Selbstverwaltung der Gerichte als Voraussetzung ihrer Unabhängigkeit

 


Aus dem Text:

„…. Wer die Personalgewalt als Gesetzesvollzug pauschal zu einer originären Aufgabe der Exekutive erklärt, schreibt Verhältnisse des 19. Jahrhunderts fort, ohne den durch das Grundgesetz geschaffenen Sonderstatus der Richter hinreichend zu berücksichtigen. Außerdem wird auch den Parlamenten und den Rechnungshöfen für ihre eigene Verwaltung eine von der Exekutive unabhängige Personalgewalt zugestanden ….“

 

 

Prof. Dr. Thomas Groß, Gießen

„Selbstverwaltung der Gerichte als Voraussetzung ihrer Unabhängigkeit“. Auszug (Kurzzitat) aus: Deutsche Richterzeitung (DRiZ) 2003, 298 ff.

 

[…..]

[S. 299 ff.]

1. Die Unabhängigkeit der Dritten Gewalt

Das Gebot der Unabhängigkeit der Richter hat mehrere Dimensionen. Ihr Kern ist historisch unstreitig die sachliche Weisungsfreiheit, die in Art. 97 I GG verankert ist. Maßstab für richterliche Entscheidungen ist allein das geltende Recht, politische oder andere außerrechtliche Gesichtspunkte sind nicht relevant, sofern sie nicht im methodisch zulässigen Umfang bei der Auslegung berücksichtigt werden können. Ebenfalls schon lange bekannt ist, dass auch die persönliche Unabhängigkeit geschützt werden muss, um indirekte Einflussnahmen über dienst-rechtliche Sanktionen auszuschließen. Diese Dimension ist in Art. 97 II GG verfassungsrechtlich verankert.

Allerdings sind mit den Regelungen in den beiden Absätzen des Art. 97 GG die Schutzgehalte der richterlichen Unabhängigkeit nicht erschöpft. Insbesondere ist der personelle Anwendungsbereich zu eng definiert, denn auch Richter auf Probe oder ehrenamtliche Richter müssen vor inhaltlich motivierten Eingriffen in ihre amtliche Stellung geschützt werden. Deshalb hat auch das Bundesverfassungsgericht anerkannt, dass über den Wortlaut des Art. 97 II GG hinaus ein „Mindestmaß an personeller Unabhängigkeit“ durch das Grundgesetz garantiert ist (13). Ebenso ist die sachliche Unabhängigkeit von der Rechtsprechung zur Dienstaufsicht erweitert worden, so dass sie auch Maßnahmen ausschließt, die auf eine indirekte Weisung für künftige Verfahren hinauslaufen (14). Ebenso besteht Einigkeit, dass die richterliche Unabhängigkeit ausschließt, dass mit den ökonomischen Lenkungsinstrumenten des Neuen Steuerungsmodells auf einzelne Verfahren zugegriffen wird (15), obwohl es sich auch dabei nicht um Weisungen im klassischen Sinn handeln würde.

Diese flankierenden Schutzgehalte der richterlichen Unabhängigkeit lassen sich im Wortlaut des Art. 97 GG kaum verankern. Die Rechtsprechung hat zum Teil auf Art. 33 V GG zurückgegriffen (16), damit aber eine unzulässige Gleichstellung von Beamten und Richtern vorgenommen (17). Deshalb ist es überzeugender, ein allgemeines Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit unmittelbar in Art. 92 GG zu verankern, da es sich um ein wesentliches Merkmal der Gerichtsbarkeit insgesamt handelt (18). Es handelt sich um einen gemeinsamen Grundsatz für alle Zweige der Justiz, der von der Gesetzgebung zu konkretisieren ist

Die Rückbindung an Art. 92 GG verdeutlicht, dass die richterliche Unabhängigkeit auch eine organisatorische Dimension hat, die mit dem Gewaltenteilungsprinzip verknüpft ist. Zwar verfolgt das Grundgesetz mit der Einrichtung eines parlamentarischen Regierungssystems keine strikte Gewaltentrennung, sondern enthält in Art. 20 II, III GG nur ein ausformungsbedürftiges Strukturprinzip im Sinne eines Gebotes der funktionsgerechten Ordnung der Staatsgewalt (19). Im Übrigen ist vorrangig auf die Zuordnung durch die konkreten Vorschriften des Staatsorganisationsrechts abzustellen. Trotzdem ist das Gewaltenteilungsprinzip nicht so vage, dass ihm nicht auch bestimmte Anhaltspunkte für die Stellung der Justiz im Verhältnis zur Exekutive entnommen werden können.

Unstreitig ist die richterliche Unabhängigkeit unmittelbar vom normativen Gehalt des Sonderungsgebotes in Art. 20 II 2 GG erfasst (20). Darüber hinaus besteht gerade zwischen Exekutive und Judikative ein besonderes Spannungsverhältnis, da es nach Art. 19 IV 1 GG eine zentrale Aufgabe der Gerichte ist, die Rechtmäßigkeit der Handlungen der vollziehenden Gewalt zu überprüfen und dadurch die Rechte der Bürger zu schützen. Es liegt auf der Hand, dass unter dieser Prämisse Einflussmöglichkeiten des Kontrollierten auf den Kontrolleur grundsätzlich problematisch sind. Das Gewaltenteilungsprinzip streitet deshalb für eine möglichst weitgehende Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive. Sie muss über den Wortlaut von Art 97 GG hinausgehen, ihr konkreter Umfang lässt sich aber nicht abschließend der Verfassung entnehmen, sondern bedarf der Konkretisierung durch den Gesetzgeber.

