rede sein. Nur wenn es uns gelingt, das, was an der Idee des studium generale richtig und brauchbar ist, aus der wissenschaftlichen Behandlung der einzelnen juristischen Fachgebiete heraus fruchtbar zu machen, von diesen einzelnen Disziplinen immer und immer wieder die Brücken zu schlagen zu den allgemeinen Problemen des Geisteslebens, der Ethik, der Psychologie, des Wirtschaftlichen und Politischen, geben wir dem angehenden Juristen die geistige Bildung, die ihn vom Paragraphen beherrschenden Rechtstechniker und -handwerker (auf griechisch: Banausen) unterscheidet. Die in Nordrhein-Westfalen geplante Vorwegnahme der erwähnten Fachgebiete muß ja geradezu beim jungen Juristen die falsche Auffassung erwecken, als stünde die Jurisprudenz als eine esoterische Angelegenheit trennbar neben diesen geistigen Bereichen. Daß sie in alle jene mitten hinein gehört, wird wirklich wissenschaftliche Behandlung der einzelnen Fächer dem Studierenden sehr bald zeigen. Das ist ja das Schöne an den Vorlesungen, die eben darum etwas ganz anderes bieten als die Lehrbücher, daß sie dem Hochschullehrer die unvergleichliche Gelegenheit geben, dem Hörer vom speziellsten Fach aus die geistige Welt zu zeigen. Jede juristische Disziplin, wissenschaftlich erfaßt und verarbeitet, trägt ihr studium generale in sich. Selbstverständlich raten wir dem Studenten, besonders in den ersten Semestern, auch andere als juristische, besonders geschichtliche und wirtschaftswissenschaftliche Vorlesungen zu hören. 6 Semester reichen ohnehin nicht für ein wissenschaftliches Studium des Rechtes aus. 7 Semester sind das Mindeste und längst absolut Übliche. Aber man sperre den, der, von der Schule kommend, Rechtswissenschaft studieren will, nicht ein ganzes Jahr von der Jurisprudenz aus, mit der er doch nun dringend Kontakt gewinnen will. Und vor allem: man erwecke durch eine Anordnung des Studiums, wie Nordrhein- Westfalen sie vorsieht, nicht den falschen Schein, als könne die Jurisprudenz selbst den Zugang zu den weiten Bereichen des Geisteslebens nicht von sich aus vermitteln. Wer sich als Jurist zu diesen Vorschlägen bekennt, erklärt sich mit seiner juristischen Wissenschaft bankerott. Die Notwendigkeit unausgesetzter Verbesserung des juristischen Studiums sei damit beileibe nicht bestritten. Notwendig ist auch eine weitgehende Reform des Vorbereitungsdienstes, dessen bildende und didaktische Möglichkeiten heute keineswegs erschöpft werden. Aber eine Erörterung dieser Fragen würde meinen Vortrag sprengen, der ja zur Stellung des Richtertums im Staat und somit zu den grundsätzlichen organisatorischen Problemen führen soll.

