Gewaltenteilung außerhalb Deutschlands

Empfehlung Nr. R (94)12 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die Unabhängigkeit, Effizienz und Rolle der Richter

(angenommen von dem Ministerkomitee am 13. Oktober 1994 bei der 518. Sitzung der Ministerdelegierten)

Übersetzung des Bundesministeriums der Justiz aus dem Französischen zu Az.:9510/24-17-R1 1357/95

 

– Das Ministerkomitee, gestützt auf Artikel 15 Buchstabe b der Satzung des Europarates,

– eingedenk des Artikels 6 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im folgenden „Konvention“ genannt), der bestimmt, daß „jedermann Anspruch darauf hat, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf dem Gesetz beruhenden Gericht“

in Anbetracht der Grundsätze der Vereinten Nationen über die Unabhängigkeit von Richtern, gebilligt von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im November 1985,

unter Berücksichtigung der wesentlichen Rolle, die die Richter und anderen Personen, die richterliche Aufgaben wahrnehmen, beim Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten spielen;

von dem Wunsch geleitet, die Unabhängigkeit der Richter zu fördern, um die Vorherrschaft des Rechts in den demokratischen Staaten zu stärken;

in Würdigung des Erfordernisses, die Stellung und Befugnisse der Richter zu stärken, um ein effizientes und faires Rechtssystem einzuführen;

im Bewußtsein, daß es wünschenswert wäre, dafür Sorge zu tragen, daß die richterlichen Verantwortlichkeiten, die aus einer Gesamtheit von richterlichen Pflichten und Befugnissen zum Schutz der Interessen aller bestehen, ordnungsgemäß ausgeübt werden, empfiehlt den Regierungen der Mitgliedstaaten, alle Maßnahmen zu ergreifen oder zu verstärken, die erforderlich sind, um die Rolle der Richter im einzelnen und der Richterschaft im allgemeinen zu fördern und ihre Unabhängigkeit und Effizienz zu verbessern, insbesondere in Anwendung folgender Grundsätze:

Geltungsbereich der Empfehlung

1. Diese Empfehlung findet auf alle Personen Anwendung, die richterliche Aufgaben wahrnehmen, einschließlich derjenigen, die Fragen im Zusammenhang mit dem Verfassungs-, Straf-, Zivil-, Handels- und Verwaltungsrecht zu entscheiden haben.

2. Die in dieser Empfehlung aufgeführten Grundsätze finden auf Laienrichter und andere Personen, die richterliche Aufgaben wahrnehmen, Anwendung, es sei denn, daß aus dem Kontext eindeutig hervorgeht, daß sie nur auf Berufsrichter anzuwenden sind, wie im Falle der Grundsätze über die Vergütung und Laufbahn der Richter.

Grundsatz I – Allgemeine Grundsätze über die Unabhängigkeit der Richter

1. Es sollten alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um die Unabhängigkeit der Richter zu achten, zu schützen und zu fördern.

2. Insbesondere sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:

a. Die Unabhängigkeit der Richter sollte nach den Bestimmungen der Konvention und gemäß den verfassungsmäßigen Grundsätzen garantiert sein, indem z.B. hierfür eigene Bestimmungen in die Verfassung oder andere Gesetzestexte eingeführt oder die Bestimmungen dieser Empfehlung in das innerstaatliche Recht eingefügt werden. Je nach Rechtstradition eines jeden Staates könnten diese Bestimmungen z.B. folgendes vorsehen:

i. Die Entscheidungen der Richter sollten nicht außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittelverfahren überprüft werden dürfen;

ii. Amt und Vergütung der Richter sollten gesetzlich garantiert sein.

iii. Kein Organ außer den Gerichten selbst sollte über seine gesetzlich festgelegte Zuständigkeit entscheiden dürfen; – o –

iv. Mit Ausnahme der Entscheidungen über Amnestie, Begnadigung oder ähnlicher Maßnahmen sollten Regierung oder Verwaltung nicht befugt sein, Entscheidungen zu treffen, mit denen gerichtliche Entscheidungen rückwirkend aufgehoben werden.

b. Exekutive und Legislative sollten sicherstellen, daß die Richter unabhängig sind und Maßnahmen, die ihre Unabhängigkeit gefährden können, nicht ergriffen werden.

c. Alle Entscheidungen über die berufliche Laufbahn der Richter sollten auf objektiven Kriterien beruhen, und die Auswahl und Laufbahn der Richter sollten in Anbetracht ihrer Qualifizierung, ihrer Integrität, ihrer Kompetenz und Effizienz auf der Befähigung beruhen. Die für die Auswahl und Laufbahn der Richter zuständige Behörde sollte von der Regierung und Verwaltung unabhängig sein. Um ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten, sollten Bestimmungen vorgesehen werden, um beispielsweise darüber zu wachen, daß ihre Angehörigen von der Judikative benannt werden und die Behörde selbst über ihre eigenen Verfahrensregeln entscheidet.

Sollten jedoch Verfassung, Gesetzgebung oder Traditionen es der Regierung erlauben, bei der Ernennung der Richter mitzuwirken, sollte garantiert werden, daß die Verfahren zur Ernennung der Richter nicht aus anderen Gründen als den im Zusammenhang mit den zuvor angeführten objektiven Kriterien beeinflußt werden. Beispielsweise könnte es sich um die folgende Garantie oder die folgenden Garantien handeln:

. . i. ein besonderes, unabhängiges und sachverständiges Organ, das befugt ist, der Regierung Ratschläge zu erteilen, die in der Praxis befolgt werden; oder

ii. das Recht einer Person, bei einer unabhängigen Behörde einen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung einzulegen; oder

iii. die entscheidungsbefugte Behörde schützt gegen jeglichen unbegründeten oder ungerechtfertigten Einfluß. I

d. Die Richter sollten ihre Entscheidungen völlig unabhängig treffen sowie uneingeschränkt und ohne Beeinflussung, Verleitung, Druck, Drohungen oder ungerechtfertigte Einmischung – sei es mittel- oder unmittelbar – seitens irgendeiner Person oder aus welchem í Grund auch immer handeln können. Das Gesetz sollte Sanktionen für die Personen vorsehen, die die Richter auf diese Weise zu beeinflussen trachten. Es sollte den Richtern absolut freistehen, über die Sachen, mit denen sie befaßt worden sind, nach ihrer eigenen Überzeugung und ihrer eigenen Auslegung des Sachverhalts sowie den geltenden Rechtsvorschriften unparteiisch zu entscheiden. Die Richter sollten nicht verpflichtet sein, irgendeiner nicht zur Judikative gehörenden Person über den wesentlichen Inhalt ihrer Sachen zu berichten.

e. Die Verteilung der Sachen sollte weder von den Wünschen einer beteiligten Partei noch von einer von der Entscheidung betroffenen Person beeinflußt werden. Diese Verteilung kann beispielsweise durch Losentscheid oder automatische Aufteilung nach Alphabet oder einem ähnlichen System erfolgen.

f. Einem Richter kann eine Sache nur aus berechtigtem Grund, wie beispielsweise einer schweren Erkrankung oder einem persönlichen Interesse an der Sache, entzogen werden. Alle Gründe und Verfahren hierzu sollten gesetzlich geregelt sein und völlig unbeeinflußt von jeglichem Interesse der Regierung und Verwaltung sein. Eine Entscheidung, die darauf abzielt, einen Richter in einer Sache für unzuständig zu erklären, sollte durch eine Behörde ergehen, die auf gerichtlicher Ebene die gleiche Unabhängigkeit wie die Richter genießt.

