Verwaltungsrichterliche Dienstaufsicht zwischen Bundes- und Landesrecht

Aus dem Text:

„… Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung nur, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). Diese Norm begründet die Sperrwirkung der Bundesgesetzgebung im Verhältnis zum Landesgesetzgeber bei konkurrierender Gesetzgebung. Sperrwirkung bedeutet, daß die Länder von der Gesetzgebung ausgeschlossen sind……Ihre Gesetzgebungskompetenz entfällt ­ mit der Folge, daß in diesem Bereich neues Landesrecht nicht mehr entstehen kann; gleichwohl erlassene Landesgesetze sind unabhängig von ihrem Inhalt bereits gemäß Art. 72 Abs. 1 GG unwirksam und nichtig …“

 

 

Sachverhalt:

Am 01.01.2001 trat das Sächsische Justizgesetz (SächsJG) in Kraft. Es ersetzte das Sächsische Justizausführungsgesetz (JustAG). Wie schon das JustAG enthält auch das SächsJG kontrovers diskutierte landesrechtliche Regelungen einer Dienstaufsicht der Landesverwaltung über die Verwaltungsrichter. Denn die Dienstaufsicht über Verwaltungsrichter ist mit anderem Inhalt schon im Jahre 1959 bundesrechtlich geregelt worden (§ 38 VwGO). Klärungsbedarf zum Inhalt des Gesetzes und zur eigenen Gesetzgebungskompetenz hatte deshalb auch der Sächsische Landtag (siehe das stenografische Protokoll über die Expertenanhörung des Verfassungs- und Rechtsausschusses des Sächsischen Landtages vom 09.10.2000).

Der von der Fraktion der SPD benannte Sachverständige Prof. Dr. Rozek (Technische Universität Dresden) legte vor dem Verfassungs- und Rechtsausschuss dar, daß dem sächsischen Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz für den Erlass der umstrittenen Regelungen fehle und daß diese im Falle ihres Erlasses nichtig seien. Der von der Fraktion der CDU benannte Sachverständige Prof. Dr. Huber (Universität Jena) schloss sich diesen Ausführungen an.

Dennoch wurden die Vorschriften über die verwaltungsrichterliche Dienstaufsicht in der Fassung des von der Sächsischen Staatsregierung vorgeschlagenen Entwurfs am 16.11.2000 von der „Regierungsmehrheit“ im Sächsischen Landtag beschlossen. Das nach den Ausführungen der Rechtswissenschaftler nichtige Gesetz wird praktiziert.

 

 

Universitätsprofessor Dr. Jochen Rozek, Dresden

(Kurzzitat. Der umfangreiche und mit zahlreichen Belegen versehene Volltext des Beitrages „Verwaltungsrichterliche Dienstaufsicht zwischen Bundes- und Landesrecht“ ist abgedruckt in der Zeitschrift Die Öffentliche Verwaltung (DÖV) 2002, Heft 3, Seiten 103 ff.)

 

„Mit dem Gesetz über die Justiz im Freistaat Sachsen (Sächsisches Justizgesetz – SächsJG) vom 24.11. 2000 (SächsGVBI. S. 482) hat der sächsische Landesgesetzgeber bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre seine dienstaufsichtsrechtlichen Zuständigkeitsregelungen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit modifiziert. Die zum 1.1.2001 in Kraft getretene Änderung…..beleuchtet schlaglichtartig…..das Verhältnis zwischen Bundes- und Landeskompetenz in diesem rechtsstaallich besonders sensiblen Bereich. Schließlich bietet sie einen aufschlußreichen Einblick in die „Werkstatt“ des Gesetzgebers eines (nicht mehr ganz so) „neuen“ Bundeslandes……

Im Jahr 1997…..nahm der sächsische Landesgesetzgeber erstmals für sich in Anspruch, umfassende Zuständigkeitsregelungen für die Wahrnehmung der verwaltungsrichterlichen Dienstaufsicht zu treffen. Gesetzgeberisches Motiv war es, möglichst gleichförmige Dienstaufsichtsregelungen für alle Gerichtszweige zu treffen. § 16 Abs. 1 JustAG lautete:

„Die Dienstaufsicht üben aus:

1. das Staatsministerium der Justiz über die Richter Beamten, Angestellten und Arbeiter der Verwaltungsgerichte;

2. der Präsident des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts über die beim Oberverwaltungsgericht und bei den Verwaltungsgerichten beschäftigten Richter, Beamten, Angestellten und Arbeiter;

3. der Präsident des Verwaltungsgerichts über die beim Verwaltungsgericht beschäftigten Richter, Beamten, Angestellten und Arbeiter. „…..