b) Die erste Frage muß die sein: wer kommt in den Richterstand überhaupt hinein? Das sogen. Assessorensystem allein ist wenig befriedigend. Diejenigen, die im Assessorexamen mit „Gut“ oder „Sehr gut“ abschneiden, streben -zahlreiche Befragungen haben mir das immer wieder bestätigt, bewiesen wird es auch durch die im der DRiZ 195§ (S. 1§) veröffentlichte bayerische Statistik -in die Wirtschaft oder in ein Anwaltsbüro, wo ihnen bereits eine gut bezahlte Stellung winkt, in der sie bei Bewährung bald mehr verdienen als ein Landgerichtsdirektor. Ich glaube also nichts Falsches zu sagen, wenn ich meine, daß in den Staatsdienst und somit in den Richterstand im großen ganzen das Mittelmaß hineinströmt. Nun kann damit, wenn nur die Anforderungen entsprechend hoch sind, immerhin ein durchaus leistungsfähiger Nachwuchs herangezogen werden, wie man denn überhaupt mit der Examensnote als Bewertungsmaßstab juristischen Könnens und menschlicher Qualitäten sehr vorsichtig sein soll. Aber zu leugnen ist nicht, daß der Richterstand eine große Anziehungskraft auf die Besten der jungen Juristen nicht hat. Mit Besoldungsverbesserungen läßt sich das allein nicht ändern, obwohl auch sie das ihre wirken werden. Die Imponderabilien des Richterberufs müssen wieder zugkräftiger werden. Das wird der Fall sein können, wenn die schon erwähnte Aktenfron aufhört, wenn eine Entlastung von mancherlei Justizgeschäften erfolgt, die dem gehobenen mittleren Dienst überlassen werden können, wenn die Personalpolitik von jedem Verdacht der Partei- oder Konfessionseinflüsse befreit wird, wenn die Justiz als selbständige „Dritte Gewalt“ den ihr gebührenden Platz erhalten hat und damit ihr gesamtes Ansehen gehoben worden ist, wenn das Schöne, das Einzigartige, das der Richterberuf und nur er enthält, sich ungehemmter entfalten kann. Ich gehöre, wie die Kenner meiner Schriften wissen werden, nicht zu denen, die angesichts der heutigen Verhältnisse in Bezug auf Besoldung, Nachwuchs, Beförderung, Überlastung vom Richter schlechthin als dem „kleinen Justizbeamten“ reden, um damit eine Mittelmäßigkeit in jeder Hinsicht anzudeuten, die die Fragwürdigkeit des ganzen Standes ausmache. Etwas derartiges ist ganz ungerecht. Die fast zu große Überschau die unsere gängigen juristischen Zeitschriften über die Rechtsprechung auch der unteren Gerichte vermitteln, zeugt oft von erstaunlicher Aufgeschlossenheit gegenüber den wissenschaftlichen Problemen der Zeit. Von einem Amtsrichter aus der Südwestecke unseres Landes hat mir kürzlich eine sehr gebildete, geistig anspruchsvolle Frau, die als Schöffin ein ganzes Jahr mit ihm zusammengearbeitet hat, berichtet, wie souverän und wie menschlich fein und sicher er die Verhandlungen leitet und wie seine Persönlichkeit als Inkarnation der Gerechtigkeit und der menschlichen Einfühlungsfähigkeit bei allen, die ihm begegnen, voran bei den Angeklagten und Verurteilten, in höchstem Ansehen steht. Was dieser Richter in seinem Wirkungsbereich für die Idee des Rechts und der Justiz leistet, läßt sich mit Geld überhaupt nicht bezahlen. Eine Ausnahme? Wer will das sagen? Jedenfalls brauchen wir an unserer Justiz nicht zu verzweifeln sofern nur alles geschieht, um solche echten Richterpersönlichkeiten immer wieder zu gewinnen und zu halten.

Aber freilich: es muß in dieser Hinsicht mehr geschehen, und an Etatfragen darf das Notwendige nicht scheitern. Zweierlei möchte ich gerade in diesem Zusammenhang noch sagen:

Es müssen die Wege gefunden werden, um tüchtige Persönlichkeiten aus dem Anwaltstande für die Richterämter zu gewinnen. Das Nebeneinander von Richterstand und Anwaltstand, das heute die Regel ist, ist einfach ein Unding. Die Justiz kann es sich nicht leisten, auf das Reservoir vorzüglicher Kräfte, die der Anwaltstand birgt, zu verzichten. Ob es das Ideal wäre, wenn der Zugang zum Richterstand überhaupt nur oder wenigstens für den Regelfall nur aus dem Anwaltstande sollte möglich sein dürfen, will ich nicht entscheiden. Aber wenn das, was reife anwaltliche Erfahrung im Bereiche des Juristischen, des Wirtschaftlichen, des Menschlichen zu bedeuten vermag, dem Richtertum im immer erneutem Strom zugeleitet werden könnte, wer wollte leugnen, daß das dem richterlichen Niveau ungeheuer zugute kommen müßte?

Und dann ein zweiter Wunsch, ein Wunsch -ich bekenne es ganz offen -pro domo: Wir juristischen Hochschullehrer müssen die Möglichkeit haben, nebenamtlich als Richter tätig zu sein. Die Hansestädte hatten diesbezüglich ein Spezialgesetz, Hamburg hat es, glaube ich, noch jetzt. Binding ist in Leipzig durch Jahrzehnte hindurch Hilfsrichter am Landgericht gewesen und hat im Vorwort zu seinem Handbuch des Strafrechts (1885) bekannt, „im Gerichte ein gutes Teil von dem erkannt zu haben, was seiner Theorie fehlte und wessen die Praxis bedarf“. Theorie und Praxis! Immer wieder begegnet man Versuchen, sie gegeneinander zu stellen. Das Schlimmste hat in dieser Hinsicht wohl das Reichsgericht geleistet in seiner Entscheidung vom 4.8.1940, die Kohlrausch mit Sarkasmus und Spott aber auch mit verhaltenem Zorn abgefertigt hatte. Kohlrauschs schöne Worte: „Theorie und Praxis haben die Aufgabe, vereint das Recht zu finden. Kommen sie zu verschiedenen Ergebnissen, so ist eine von beiden in die Irre gegangen. Es gibt keine doppelte Wahrheit, eine theoretische und eine praktische“ -diese Worte verdienen, gerade im juristischen Bereiche, immer wieder zitiert zu werden, wobei wir daran denken mögen, daß Kant und Feuerbach schon genau das gleiche gesagt haben. Die Verschwisterung von Theorie und Praxis wird stark gefördert werden, und zwar zum Segen beider, wenn der juristische Hochschullehrer, was ja im Grunde alter Tradition entspräche, ganz regelmäßig im praktischen Richterdienst Verwendung finden könnte. Der Praxis wird solcher Zuwachs an juristischen Kräften nicht schädlich sein. Und was die Mitarbeit in Kammer oder Senat für die eigene Vorlesungstätigkeit bedeutet, darüber könnte ich aus meinen Hamburger Erfahrungen sprechen.