3. Sowohl die ernannten als auch die gewählten Richter sind unabsetzbar, solange sie nicht das vorgeschriebene Ruhestandsalter oder das Ende ihrer Amtszeit erreicht haben.

Grundsatz II – Amtsgewalt der Richter

1. Jede von einer Sache betroffene Person, einschließlich der Staatsorgane oder deren Vertreter, sollten der Amtsgewalt des Richters unterliegen.

2. Die Richter sollten über ausreichende Befugnisse verfügen und in der Lage sein, diese auszuüben, um ihre Aufgaben zu erledigen, ihre Autorität und die Würde des Gerichts zu bewahren.

Grundsatz III – Angemessene Arbeitsbedingungen

1. Zur Schaffung angemessener Arbeitsbedingungen, die es den Richtern ermöglichen; effizient zu arbeiten, wäre es insbesondere erforderlich:

a. Richter in ausreichender Zahl einzustellen und ihnen zu ermöglichen, die notwendige Ausbildung zu erlangen, z.B. eine praktische Ausbildung in den Gerichten und nach Möglichkeit bei anderen Behörden und Instanzen, vor ihrer Ernennung und während ihres Berufslebens. Diese Ausbildung sollte für die Richter unentgeltlich sein und vor allem die neuere Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Gegenstand haben. Diese Ausbildung sollte gegebenenfalls Studienaufenthalte bei europäischen und ausländischen Behörden und Gerichten einschließen;

b. – dafür Sorge zu tragen, daß der Status und die Vergütung der Richter der Würde ihres Berufes und der von ihnen getragenen Verantwortung entspricht;

c. eine genau festgelegte Laufbahnstruktur vorzusehen, um fachkundige Richter einzustellen und zu behalten;

d. den Richtern entsprechendes Personal zur Unterstützung zur Verfügung zu stellen und sie angemessen auszustatten, insbesondere mit Büro- und Informatikmaterial, damit sie effektiv und ohne ungerechtfertigte Verzögerung arbeiten können;

e. die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um andere Personen gemäß der EmpfehIung Nr. R (86) 12 über die Maßnahmen zur Vermeidung und Verringerung der Arbeitsüberlastung der Gerichte mit außergerichtlichen Aufgaben zu betrauen.

2. Es sollten alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um die Sicherheit der Richter zu gewährleisten, insbesondere durch die Anwesenheit von Sicherheitspersonal in den Gerichtsräumen oder durch Polizeischutz für Richter, die Opfer schwerwiegender Drohungen werden könne oder sind.

Grundsatz IV – Vereinigungen

Den Richtern sollte es freistehen, Vereinigungen zu gründen, die allein oder in Verbindung mit einem anderen Organ die Wahrung ihrer Unabhängigkeit und den Schutz ihrer Interessen zur Aufgabe haben.

Grundsatz V – Richterliche Verantwortlichkeiten

1. Die Richter sind verpflichtet, in den Verfahren jedermanns Rechte und Freiheiten zu schützen.

2. Die Richter sind verpflichtet und sollten befugt sein, ihre richterlichen Verantwortlichkeiten wahrzunehmen, um sich zu vergewissern, daß das Gesetz ordnungsgemäß Anwendung findet und die Sachen fair, effektiv und rasch behandelt werden.

3. Die Richter sollten vor allem die folgenden Verantwortlichkeiten übernehmen:

a. bei allen Sachen völlig unabhängig und gegen jeglichen äußeren Einfluß geschützt handeln;

b. gemäß ihrer eigenen Beurteilung des Sachverhalts und ihrer Gesetzesauslegung unparteiisch über die Sachen entscheiden, sicherstellen, daß alle Parteien in billiger Weise gehört und die Verfahrensrechte der Parteien gemäß den Bestimmungen der Konvention beachtet werden;

c. sich der Entscheidung in einer Sache enthalten oder darauf verzichten, tätig zu werden, wenn berechtigte Gründe vorliegen und auch nur in diesem Fall. Diese Gründe sollten gesetzlich festgelegt sein und können beispielsweise schwere Gesundheitsprobleme, ein persönliches Interesse an der Sache oder das Interesse der Justiz betreffen;

d. erforderlichenfalls den Parteien unparteiisch einige Verfahrensfragen erläutern;

e. gegebenenfalls die Parteien zu einer gütlichen Einigung ermutigen;

f. soweit das Gesetz oder die gängige Praxis nichts anderes verlangen, ihr Urteil klar und vollständig begründen – unter Verwendung leicht verständlicher Formulierungen;

g. alle Fortbildungsmaßnahmen wahrnehmen, die der effizienten und angemessenen Ausübung ihres Amtes dienlich sind.

Grundsatz Vl – Nichterfüllung der Verantwortlichkeiten und Disziplinarvergehen

1. Kommen die Richter ihren Verantwortlichkeiten nicht in wirksamer und angemessener Weise nach oder begehen Disziplinarvergehen, sollten alle erforderlichen Maßnahmen, vorausgesetzt daß sie die richterliche Unabhängigkeit nicht beeinträchtigen, ergriffen werden. Je nach den verfassungsmäßigen Grundsätzen und der Rechtstradition eines jeden Staates kann es sich bei diesen Maßnahmen um folgende handeln:

a. Unzuständigkeitserklärung des Richters;

b. Zuweisung anderer richterlicher Aufgaben innerhalb des Gerichts;

c. Geldstrafen, wie z.B. Kürzung der Bezüge für einen befristeten Zeitraum;

d. Suspendierung.

2. Die auf Lebenszeit ernannten Richter können nicht ohne berechtigten Grund ihres Amtes enthoben werden, solange sie nicht das erforderliche Ruhestandsalter erreicht haben. Diese Gründe, die gesetzlich genau festgelegt werden sollten, könnten in den Ländern Anwendung finden, in denen der Richter für einen bestimmten Zeitraum gewählt wird, oder könnten die Fälle betreffen, in denen der Richter unfähig ist, sein Richteramt wahrzunehmen, oder Straftaten oder schwere Verstöße gegen die Disziplinarvorschriften begangen hat.

3. Sind die in Absatz 1 und 2 dieses Artikels vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen, sollten die Staaten die Möglichkeit prüfen, nach einem Gesetz ein besonderes Organ zu schaffen, das für die Verhängung von Disziplinarstrafen und -maßnahmen zuständig ist, wenn diese nicht von einem Gericht untersucht werden, und dessen Entscheidungen von einem höheren Rechtsorgan überprüft werden sollten, oder das selbst ein höheres Rechtsorgan ist. Das Gesetz sollte geeignete Verfahren vorsehen, damit der betroffene Richter zumindest in den Genuß aller von der Konvention vorgesehenen Garantien eines fairen Verfahrens gelangt, z.B. der Möglichkeit, daß seine Argumente innerhalb einer angemessenen Frist gehört werden und er das Recht hat, zu allen gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen.

Übersetzung des Bundesministeriums der Justiz aus dem Französischen

Begründung

Einführung:

1. – Im Rahmen der Tätigkeiten zwecks Förderung und Gewährleistung der Wirksamkeit und Billigkeit im Bereich der Zivil- und Strafjustiz ist beschlossen worden, eine Empfehlung über die Unabhängigkeit, Effizienz und Rolle der Richter zu erarbeiten. –

2. Zu den vom Europarat verfolgten Zielen zählen in der Tat die Schaffung und Sicherstellung eines durch die Vorherrschaft des Rechts und die Errichtung einer verfassungsmäßigen Ordnung geprägten politischen und demokratischen Systems sowie die Förderung und der Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten.