2. Das Demokratieprinzip

Gegen die Abkoppelung der Justiz von der Exekutive durch eine weitergehende Selbstverwaltung wird regelmäßig das Demokratieprinzip des Art. 20 Il GG mobilisiert (21). Sowohl die Auswahl der Richter selbst als auch die Verantwortung für das nicht-richterliche Personal und den Justizhaushalt könnten in keinem Fall einem Gremium übertragen werden, dem mehrheitlich oder ausschließlich Vertreter der Judikative selbst angehören. Solche Entscheidungen der Justizverwaltung über die personelle wie die inhaltliche Legitimation von Staatsgewalt müssten in jedem Fall durch das Parlament oder ein parlamentarisch verantwortliches Regierungsmitglied erfolgen. Diese Auffassung beruft sich insbesondere auf die sehr restriktive Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur autonomen Legitimation im Personalvertretungsrecht (22). Von dieser vielfach kritisierten Linie ist das Gericht allerdings in seinem jüngsten Beschluss zur funktionalen Selbstverwaltung (23) wieder abgerückt, in dem es die Beteiligung von Vertretern der Beschäftigten in Entscheidungsgremien als zulässig anerkannt hat, wenn der Gesetzgeber annimmt, dass dadurch die von ihm beschlossenen Zwecke und Ziele effektiver erreicht werden. Dadurch ist die Fixierung auf Legimitationsketten gelockert und der Gestaltungsspielraum des Organisationsgesetzgebers gestärkt worden.

Davon unabhängig ist eine Übertragung der für die hierarchische Verwaltung entwickelten Vorstellung, dass die personelle Legitimation nur durch die Regierung erfolgt, auf die Gerichte unzutreffend, da sie die Funktionsunterschiede zwischen Exekutive und Judikative unzulässig verkürzt. Der Justiz sind keine Gestaltungsaufgaben zugewiesen, die einer politischen Legitimation bedürfen. Richter entscheiden nach Art. 20 III und 97 I GG allein nach rechtlichen Kriterien und unterliegen keinerlei Sanktionen, die nicht von anderen Richtern verhängt werden. Daneben erfolgt eine Kontrolle durch die allgemeine und die Fachöffentlichkeit, deren Wirkung aber allein auf der Kraft des besseren Arguments beruht. Deshalb vermitteln allein Gesetz und Recht dem richterlichen Handeln seine Legitimation. Eine Exekutive, die Richter weder lenken noch korrigieren darf, kann sie auch nicht legitimieren (24). Eine eigenständige demokratische Legitimation neben der Gesetzesbindung ist lediglich für die Übertragung des Richteramtes erforderlich, da sie die Unabhängigkeitsgarantie auslöst. Hierfür sind unterschiedliche Formen denkbar…..

[S. 302]

Wer die Personalgewalt als Gesetzesvollzug pauschal zu einer originären Aufgabe der Exekutive erklärt (27), schreibt Verhältnisse des 19. Jahrhunderts fort, ohne den durch das Grundgesetz geschaffenen Sonderstatus der Richter hinreichend zu berücksichtigen. Außerdem wird auch den Parlamenten und den Rechnungshöfen für ihre eigene Verwaltung eine von der Exekutive unabhängige Personalgewalt zugestanden…..

Fazit

Wenn man sich von traditionell bedingten Verengungen der Verfassungsinterpretation löst und die organisatorische Dimension der Unabhängigkeitsgarantie ernst nimmt, so ergibt sich ein großer Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung zur Ausweitung der richterlichen Selbstverwaltung. Insbesondere verlangt das Demokratieprinzip nicht die Unterordnung der Justizverwaltung unter politisch motivierte Regierungsmitglieder. Sowohl die personelle wie die finanzielle Autonomie der Justiz im Verhältnis zur Exekutive muss vielmehr als Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit angesehen werden…..

(13) BVerfGE 87,68,85.

(14) BGH, NJW 2002,359,361.

(15) Eifert Die Verwaltung 1997,75 ff., 81 ff.; Groß, Die Verwaltung 2001, 371 ff., 380 f.;Papier, NJW 2001, 1089 ff., 1094.

(16) BVerfGE 12, 81, 88.

(17) Dazu näher Groß, ZRP 1999, 361 ff, 362.

(18) Groß, in Schulze-Fielitz/Schütz (Fußn. 7), S. 217 ff., 221.

(19) BVerfGE 68, 1, 86; Schmidt-Aßmann, in: lsensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, 1987, § 24 Rdnr. 50.

(20) Wassermann, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein (Hrsg.), AK-GG, 3. Aufl. 2001, Art 97 Rdnr. 13; zu eng Papier, NJW 2002, 2585ff, 2588.
 
(21) Zuletzt z.B. Papier, NJW 2002, 2585 ff, 2588 ff; Dästner, in: Schulze-Fielitz/Schütz (Fußn. 7), S. 201 ff, 205 f.; Hoffmann-Riem, 64. DJT Bd. II/1, Q 11 ff, 27 ff,

(22) BVerfGE 93, 37, 66 ff.

(23) BVerfG vom 5.12.2002 – 2 BvL 5/98.

(24) Groß, ZRP 1999,361 ff. 363.

(27) Ehlers (Fußn. 26), S. 35 ff.; Mertin, ZRP 2002, 332 ff. 334

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