Gewaltenteilung in Deutschland

Standards verwaltungsrichterlicher Arbeit- Aufforderung zum Rechtsbruch


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Herrn
Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Eckart Hien
Simonplatz 1
04107 Leipzig

Offener Brief

„Standards verwaltungsrichterlicher Arbeit- Aufforderung zum Rechtsbruch“

Sehr geehrter Herr Hien

am 7. März 2005 haben Sie in Mannheim gemeinsam mit den Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte „Standards verwaltungsrichterlicher Arbeit“ beschlossen. Diese „Standards“ sind vor kurzem u.a. in den Internet-Auftritten der Verwaltungsgerichte veröffentlicht worden.

Die Neue Richtervereinigung ist entsetzt über den in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellosen Vorgang. Mit den „Standards“ haben die Teilnehmer der Präsidentenkonferenz elementare Prinzipien des Rechtsstaats verletzt.

  1. Nach dem Grundgesetz sind die Richterinnen und Richter „unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen“. Von Gerichtspräsidenten gesetzte „Standards“ sind in der Rechtsordnung nicht vorgesehen. Von Gerichtspräsidenten beschlossene „Standards“, die auf die Auslegung und Anwendung der Gesetze durch die Richterinnen und Richter Einfluss nehmen sollen, sind unzulässig und verfassungswidrig.
  2. „Kurze Verfahrenslaufzeiten“ dienen den Bürgern und werden daher generell von den jeweils zuständigen Richterinnen und Richtern angestrebt. Die außerordentlich einseitige Betonung des „kurzen Prozesses“ durch die Präsidentenkonferenz sehen wir allerdings als eine Ermunterung der Richterschaft zu oberflächlicher Arbeit an, die den Bürgern schadet. Kurze Verfahrenslaufzeiten sind bei hoher inhaltlicher Qualität der richterlichen Tätigkeit nur möglich, wenn die Justizminister und die Landesparlamente ihren verfassungsrechtlichen Verpflichtungen zur ausreichenden personellen und sachlichen Ausstattung der Verwaltungsgerichte nachkommen.
  3. Die Amtsermittlung ist eine – gesetzlich angeordnete – tragende Säule des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. In einer rechtlich eindeutigen Formulierung („Was man dem Richter nicht klagt, soll er nicht richten“) ruft die Präsidentenkonferenz die Richterinnen und Richter zur Nichtbeachtung dieses Grundsatzes auf. Nach Auffassung der Neuen Richtervereinigung müssen die Richterinnen und Richter an den Verwaltungsgerichten in Deutschland dies als eine Aufforderung zum Rechtsbruch verstehen.
  4. Amtsermittlung ist immer dann notwendig, wenn sich einerseits stärkere und andererseits schwächere Beteiligte vor Gericht begegnen. Das trifft in besonderem Maß auf Prozesse vor den Verwaltungsgerichten zu, in denen sich Bürger – vielfach ohne Rechtsanwälte – auf der einen Seite und der Staat auf der anderen Seite gegenüberstehen. Der Aufruf der Präsidenten zur Missachtung der Amtsermittlung ist bürgerfeindlich. Ohne die richterliche Pflicht, den Sachverhalt selbständig zu erforschen, wäre verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz eine Scheinveranstaltung, zumal im Verwaltungsverfahren immer mehr Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte eingeschränkt werden.

Unter dem Deckmantel von „Binnenmodernisierung“ und nur scheinbarer „Qualitätssicherung“ hat die Präsidentenkonferenz den Versuch unternommen, verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Deutschland zu demontieren. Verwaltungs-richterinnen und Verwaltungsrichter weisen diesen Versuch zurück.

Die Neue Richtervereinigung bittet Sie – ebenso wie die anderen Mitglieder der Präsidentenkonferenz – um Ihre Stellungnahme zum Skandal der „Standards verwaltungsrichterlicher Arbeit“.

Mit freundlichen Grüßen

Wilfried Hamm

Sprecher der Neuen Richtervereinigung

 
 
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