c) Bevor nun zu erörtern ist, ob Richterwahl oder Richterernennung den Vorzug verdienen, muß Stellung genommen werden zu der Frage, ob der Aufbau der Justizverwaltung der gleiche bleiben soll wie bisher. In dieser Hinsicht hat Eschenburg eine radikale Änderung vorgeschlagen, deren Ziel es ist, in der Justizverwaltung, der jede Art von Gerichtsbarkeit organisatorisch unterstellt sein soll, ein in sich selbständiges, von der Landesregierung losgelöstes Gebilde eigenständigen Charakters zu schaffen. Es unterliegt mir gar keinem Zweifel, daß Eschenburg mit diesen Gedanken auf dem einzig richtigen Wege ist. Der Trennung von Rechtsprechung und Machtpolitik muß eine Trennung von Justizverwaltung und Regierung entsprechen. Die von der Sache der Rechtsprechung geforderte Heraushebung des Richtertums aus dem Beamtenstande, seine Ausstattung mit den sogen. Unabhängigkeitsgarantien ist so lange eine Halbheit, als auf dem Wege über eine parteipolitisch orientierte Regierungspolitik das Stellenbesetzungs- und Beförderungswesen maßgeblich bestimmt werden und die Problematik der Justizaufsicht, bei der sich ja die staatliche Politik der rechtsprechenden Gewalt, Einfluß und Maßgeblichkeit heischend, nähert, nicht zur Ruhe kommen kann. Wir haben in bezug auf Stellenbesetzungspolitik jüngst bittere Dinge gehört. Sie betreffen, Gott seis gedankt, nicht unser Land, und es liegt mir fern, den verehrten Persönlichkeiten, die, seitdem ich in Heidelberg bin, den Posten des Justizminister bekleidet haben, etwas anderes als reinste Sachlichkeit auch in der Personalpolitik zu unterstellen. Aber die Politik ist eine wetterwendische Sache, und vor allem: es möge doch einmal gestattet sein, ganz von der Sache und ihrem Prinzip her diese organisatorische Problematik zu behandeln. Richtertum und Rechtsprechung sind wegen ihrer unvergleichlich eigenartigen Beziehung zum Recht als dem höchsten Gemeinschaftswert nur dann nach meinem Dafürhalten organisatorisch richtig erfaßt und betreut, stellen nur dann die vom Grundgesetz gewünschte dritte Gewalt, die rechtsprechende dar, wenn die Landesjustizverwaltung oberhalb der Oberlandesgerichtspräsidenten von einem Justizdirektorium dargestellt wird, einem Kollegium, in dem der Ministerpräsident den Vorsitz führt, das aber im übrigen mit vier Persönlichkeiten besetzt ist, denen die Befähigung zum Richteramt eignet und die sich im Dienst der Rechtspflege als Richter, Staatsanwälte oder Anwälte hervorragend bewährt haben. Sie müssen auch das Vertrauen der Justizzugehörigen im weitesten Sinne genießen und daher, wie auch Eschenburg vorgeschlagen hat, gewählt werden, aber gewählt werden von solchen Persönlichkeiten, die selbst im Rechtsleben einen gehobenen Rang erworben haben. Eschenburg nennt die Richter im Präsidentenrang, die Dekane und Prodekane der Juristischen Fakultäten und je drei Vorstandsmitglieder der Anwaltskammern bzw. Rechtsanwaltsvereine. Merkwürdigerweise hat Eschenburg die Staatsanwaltschaft nicht erwähnt. Sollte dahinter der Gedanke stehen, daß in einer von der Exekutive organisatorisch losgelösten, also „entfesselten“ rechtsprechenden Gewalt eine Staatsanwaltschaft im bisherigen Sinne nicht mehr erforderlich sei, daß vielmehr so, wie früher bei der Militärgerichtsbarkeit, die Untersuchungsführung in den Händen von Richtern liegen könne, die in den von ihnen ermittelten Sachen die Anklage zu erheben und zu vertreten haben, so wäre das etwas, worüber sehr ernsthaft zu reden wäre, und ich mache kein Hehl daraus, daß ich in einer solchen Einbeziehung der Staatsanwaltschaft im die Justiz nicht nur eine letzte Konsequenz gerade aus dem Gedanken einer verselbständigten dritten Gewalt, sondern auch eine glücklichere Entwicklung sehen würde als in den nach anglo-amerikanischem Muster unternommenen Versuchen, die Staatsanwaltschaft, ganz entgegen dem ihr innewohnenden Entwicklungsgesetz, als eine „Partei“ aus der Justizorganisation herauszulösen. Aber diese Fragen muß ich hier offen lassen. Bleibt es bei der jetzigen Figur der Staatsanwaltschaft, dann gehört sie als die „objektivste Behörde der Welt“ jedenfalls ganz und gar in den neuen Justizaufbau mit hinein, ist sie dem Justizdirektorium unterstellt, nehmen aber auch die Generalstaatsanwälte an der Wahl des Justizdirektoriums teil.