3. Die Empfehlung über die Unabhängigkeit, Effizienz und Rolle der Richter bestätigt und unterstreicht die vordringliche und bedeutsame Rolle der Richter bei der Verwirklichung dieser Ziele. Die Unabhängigkeit der Richter stellt eine der Säulen dar, auf denen der Rechtsstaat gestützt ist. Die erforderlichen Maßnahmen zwecks Förderung der Unabhängigkeit von Richtern beziehen sich nicht auf bestimmte Richter, sondern können Auswirkungen auf die gesamte Rechtsordnung haben. Die Staaten müßten demnach die Tatsache berücksichtigen, daß, auch wenn eine bestimmte Maßnahme sich nicht unmittelbar auf einen einzelnen Richter bezieht, sie Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Richter haben könnte.

4. Der Wortlaut des Empfehlungsentwurfs und der Begründung sind von der Projektgruppe Effizienz und Billigkeit der Ziviljustiz (CJ-JU) erarbeitet worden. Nach Prüfung durch den Europäischen Ausschuß für rechtliche Zusammenarbeit (CDCJ) sind der Empfehlungsentwurf nebst Begründung dem Ministerkomitee des Europarats unterbreitet worden. Das Ministerkomitee hat den Wortlaut des Empfehlungsentwurfs angenommen und die Veröffentlichung der Begründung zu der Empfehlung gebilligt.

5. Abgesehen von den Vertretern der Mitgliedstaaten des Europarats und der Kommission der Europäischen Gemeinschaft haben folgende Beobachter an den Sitzungen der Projektgruppe, welche den Wortlaut vorbereitet hat, teilgenommen: Albanien, der Heilige Stuhl, Lettland, Rußland, die Europäische Union der Handelsrichter und die Internationale Vereinigung der Richter. ~ ~ –

6. Zwecks Schaffung eines wirksamen auf Billigkeit beruhenden Rechtssystems ist es erforderlich, die Stellung und die Befugnisse der Richter zu verstärken und sicherzustellen, daß die richterlichen Verantwortlichkeiten ordnungsgemäß erfüllt werden. Bei der Erarbeitung dieser Empfehlung sind die Grundsätze der Vereinten Nationen über die Unabhängigkeit von Richtern (1985) und die 1989 angenommenen Bestimmungen zwecks effektiver Durchführung dieser Grundsätze berücksichtigt worden. Die Grundsätze der Vereinten Nationen sind im Vergleich zu dem Empfehlungsentwurf als Grundlagenpapier mit Mindestnormen zu sehen, die mit der Empfehlung in vollem Umfang in Einklang stehen. Dies bedeutet einerseits, daß es nicht immer für notwendig erachtet worden ist, alle in den Grundsätzen niedergelegte Aspekte zu behandeln, die infolgedessen anwendbar sein sollten. Auf der anderen Seite ist, wenn ein besserer Schutz der Unabhängigkeit von Richtern innerhalb von befürwortenden Mitgliedstaaten des Europarats für möglich erachtet wurde, dies in der Empfehlung zum Ausdruck gebracht worden. In Anbetracht der Gewichtigkeit hat der Ausschuß es jedoch für zweckdienlich erachtet, den Wortlaut des Grundsatzes Nr. 12 ohne Änderungen in den Empfehlungstext einzubeziehen (s. Grundsatz 1 Absatz 3).

7. Die vorliegende Empfehlung geht von dem Grundsatz aus, daß die den Richtern verliehenen Befugnisse durch ihre Aufgaben ausgewogen werden. Die Empfehlung ist Teil der zu treffenden Maßnahmen im Hinblick darauf, dem Justizwesen mehr Wirksamkeit und Billigkeit zu verleihen. Eine der Säulen der auf Billigkeit beruhenden Rechtsordnung ist in der Unabhängigkeit der Richter begründet. Es ist daher notwendig, den Richtern Befugnisse zu übertragen, die geeignet sind, ihre Unabhängigkeit sicherzustellen. Diese Befugnisse gestatten es ihnen jedoch nicht willkürlich zu handeln. Auch den Richtern sind Aufgaben anvertraut. Die richterlichen Verantwortlichkeiten werden infolgedessen von dem Verhältnis zwischen Befugnissen und Aufgaben der Richter bestimmt.

8. Somit erscheint es mit demselben Ziel der Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit unerläßlich, Richter einem Kontrollmechanismus zu unterwerfen, der die Achtung ihrer Rechte und Pflichten gewährleistet.

9. Die Empfehlung ruft die Mitgliedstaaten auf, alle notwendigen Maßnahmen anzunehmen oder gegebenenfalls zu verstärken, um die Rolle der Richter zu fördern und deren Effizienz und Unabhängigkeit zu verbessern.

10. Darin enthalten sind sechs Grundsätze, die von den Regierungen der Mitgliedstaaten zur Anwendung gebracht werden sollten. Diese Grundsätze betreffen die Unabhängigkeit der Richter, die Amtsgewalt der Richter, die angemessenen Arbeitsbedingungen, die Vereinigungsfreiheit, die richterlichen Verantwortlichkeiten und die Auswirkungen im Falle der Nichterfüllung der Verantwortlichkeiten nebst Disziplinarvergehen. Auch wenn in der Empfehlung Grundsätze aufgelistet sind, ist er für notwendig erachtet worden, diese zu erläutern, um den Mitgliedstaaten Orientierungshilfen im Falle einer Anwendung der Empfehlung zu geben. Angesichts der unterschiedlichen Rechtstraditionen in den Mitgliedstaaten betreffend den Schutz von Richtern, wird in der Empfehlung nicht angestrebt, eine umfassende Harmonisierung der einschlägigen Rechtsvorschriften zu gewährleisten, sondern sie liefert Beispiele oder allgemeine Regeln, welche die wesentlichen Züge der zu treffenden Maßnahmen kennzeichnen.

Geltungsbereich der Empfehlung

11. Der Geltungsbereich dieser Empfehlung ist nicht auf einzelne Rechtsgebiete beschränkt. Sie behandelt die Beilegung von Streitigkeiten zivil- und strafrechtlicher Natur sowie die Bereiche Verwaltungs- und Verfassungsrecht. Sie wendet sich sowohl an Berufs- wie auch Laienrichter, abgesehen bei Letzteren in bezug auf die Vergütung und bestimmte andere Bereiche wie das Erfordernis einer angemessenen juristischen Ausbildung. Wegen des Geltungsbereichs richtet sich die Empfehlung eher an Personen, die richterliche Aufgaben wahrnehmen, als an eigentliche Richter, weil die mit richterlichen Aufgaben betrauten Personen in einigen Staaten nicht den Titel als Richter tragen, auch wenn sie über dieselbe Unabhängigkeit wie die Richter in Ausübung ihrer Funktionen verfügen. So haben sich einige Länder ein System zugelegt, das es Fachleuten wie Rechnungsprüfern oder Vermessungsingenieuren gestattet, das Richteramt in Sachen auszuüben, bei denen besondere Fachkenntnisse erforderlich sind. Diese Fachleute, die richterliche Aufgaben erfüllen, können nicht mit „Laienrichtern“ verglichen werden, weil sie oft wegen ihrer Fachkenntnisse bestellt werden. Eine Reihe von Empfehlungen dürfte auf diesen Personenkreis anwendbar sein. Aus praktischen Erwägungen ist jedoch für angemessen erachtet worden, den Begriff „Richter“ für die Personen zu verwenden, die richterliche Aufgaben wahrnehmen. Jedenfalls sollten im innerstaatlichen Recht und insbesondere in den nationalen Verfassungen diejenigen angewiesen werden, die als Richter im Sinne dieser Empfehlung zu gelten haben.