An die Stelle des § 16 Abs. 1 JustAG ist nunmehr § 23 Abs. 1 SächsJG getreten, der einerseits an einer Zuständigkeitsvollregelung festhält, andererseits aber die dienstaufsichtsrechtliche Stellung des Staatsministeriums der Justiz zu präzisieren trachtet. § 23 Abs. 1 SächsJG lautet:

„Die Dienstaufsicht üben aus:

1. der Präsident des Verwaltungsgerichts über die beim Verwaltungsgericht beschäftigten Richter, Beamten, Angestellten und Arbeiter;

2. der Präsident des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts über die beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht und bei den Verwaltungsgerichten beschäftigten Richter, Beamten, Angestellten und Arbeiter;

3. das Staatsministerium der Justiz als oberste Dienstaufsichtsbehörde über die Richter, Beamten, Angestellten und Arbeiter der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit.“

Die aus § 16 Abs. 1 JustAG in den ursprünglichen Gesetzentwurf übernommene Normierung mehrerer, gleichsam „konzentrischer Dienstaufsichtskreise“ sollte erklärtermaßen weiterhin eine „Durchgriffsaufsicht“ durch das Staatsministerium der Justiz ermöglichen. Mit dem Konzept der „Durchgriffsaufsicht“ verbindet sich die Vorstellung einer bewußten Modifizierung des auch die sächsische Landesverwaltung ansonsten prägenden behördenhierarchischen Prinzips instanzieller Zuständigkeiten: Nach diesem Prinzip ist die übergeordnete Behörde ohne besondere gesetzliche Ermächtigung nur ausnahmsweise befugt, eine in die Zuständigkeit der untergeordneten Behörde fallende Angelegenheit im Wege des Selbsteintritts zur Entscheidung an sich zu ziehen, nämlich wenn Gefahr im Verzug ist oder wenn die nachgeordnete Behörde eine ihr erteilte Weisung nicht befolgt. Im übrigen ist die übergeordnete Behörde darauf beschränkt, kraft ihres Weisungsrechts die Entscheidung untergeordneter Behörden maßgeblich zu beeinflussen.

Demgegenüber machte § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 JustAG das behördenhierarchische Nacheinander zu einem – jedenfalls dem Wortlaut nach – voraussetzungslosen Nebeneinander: Das Staatsministerium der Justiz (Nr. 1) oder der Präsident des Oberverwaltungsgerichts (Nr. 2) war danach ohne weiteres befugt, selbst – anstelle des Präsidenten des Verwaltungsgerichts (Nr. 3) – dienstaufsichtliche Maßnahmen gegenüber einem beim Verwaltungsgericht beschäftigten Richter zu treffen. Geht es zumal um die Regelung einer behördlichen Dienstaufsicht, die nur mit stetem Blick auf den geschützten Funktionsbereich einer anderen Staatsgewalt, der Rechtsprechung nämlich, wahrgenommen werden darf (vgl. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 92 GG, § 26 Abs. 1 DRiG), vermag ein solches Konzept allemal rechtsstaatliche Nachdenklichkeit auszulösen……

Das Grundgesetz verteilt die Gesetzgebungskompetenzen auf Bund und Länder eindeutig: Die Länder haben das Gesetzgebungsrecht, soweit nicht das Grundgesetz dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht (Art. 70 Abs. 1 GG). Das schließt Parallel- und Doppelregelungen für ein und dieselbe Materie durch Bundesgesetzgeber und Landesgesetzgeber zwingend aus. Die Frage, ob ein inhaltlicher Widerspruch zwischen kompetenzgemäßem und ansonsten verfassungsmäßigem Bundesrecht und Landesrecht vorliegt, der allein die Anwendung des Art. 31 GG ermöglicht, kann sich folglich erst im Anschluß an die Klärung der Kompetenzlage stellen…..