Dieses Justizdirektorium repräsentiert die rechtsprechende Gewalt nach außen und trifft alle die Justizverwaltung und Justizaufsicht betreffenden grundsätzlichen Beschlüsse kollegialisch.

d) Erhalten wir eine derartige Justizverwaltung, so kann die Berufung in die Richterämter und die staatsanwaltschaftlichen Dienststellen diesem Justizdirektorium übertragen werden. Ich sehe keine Notwendigkeit, den vom Vertrauen der höchsten Repräsentanten des Rechtsgedankens getragenen, in der Sache der Justiz und der Rechtsprechung selbst bewährten Persönlichkeiten die Personalpolitik zu entziehen und ein Richterwahlsystem einzuführen. Ein solches würde ich nur dann wünschen, wenn es beim bisherigen System der Justizverwaltung bliebe mit einem aus der Parteipolitik hervorgegangenen Justizminister an der Spitze. Aber dann wäre es allerdings notwendig, die Wahlgremien so zu bestimmen, daß hier -vestigia terrent -parteipolitische Abmachungen nach dem Schema: „Laß mir meinen CDU-Mann, dann gebe ich Dir Deinen SPD-Mann“ völlig ausgeschlossen sind.

III.

Wie sehr bezüglich der angedeuteten Neuorganisation der rechtsprechenden Gewalt tausend Einzelheiten zu durchdenken sein würden, dessen bin ich mir bewußt. Aber mögen von hier aus sich dann auch mancherlei Schwierigkeiten ergeben, an dem Einen sollte m. E. kaum zu zweifeln sein: Die verselbständigte, „entfesselte“ Organisation der rechtsprechenden Gewalt ist es, mit der wir die oft so peinlich fühlbaren Halbheiten bezüglich der Justizorganisation überwinden können. Nur sie führt die mit den Unabhängigkeitsgarantien des 19. Jahrhunderts angebahnte Entwicklung zu dem von der Sache der Rechtsprechung recht eigentlich geforderten Ziel. Nur sie wäre das folgerichtige Ergebnis dessen, was das Bonner Grundgesetz als Aufgabe, Wesen, Funktion der rechtsprechenden Gewalt erachtet. Es geht bei alledem um weit mehr als bloße Organisationstechnik. Es geht überhaupt nicht um „Privilegien“ und Prestige. Es geht um den Rechtsstaat und das, was er uns kulturell und ethisch, was er uns als Zukunftshoffnung zu bedeuten hat. Denn alle unsere Bemühungen um eine wahrhaft rechtsstaatliche Organisierung der rechtsprechenden Gewalt finden ihre Notwendigkeit, aber auch ihren Sinn und ideellen Schwung in dem Gedanken und dem Ziel, den Ungeist des Bolschewismus vor aller Welt durch den Geist des Rechts zu überwinden, dem Geist des Rechtes aber durch eine sachgemäße Gestaltung der rechtsprechenden Gewalt die Bahn für eine segensreiche Auswirkung frei zu machen. In dieser Richtung zu arbeiten und auch zu wagen, sind wir einer schuldbeladenen Vergangenheit, sind wir aber auch der Zukunft Deutschlands, ja Europas schuldig.

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