Die Empfehlung berührt nicht die Systeme, die geschaffen wurden, um Gerichte von geringeren Sachen wie etwa straf- oder verwaltungsrechtlicher Natur zu entlasten (z.B. die sogenannte „ordonnance penal“ in Frankreich oder die Ordnungswidrigkeiten“ in Deutschland). Im Gegenteil, der Europarat hat bereits die Annahme solcher Maßnahmen unterstützt (Siehe die Empfehlung Nr. R (87) 18 über die Vereinfachung der Strafjustiz).

Kommentar zu den Grundsätzen

Grundsatz 1 – Allgemeine Grundsätze über die Unabhängigkeit der Richter

12. In dem ersten Grundsatz ist die Unabhängigkeit der Richter niedergelegt mit der Aufforderung, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die richterliche Unabhängigkeit zu achten, zu schützen und zu fördern. Die Tragweite des Begriffs „Unabhängigkeit der Richter“ beschränkt sich nicht auf die Richter selbst, sondern gilt für das gesamte Gerichtsgefüge.

13. Die Unabhängigkeit der Richter ist gemäß den Bestimmungen der Konvention und den verfassungsmäßigen Grundsätzen sicherzustellen (vgl. Buchstabe a dieses Grundsatzes). Dieses Erfordernis setzt voraus, daß die Unabhängigkeit der Richter nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts in irgendeiner Weise garantiert werden muß. Je nach der Rechtsordnung der einzelnen Länder kann es sich hierbei um eine geschriebene oder ungeschriebene Verfassung handeln, einen Vertrag oder eine in das nationale Rechtsgebilde eingebettete Übereinkunft, ja sogar um schriftliche oder nichtschriftliche Prinzipien höheren Rangs wie die allgemeinen Rechtsgrundsätze.

14. Was die Maßnahmen zwecks Anwendung dieses Grundsatzes anbelangt, so sind angesichts der Rechtstraditionen jedes Staats mehrere Aspekte zu berücksichtigen. Von Gesetzes wegen sollte verankert werden, unter welchen Bedingungen und innerhalb welcher Fristen Rechtsbehelfe gegen richterliche Entscheidungen vor Gerichten eingelegt werden können, die über eine richterliche Unabhängigkeit verfügen. Eine Nachprüfung der Entscheidungen außerhalb der gesetzlichen Verfahren seitens der Regierung oder Verwaltung wäre ganz eindeutig unzulässig. Gleichzeitig sollten Amt und Vergütung der Richter von Gesetzes wegen gewährleistet werden. In bezug auf das Richteramt sind in der Empfehlung detaillierte Bestimmungen für jene Fälle niedergelegt, in denen es gestattet ist, Richter ihres Amtes zu entheben oder zu entlassen (vgl. Grundsatz Vl). Im übrigen ist eine besondere Empfehlung (vgl. Grundsatz 111.1.c) zur Vergütung der Richter verankert worden. Den Gerichten sollte es gestattet sein, in eigener Verantwortung über ihre Kompetenz nach Maßgabe der Gesetzesvorschriften zu entscheiden, wobei Verwaltung wie Regierung nicht befähigt sein sollten, Entscheidungen zu treffen, die geeignet sind, die richterlichen Beschlüsse hinfällig werden zu lassen, mit Ausnahme der besonderen Fälle der Amnestie, der Begnadigung, der Gnadenerweise oder ähnlicher Maßnahmen. Diese Ausnahmen sind in allen Demokratien gegeben und finden ihre Berechtigung in den dem Wohle der Menschen dienenden höheren Grundsätzen.

15. Die richterliche Unabhängigkeit ist grundsätzlich an die Wahrung der Gewaltentrennung gebunden (vgl. Buchstabe b dieses Grundsatzes). Den Organen von Exekutive und Legislative obliegt es, die Unabhängigkeit der Richter sicherzustellen. Einige von diesen Organen ergriffene Maßnahmen können die Ausübung der rechtsprechenden Gewalt unmittelbar oder mittelbar beeinträchtigen oder verändern. Infolgedessen müssen die Organe von Exekutive und Legislative davon absehen, Maßnahmen zu treffen, die geeignet sind, die richterliche Unabhängigkeit zu unterwandern. Außerdem sollte es Lobbyisten und anderen Interessenverbänden nicht gestattet sein, diese Unabhängigkeit zu kompromittieren.

16. Es ist unerläßlich, daß die Unabhängigkeit der Richter im Zuge ihrer Auswahl wie auch während ihrer gesamten Laufbahn gewährleistet wird (vgl. Buchstabe c dieses Grundsatzes) und sie keiner Diskriminierung unterliegen (Der Leitsatz 10 der Grundsätze der Vereinten Nationen über die Unabhängigkeit der Richterschaft trägt folgenden Wortlaut: „Die zwecks Ausübung des Richteramts ausgewählten Personen haben rechtschaffen und sachkundig zu sein und müssen über eine hinreichende juristische Ausbildung und Befähigung verfügen. Jegliche Art der Richterauswahl hat Garantien gegen mißbräuchliche Berufungen vorzusehen. Die Auswahl der Richter muß ohne Unterschied der Rasse, Hautfarbe, des Geschlechts, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauungen, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status gewährleistet werden; die Norm, nach der ein Kandidat für das Richteramt Staatsangehöriger des betroffenen Landes zu sein hat, gilt nicht als diskriminierend.“) Jede Entscheidung hinsichtlich des beruflichen Werdegangs von Richtern hat auf objektiven Kriterien zu fußen. Obwohl jeder Mitgliedstaat eigene Verfahren bei der Einstellung, Auswahl oder Ernennung an- wendet, hat die Auswahl der Kandidaten und die Berufung in das Richterverhältnis auf der Befähigung zu beruhen. Gerade wenn die Entscheidung zur Ernennung von Richtern von Organen getroffen wird, die gegenüber der Regierung oder der Verwaltung nicht unabhängig sind, oder wenn diese beispielsweise vom Parlament oder vom Staatsoberhaupt gefällt wird, ist es von Bedeutung, daß sie ausschließlich auf objektiven Kriterien beruht.

Alle Entscheidungen bezüglich der Laufbahn von Richtern hat ebenfalls auf objektiven Kriterien zu fußen. Die Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt ist zu wahren, nicht nur im Zuge der Ernennung des Richters, sondern auch während seiner gesamten Laufbahn. So könnte z.B. die Entscheidung, einen Richter auf einen anderen Posten zu befördern, sich in der Praxis als verdeckte Sanktion gegen einen „unliebsamen Richter“ herausstellen. Diese Art der Entscheidung ist natürlich unvereinbar mit den Bestimmungen der Empfehlung. Um solche Situationen zu meistem haben einige Länder, wie z.B. Italien, ein System der Trennung von Laufbahn und richterlichen Aufgaben geschaffen.

Die Empfehlung zielt darauf ab (Absatz 1 Ziffer 2 Buchstabe c), Normen vorzuschlagen, die in allen Mitgliedstaaten zu achten sind, damit die Entscheidungen ohne mißbräuchliches Einschreiten der Exekutive oder der Verwaltung getroffen werden.