§ 38 Abs. 1 VwGO bestimmt bundesrechtlich für die Präsidenten aller Gerichte (Bundesverwaltungsgericht, Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichte), daß sie die (untere) Dienstaufsicht im Bereich ihres Gerichts wahrnehmen. § 38 Abs.2 VwGO schreibt für die Verwaltungsgerichte darüber hinaus den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts als übergeordnete Dienstaufsichtsbehörde funktionell fest. Mit der ausdrücklichen Festlegung einer institutionellen und instanziellen Zuständigkeit der Gerichtspräsidenten durch § 38 VwGO ist zugleich klargestellt, daß die übergeordnete Dienstaufsichtsbehörde nicht befugt ist, Aufgaben der untergeordneten Dienstaufsicht generell an sich zu ziehen und an deren Stelle wahrzunehmen…..

Die Regelungsdoppelung durch § 23 Abs. 1 Nr. 1 SächsJG (Verwaltungsgerichte) und § 23 Abs.1 Nr. 2 SächsJG (Oberverwaltungsgericht) gegenüber § 38 Abs. 1 VwGO ist evident…..

Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung nur, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). Diese Norm begründet die Sperrwirkung der Bundesgesetzgebung im Verhältnis zum Landesgesetzgeber bei konkurrierender Gesetzgebung. Sperrwirkung bedeutet, daß die Länder von der Gesetzgebung ausgeschlossen sind……Ihre Gesetzgebungskompetenz entfällt ­ mit der Folge, daß in diesem Bereich neues Landesrecht nicht mehr entstehen kann; gleichwohl erlassene Landesgesetze sind unabhängig von ihrem Inhalt bereits gemäß Art. 72 Abs. 1 GG unwirksam und nichtig……

In § 38 VwGO hat der Bund in Wahrnehmung seiner Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (i.V.m. Art. 72 Abs. 2 GG a.F.) bestimmt, daß die Gerichtspräsidenten im Bereich ihres Gerichts als untere Dienstaufsichtsbehörde fungieren (§ 38 Abs. 1 VwGO) und daß der Präsident des Oberverwaltungsgerichts die übergeordnete Dienstaufsichtsbehörde für die Richter, Beamten, Angestellten und Arbeiter der Verwaltungsgerichte ist (§ 38 Abs. 2 VwGO). Die bundesgesetzliche Regelung ist, soweit sie reicht, abschließend und löst die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG aus; für § 23 SächsJG bedeutet dies konkret:

Für die – zum Teil modifizierende – Wiederholung der Aussagen des § 38 Abs. 1 und 2 VwGO durch § 23 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SächsJG fehlt dem Freistaat Sachsen die Gesetzgebungskompetenz…..

Nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden die Verpflichtungen zur Beachtung der bundesstaatlichen Kompetenzgrenzen und zur Ausübung dieser Kompetenzen in wechselseitiger bundesstaatlicher Rücksichtnahme durch das Rechtsstaatprinzip geprägt. Konzeptionelle Entscheidungen eines zuständigen Bundesgesetzgebers dürfen danach durch Entscheidungen des Landesgesetzgebers, die sich auf andere Zuständigkeiten gründen, nicht unterlaufen werden……

Mit der Normierung des § 23 Abs. 1 SächsJG……sind……die – vorrangig zu beachtenden – kompetentiellen Grenzen der Landesgesetzgebung zumindest grob fahrlässig ignoriert worden. Letzeres ist nicht nur kein Beitrag zur Rechtsklarheit; die Mißachtung des bundesstaatlichen Kompetenzverteilungsregimes der Art. 30, 70 ff. GG stellt einem formellen Landesgesetzgeber darüber hinaus nicht das beste Zeugnis aus.“

Prof. Dr. Jochen Rozek ist Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht unter besonderer Berücksichtigung von Verwaltungsrecht an der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden.

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