Wenn auch in der Empfehlung ein ideales System bei der Richterernennung vorgeschlagen wird, so wird gleichwohl anerkannt (Absatz 2), daß sich eine Reihe von Mitgliedstaaten des Europarats andere Ordnungen zugelegt haben, bei denen sehr oft Regierung, Parlament oder Staatsoberhaupt eingreifen. In der Empfehlung wird nicht vorgeschlagen, diese Ordnungen zu ändern, die seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten Bestand haben, und die sich in der Praxis bewiesen haben. Aber auch in den Staaten, in denen die Richter offiziell von Regierungsseite berufen werden, sollte in irgendeiner Form ein System gegeben sein mit der Möglichkeit, die Transparenz bei den Verfahren zur Richterernennung und deren Unabhängigkeit in der Praxis zu gewährleisten. In einigen Staaten erfolgt dies seitens spezieller unabhängiger und kompetenter Gremien, welche die Regierung, das Parlament oder das Staatsoberhaupt beraten; diese Ratschläge werden gewöhnlich befolgt und bieten dem Betroffenen eine Möglichkeit der Anfechtung. Andere Staaten wiederum haben Systeme ausgewählt, bei denen weitläufige Beratungen mit der rechtsprechenden Gewalt stattfinden, obwohl die eigentliche Entscheidung in Händen eines Regierungsmitglieds liegt.

Es wurde für nicht zweckdienlich erachtet, in dem Wortlaut der Empfehlung ausdrücklich die Systeme der Ernennung seitens des Präsidenten oder des Parlaments zu behandeln, obgleich nach Auffassung des Ausschusses die Leitlinien bezüglich der Ernennung sich auch auf diese Systeme beziehen.

Die Ausbildung der Juristen ist einer der wichtigsten Bestandteile zwecks Sicherstellung, daß die Personen mit der besten Eignung zu Richtern ernannt werden. Die Berufsrichter müssen über eine angemessene juristische Ausbildung verfügen. Außerdem trägt die Ausbildung zur Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt bei. Wenn in der Tat die Richter über ausreichende theoretische und praktische Erfahrung verfügen nebst entsprechender Sachkunde, könnten sie gegenüber der Verwaltung weitaus unabhängiger handeln und, wenn der Wunsch besteht, den Beruf wechseln ohne unbedingt ihre Karriere fortzusetzen.

17. Die Richter sollten ihre Entscheidungen völlig unabhängig treffen (vgl. Ziffer 2 Buchstabe d dieses Grundsatzes). Der Richter sollte die unbedingte Freiheit haben, eine Sache unparteiisch nach eigener Überzeugung, persönlicher Würdigung der Sachverhalts und nach Maßgabe der geltenden Rechtsvorschriften zu behandeln. Diese Bestimmung hat zum Ziel, zu verhindern, daß Druck von irgendeinem und aus welchen Gründen auch immer auf den Richter ausgeübt wird, der ihn zwingen könnte, sein Urteil in dem Sinne zu fällen, wie dies von einer Partei, der Verwaltung, Regierung oder anderen Personen gewünscht wird. Die Korruptionsversuche sollten strafrechtlich geahndet werden. In einigen Staaten sind die Richter z.B. verpflichtet, dem Gerichtspräsidenten oder den offiziellen Behörden den zahlenmäßigen Rückstau von Sachen mitzuteilen. Solche Sachstandsmitteilungen, die zwecks wirksamer Verwaltung der spärlichen Ressourcen im Justizwesen und für Zwecke der Planung erforderlich sind, stehen natürlich in Einklang mit dem Konzept der richterlichen Unabhängigkeit. Gleichwohl können sie als Druckmittel gegenüber den Richtern verwertet werden, die demnach nicht verpflichtet werden sollten, über das Wesen der Sachen zu berichten, um ihre Entscheidungen zu rechtfertigen.

18. Die Verteilung der Sachen kann nach diversen Systemen erfolgen: z.B. durch Losentscheid, nach alphabetischer Folge der Richternamen oder im Wege der Aufteilung der Sachen auf die Gerichtskammern gemäß einer vorher festgelegten Rangfolge (sogenannte „automatische Aufteilung“) oder durch Verteilung der Sachen auf die einzelnen Richter entsprechend eines Beschlusses des Gerichtspräsidenten (vgl. Ziffer 2 Buchstabe e dieses Grundsatzes). Die Art der Verteilung ist nicht wichtig, von Bedeutung ist, daß diese nicht durch eine fremde Einflußnahme verfälscht wird und nicht zugunsten einer Partei erfolgt. In einigen Staaten wird die Entscheidung des Gerichtspräsidenten als annehmbar erachtet. Angemessene Bestimmungen im Hinblick auf den Ersatz von Richtern können im Rahmen der Vorschriften zur Verteilung der Sachen vorgesehen werden, um sicherzustellen, daß in den recht häufigen Fällen (z.B. bei Krankheit, Urlaub) ordnungsgemäß in einer Sache erkannt wird, wenn ein Richter nicht in der Lage ist, die Verhandlung zu führen. Die Ausnahmeentscheidungen (vgl. Ziffer 2 Buchstabe f dieses Grundsatzes) wären somit nur in einer begrenzten Zahl von Fällen erforderlich. Die Bestimmungen zum Ersatz von Richtern sollten die Dauer der Abwesenheit des betroffenen Richters berücksichtigen. –

19. Gleichwohl könnte es in einigen Fällen notwendig erscheinen, einem Richter eine Sache zu entziehen. Aus diesem Grunde, und geleitet von derselben Besorgnis um die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz, sollte von Gesetzes wegen vorgesehen sein, daß einem Richter eine Sache nicht von dem zuständigen Organ ohne berechtigten Grund entzogen wird (vgl. Ziffer 2 Buchstabe f dieses Grundsatzes). Zielsetzung dieser Bestimmung ist es, zu verhindern, daß eine Sache einem Richter von der Exekutive entzogen wird, weil seine vermeintliche Entscheidung z.B. den Erwartungen von Regierung oder Verwaltung nicht entspricht.

20. Einem Richter kann eine Sache nur aus berechtigtem Grund und nach Entscheidung des zuständigen Organs entzogen werden. Der Begriff „berechtigter Grund“ deckt alle Gründe des Entzugs ab, die die Unabhängigkeit von Richtern nicht berühren. Erwägungen hinsichtlich der Effizienz können berechtigte Gründe darstellen. Wenn ein Richter beispielsweise bei der Behandlung der ihm zugewiesenen Sachen wegen einer Krankheit im Rückstand ist, besteht die Möglichkeit, ihn von bestimmten Sachen zu entbinden und sie anderen Richtern zu übertragen. Es kann auch notwendig erscheinen, Richtern bestimmte Sachen zu entziehen, die mit zeitintensiven Fällen betraut sind, wobei die Gefahr besteht, daß sie in den anderen ihnen anvertrauten Sachen nicht zu erkennen in der Lage sind. Es mag erforderlich erscheinen, in den Rechtsvorschriften eine Liste der berechtigten Gründe festzulegen. Diese Bestimmung läßt das Recht auf Klagerücknahme der Parteien unberührt.

21. Bezüglich der Möglichkeit seitens eines Richters, sich der Entscheidung in einer Sache zu enthalten, siehe Grundsatz V (Ziffer 3 Buchstabe c).

Grundsatz II – Amtsgewalt der Richter

22. Um die Achtung des Richters in dieser Eigenschaft zu gewährleisten und den wirkungsvollen Verlauf des Verfahrens in ausgeglichenen Bahnen sicherzustellen, sollten alle von einer Sache betroffenen Personen (wie Parteien, Zeugen, Sachverständige) der Amtsgewalt des Richters entsprechend den Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts unterliegen. Die Staatsorgane und deren Vertreter haben sich ebenfalls der richterlichen Amtsgewalt zu beugen.

23. ´Die Richter sollten über die erforderlichen praktischen Maßnahmen und angemessenen Befugnisse verfügen, um den sicheren Verhandlungsverlauf zu gestatten. Nach Übertragung dieser Befugnisse an die Richter tragen sie die Verantwortung dafür, Fälle zu unterbinden, die ihre Unabhängigkeit in Frage stellen.

24. Als Beispiel seien hier die Vorgehensweisen wegen Mißachtung des Gerichts erwähnt, die es in einigen Mitgliedstaaten gibt („contempt of court“). Ferner dürfte die Anwesenheit von Sicherheitspersonal während der Verhandlungen von Nutzen sein, um diejenigen aus dem Saal zu entfernen, die Ruhestörung betreiben.

Grundsatz III – Angemessene Arbeitsbedingungen

25. : Im Zuge der Steigerung von Effizienz und Billigkeit der Justiz sind die angemessenen Arbeitsbedingungen der Richter von besonderer Bedeutung. Diese den Richtern zustehenden Arbeitsbedingungen sind in der Tat aus den ihnen verliehenen Befugnissen und der ihnen abverlangten Unabhängigkeit abzuleiten.

26. Damit die Richter in wirkungsvoller Weise tätig sein können, dürften die folgenden Maßnahmen zur Schaffung von angemessenen Arbeitsbedingungen für Richter beitragen.

27. Notwendig ist es, Richter in ausreichender Zahl einzustellen, um eine Arbeitsüberlastung zu verhindern und zu gestatten, daß die endgültige Beilequng der anhängigen Verfahren, ungeachtet der Zahl, in einer angemessenen Frist erfolgt (vgl. Ziffer 1 Buchstabe a). Die Staaten können die Prüfung der Möglichkeit wünschen, die Würdigung von Sachen im ersten Rechtszug durch einen Einzelrichter zu gestatten (3 Der Absatz V in der Empfehlung Nr. (86) 12 über Maßnahmen zur Verhütung und Minderung der Arbeitsüberlastung der Gerichte lautet: „Allgemeine Einführung, sofern dies noch nicht der Fall ist, des Einzelrichters im ersten Rechtszug in allen geeigneten Sachen.“).

28. Darauf bedacht, sicherzustellen, daß die Rechtsvorschriften in geeigneter Weise Anwendung kommen, reicht es nicht aus, bei der Auswahl zu verlangen, daß die Richter angemessene Qualifikationen nachweisen; ihnen ist vor der Ernennung und im Verlauf ihres Berufslebens eine angemessene Ausbildung zu ermöglichen. Den Mitgliedstaaten bleibt es überlassen, das Wesen dieser Ausbildung zu konkretisieren. Die Empfehlung schlägt gleichwohl einige Bereiche vor, in denen eine Ausbildung wichtig ist: In einigen Fällen kann die Ausbildung vor der Ernennung sehr begrenzt sein, z.B. gesetzt den Fall, daß ein innerstaatliches System die Berufung früherer Rechtsanwälte zu Richtern vorsieht. Während ihres Werdegangs müssen die Richter an Fortbildungen teilnehmen, bei denen sie über die bedeutenden neuen Entwicklungen unterrichtet werden, wie etwa die jüngsten Fortentwicklungen bei der Gesetzgebung und der Rechtsprechung, die sozialen Strömungen oder die einschlägigen Studien zu aktuellen Fragen oder Themen.

29. Der Status und die Vergütung sind gewichtige Faktoren bei den angemessenen Arbeitsbedingungen (vgl. Ziffer 1 Buchstabe b). Der den Richtern zugesprochene Status hat der Würde ihres Berufs zu entsprechen und die Vergütung soll verglichen mit der Bürde ihrer Verantwortlichkeiten ein ausreichendes Entgelt darstellen. Diese Faktoren sind wesentlich für die Unabhängigkeit der Richter, insbesondere die Anerkennung der Bedeutung ihrer Rolle als Richter in Gestalt von Achtung und angemessener finanzieller Rücklage.

30. Die Bestimmung in Ziffer 1 Buchstabe b ist eng an den ersten Grundsatz betreffend die Entscheidungen zum Berufsleben der Richter angelehnt, wobei selbstverständlich ihr Status und ihre Vergütung inbegriffen sind.

31. Die Qualität richterlicher Entscheidungen ist hauptsächlich von der Qualität und der Fachkunde der Richter abhängig. Einige Mitgliedstaaten haben große Schwierigkeiten, die besten Juristen zum Richteramt zu bewegen und dort zu halten. Die Konkurrenz mit dem Privatsektor ist groß, weil dieser attraktivere Karrierechancen anbietet. Ziffer 1 Buchstabe c möchte deshalb die Mitgliedstaaten ermuntern, Anstrengungen zu unternehmen, damit diese Juristen eine interessante Karriere als Richter erhoffen können. Zu diesem Zweck haben sie die Laufbahnstruktur zu verbessern, effektive Aufstiegsmöglichkeiten zu schaffen und die Vergütung zu erhöhen.

32. Die Richter könnten auch wirkungsvoller arbeiten und ihre Entscheidungen rascher fällen, wenn ihnen ausreichend Hilfspersonal zur Seite steht und sie angemessen ausgestattet sind (vgl. Ziffer 1 Buchstabe d). Um eine effizientere Verwaltung der Gerichte und Sachen zu gewährleisten, ist es notwendig, den Richtern die Mittel in Form von Büro- und Informatikmaterial zur Verfügung zu stellen.

33. Um die Richter schließlich zu entlasten und ihnen zu gestatten, sich auf ihre Aufgabe der Rechtsprechung zu konzentrieren, erscheint es wichtig, sie von allen außergerichtlichen Aufgaben zu entbinden, die anderen Personen übertragen werden könnten (vgl. Ziffer 1 Buchstabe f ). Gewöhnlich ist es nicht Aufgabe von Richtern, selbst bestimmte Aufgaben an andere Personen zu übertragen, aber das Recht im weitesten Sinne könnte die Verlagerung dieser außergerichtlichen Aufgaben billigen (Siehe auch die Empfehlung Nr. R (86) 12 des Ministerkomitees über bestimmte Maßnahmen zur Verhütung und Minderung der Arbeitsüberlastung der Gerichte und insbesondere den Anhang (Beispiele von außergerichtlichen Aufgaben, von denen die Richter in einigen Staaten auf der Grundlage der den einzelnen Ländern eigenen Fakten zufolge entbunden werden könnten)).

34. Das Delegieren darf jedoch nicht an Aufgaben geknüpft sein dahingehend, daß die richterliche Unabhängigkeit gefährdet ist. Die gerichtlichen Aufgaben sollten selbstverständlich der ausschließlichen Zuständigkeit des Richters unterliegen.

35. Ein letzter Aspekt bei den Arbeitsbedingungen von Richtern betrifft die Sicherheit und den physischen Schutz der Richter (vgl. Ziffer 2). Die Mitgliedstaaten müssen die angemessenen Mittel bereitstellen, um den Schutz von Richtern sicherzustellen, wenn dies notwendig erscheint. Das Schutzerfordernis ist so besonders bei Strafrichtern gegeben, kann aber auch bei Richtern nützlich sein, die in Zivil- und Handelssachen erkennen. Die Anwesenheit von Sicherheitspersonal in den Gerichtsräumlichkeiten und der polizeiliche Schutz von Richtern, die schweren Bedrohungen ausgesetzt sind, wären mögliche Maßnahmen.

Grundsatz IV- Vereinigungen

36. Dieser Grundsatz verleiht den Richtern das Recht, in kollektiver Weise vorzugehen, um ihre berufliche Unabhängigkeit sicherzustellen und ihre Interessen zu schützen. Zu diesem Zweck steht es den Richtern frei, Vereinigungen zu gründen, deren Tätigkeiten sich auf die Verteidigung der Unabhängigkeit und der Interessen des Berufs beschränken. Diese Vereinigungen können beispielsweise an den Lohnverhandlungen mit dem Justizministerium teilnehmen oder zu der Ausbildung der Richter beitragen. Diese Vereinigungen können allein oder in Verbindung mit anderen Organen tätig werden.

37. In einigen Mitgliedstaaten nehmen richterliche Organe oder das Justizministerium an der Verwaltung der Gerichte höherer und niedriger Instanz teil. Auch hier hat ein Einschreiten die richterliche Unabhängigkeit zu wahren.

Grundsatz V- Richterliche Verantwortlichkeiten

38. Die dem unabhängigen Richter übertragene Funktion besteht darin, die Rechte und Freiheiten einer jeden Person im Rahmen der rechtspflegerischen Aufgaben zu schützen (s. Ziffer 1). Der Richter ist für die den Einzelnen verliehenen Rechte und Freiheiten verantwortlich. Diese Verpflichtung besteht nicht nur darin, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergelegten Mindestrechte zu schützen. Sie geht weit dar- über hinaus, wobei es allerdings schwierig ist, die genaue Tragweite zu umreißen. Schließlich betrifft die Verpflichtung die Verteidigung der Demokratie und die Vorherrschaft des Rechts, die in den Satzungen des Europarats dargelegt sind, indem somit jegliche Unterdrückung und totalitäre Staatsformen unterbunden werden.

39. Der Grundsatz über die Verantwortlichkeiten des Richters behandelt das Verhältnis zwischen den Aufgaben und Befugnissen der Richter. Der Richter sollte über die geeigneten Befugnisse verfügen, um die Erfüllung seiner Aufgabe in voller Unabhängigkeit sicherzustellen. Die Richter sind verpflichtet, die ihnen verliehenen Befugnisse auszuüben (s. Ziffer 2),

40. Die Richter sollten über Arbeitsbedingungen verfügen, die es ihnen gestatten, ihre Verantwortlichkeiten wahrzunehmen (s. Grundsatz III). Es wird ein Gleichgewicht hergestellt zwischen dem Anspruch der Richter auf angemessene Arbeitsbedingungen und ihrer Verantwortung bei der Nutzung der ihnen bereitgestellten Ressourcen, wobei der Mangel an angemessenen Arbeitsbedingungen von einem Richter nicht zu der Rechtfertigung dafür herangezogen werden kann, sich davon zu enthalten, die in Ziffer 3 dargelegten richterlichen Verantwortlichkeiten wahrzunehmen.

41. In Ziffer 3 werden mehrere den Richtern übertragene Verantwortlichkeiten aufgezählt:

a. Zunächst obliegt es dem Richter, bei allen Sachen völlig unabhängig und gegen jeglichen äußeren Druck schützt zu handeln. Dies hat keine Gültigkeit in den Fällen, in denen eine höhere Instanz eine niedrigere Instanz in bezug auf Rechtsfragen bindet.

b. Ein unabhängiger Richter hat die Sachen unparteiisch zu entscheiden, seine Entscheidung hat sich ausschließlich auf die Beurteilung des Sachverhalts und ihrer Gesetzesauslegung zu stützen. Der Buchstabe b des Unterabsatzes 3 nimmt ausdrücklich Bezug auf die Billigkeit und die Verfahrensrechte der Parteien entsprechend der Gewährleistung durch die Europäische Menschenrechtskonvention. Es handelt sich hier im besonderen um Artikel 6 Ziffer 1 der Konvention, der besagt, daß jedermann Anspruch darauf hat, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist nach Maßgabe des Gesetzes gehört wird.

c. Der Richter ist verpflichtet, in den ihm übertragenen Sachen ein Urteil zu fällen. Diese Verantwortlichkeit ist das Gegengewicht zum ersten Grundsatz Ziffer 2 Buchstabe f. Wenn eine Sache einem Richter seitens des geeigneten Organs nicht ohne berechtigten Grund entzogen werden kann, so kann auch der Richter sich einer Sache nicht ohne berechtigten Grund entledigen. Wenn aber solche Gründe vorliegen, sollten die Richter verpflichtet sein, sich von der Sache zurückzuziehen. Diese beiden Aspekte tragen dazu bei, die richterliche Unabhängigkeit zu gewährleisten. Diese Verantwortlichkeit kommt insbesondere in dem Fall zum Zuge, wo ein Richter sich nur deshalb von einer Sache zurückzieht, weil das zu sprechende Urteil unpopulär sein dürfte, wenn auch berechtigt. Ein Richter kann sich jedoch einer Sache enthalten, wenn ein Interessenkonflikt oder irgendein anderer berechtigter Grund gegeben sind. Der „berechtigte Grund“ kann von Gesetzes wegen oder in der Rechtsprechung festgelegt sein. Als andere Beispiele berechtigter Gründe können schwere Gesundheitsprobleme oder das Interesse der Justiz zitiert werden. Die letztgenannte Struktur ist schwerlich zu erfassen, bezieht sich jedoch in gewissem Maße auf das Prinzip, wonach „nicht nur Recht gesprochen werden soll, sondern auch vernommen werden soll, daß Recht gesprochen wurde. Wenn z.B. eine Sache einen Nachbarn des Richtern betrifft und dieser den Nachbarn nicht kennt, gibt es keinen persönlichen Interessenkonflikt. Der Richter kann aber für notwendig erachten, sich der Sache im Interesse der Justiz zu enthalten, um keinen Zweifel an dem unparteiischen Charakter des Gerichts aufkommen zu lassen.

d. Den Richtern obliegt es ebenfalls, in geeigneten Sachen im Interesse der Justiz und in unparteiischer Weise gegenüber den Parteien bestimmte Verfahrensfragen zu erläutern. Insbesondere Parteien, die nicht durch Rechtsanwälte vertreten werden, benötigen sehr oft Erläuterungen zur Verfahrensordnung, wobei die Richter darauf zu achten haben, daß die Parteien hinlänglich unterrichtet werden, um das Verfahren zu begreifen.

e. Die richterliche Verantwortlichkeit, die Parteien gegebenenfalls zu ermutigen, eine gütliche Einigung herbeizuführen, unterstreicht die Schlichterfunktion, die er zu Zwecken einer wirkungsvollen Justiz ausübt. Im übrigen gilt als naturgegebener Auftrag des Richters, die Parteien zur Schlichtung zu bewegen: Gespräche sind besser als Auseinandersetzungen. Die ,Richter haben dieses Amt jedoch mit Taktgefühl und Maß zu verrichten derart, daß ihre Unparteilichkeit nicht in Zweifel gezogen werden kann.

f. In dem Bemühten stets um Sicherstellung der Wirksamkeit und Billigkeit der Justiz haben die Richter ihre Entscheidungen klar und vollständig zu begründen unter Verwendung leicht verständlicher Formulierungen für die Parteien. Sie sollten sich bemühen, den Gebrauch komplexer Worte zu verhindern, wenn gängigere Synonyme vorliegen, oder keine Zitate in einer Fremdsprache zu verwenden, wenn ein Äquivalent in der Muttersprache gegeben ist. Das Erfordernis jedoch, die Entscheidung zu begründen, ist nicht absoluter Natur. In einigen Staaten ist es nicht notwendig, in bestimmten besonderen Sachen Gründe anzuführen, z.B. bei Versäumnis- oder Anerkenntnisurteilen (Deutschland), wenn Geschworene in einer Sache erkennen oder die Streitsache vorläufige Maßnahmen betrifft (Malta) oder auch wenn ein Berufungsgericht die Entscheidung des Gerichts 1. Instanz nicht abändert (Schweden). Gewöhnlich sind solche Fälle, die vom Hauptgrundsatz abweichen, gesetzlich geregelt oder entsprechen zumindest einer seit langer Zeit etablierten Praxis der Gerichte.

9. Als Gegengewicht zu der Verpflichtung der Staaten, eine angemessene Ausbildung vor der Ernennung der Richter und während ihrer Laufbahn bereitzustellen (vgl. Grundsatz III Ziffer 1 Buchstabe a), müssen diese alle Fortbildungsmaßnahmen wahrnehmen, die der effizienten und angemessenen Ausübung ihres Amts´ dienlich sind. Wenn die Mitgliedstaaten schon Fortbildungsmaßnahmen bereitstellen, sollten diese von den Richtern in Anspruch genommen werden. Diese Verantwortlichkeit bezieht sich insbesondere auf die Verpflichtung, sich über die jüngsten Änderungen im Bereich der Gesetzgebung und Rechtsprechung zu informieren.

Grundsatz Vl – Nichterfüllung der Verantwortlichkeiten und Disziplinarvergehen

42. Dieser Grundsatz verpflichtet die Richter, ihre Befugnisse auszuüben und ihren Aufgaben nachzukommen. Die Richter, wie auch alle anderen Vertreter staatlicher Organe, unterliegen einer Kontrolle über die Einhaltung dieser Pflicht.

43. Kommen die Richter ihren Verantwortlichkeiten nicht in wirksamer und angemessener Weise nach, sollten alle erforderlichen Maßnahmen getroffen werden. Je nach den Rechtsgebräuchen der Staaten können solche Maßnahmen z.B. bestehen aus der Unzuständigkeitserklärung eines Richters in bestimmten Sachen, Zuweisung anderer richterlicher Aufgaben innerhalb des Gerichts, Verhängung von Geldstrafen, wie z.B. Kürzung der Bezüge für einen befristeten Zeitraum oder Suspendierung vom Amt (vgl. Ziffer 1 dieses Grundsatzes). Selbstverständlich sollten diese Maßnahmen die Ausnahme sein, um die Unabhängigkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten. Es steht den Mitgliedstaaten zu, das mit der Prüfung der richterlichen Tätigkeiten betraute zuständige Organ zu bestimmen; aus diesem Grunde werden in Ziffer 3 der Empfehlung die Mitgliedstaaten nur gebeten, die Möglichkeit zu prüfen, ein besonderes Organ zu schaffen. Es sollte die Möglichkeit bestehen, die Entscheidungen dieses Organs vor einem, Gericht anzufechten. Dieses Organ kann eine Gerichtsbehörde sein, wobei andere Einrichtungen wie das Justizministerium diese Aufgabe in einigen Mitgliedstaaten wahrnehmen. So sollte ein Ministerium nicht unter dem Vorwand des Vorgehens als Kontrollbehörde einem Richter eine Sache entziehen, der eine Entscheidung gefällt hat, die den Wünschen der Verwaltung nicht entspricht. Stellen sich jedoch bei einem Richter bei der Behandlung seiner Fälle drastische Verzögerungen ein, können der Gerichtspräsident, eine höhere Gerichtsbehörde oder das Justizministerium beschließen, die Gründe dieser Verzögerungen zu erforschen. In diesen Fällen beeinträchtigt das Erfordernis der wirkungsvollen Justiz nicht die Unabhängigkeit der Richter.

44. Wird nach dem innerstaatlichen Recht nachgewiesen, daß ein Richter ein Disziplinarvergehen begangen hat, ist vordringlich, daß jegliches gegen ihn eröffnete Verfahren seine Unabhängigkeit gewährleistet und daß jedes Gericht oder zuständige Organ unabhängig und unparteiisch ist. In einigen Mitgliedstaaten ist die Instanz, vor die der Richter gebracht wird, der eines Disziplinarvergehens beschuldigt wird, aus Richtern oder auch aus Richtern und anderen Personen zusammengesetzt, die der Richterschaft nicht angehören. In anderen Mitgliedstaaten wiederum gibt es keine richtigen Disziplinargerichte, wobei als einzige Sanktion die Amtsenthebung gegeben ist. Nur in wenigen Ländern kann das nationale Parlament einen Richter eines höheren Gerichts von seiner Tätigkeit abberufen. Die Tatsache schließlich, daß die Instanz, welche das Disziplinarverfahren betreibt, nicht unter die Gerichtsbarkeit der Richter fällt oder einem gewissen richterlichen Einfluß nicht unterliegt, bereitet keine Schwierigkeiten, sofern die Unabhängigkeit der Gerichte oder Organe und der unparteiische Charakter des Verfahrens Achtung finden.

45. In Ziffer 2 wird den unterschiedlichen Fällen Rechnung getragen, in denen Richter vor dem Erreichen des Ruhestands ihres Amtes enthoben werden können.

46. Der Grundsatz der Unabsetzbarkeit der auf Lebenszeit ernannten Richter zielt auf die Gewährleistung ihrer Unabhängigkeit ab mit der Folge, daß ein auf Lebenszeit ernannter Richter ohne berechtigten Grund nicht seines Amtes enthoben werden kann, solange er nicht das erforderliche Ruhestandsalter erreicht hat. In einigen Mitgliedstaaten jedoch ist die Ausübung der Aufgaben bestimmter Richter nicht bis zum Ruhestandsalter gesichert. Es handelt sich hierbei um Fälle, in denen die Richter entweder nach einem bestimmten Zeitraum neu gewählt werden müssen, oder in denen bestimmte Richter, wenn sie ihr Amt antreten, eine „Probezeit“ absolvieren, in der sie abgesetzt werden können.

47. Der Begriff „berechtigter Grund“ beinhaltet die Fälle von Disziplinarvergehen oder Unfähigkeit. Selbstverständlich genießen die Richter im Zuge des Absetzungsverfahrens dieselben Rechte und Garantien wie die übrigen Verfahrensparteien. Zu erwähnen seien auch die Grundsätze der Vereinten Nationen über die Unabhängigkeit der Richterschaft (Ziffer 19 der Grundsätze der Vereinten Nationen über die Unabhängigkeit der Richterschaft lautet wie folgt: „In allen Disziplinar-, vorläufigen Dienstenthebungs- oder Amtsenthebungsverfahren werden die Entscheidungen auf der Grundlage der Bestimmungen über das Verhalten der Richter getroffen.“)

 
 
Zum Anfang dieser Seite