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Anmerkung:

Ungezügelte Demokratie hat das Potenzial einer Bestie. Mehrheitsherrschaft an sich kennt weder Grenzen noch Toleranz. Beispielsweise die französische Revolution führte für die dominierte Minderheit direkt in ein demokratisch legitimiertes Blutbad.

Der Rechtsstaat legt der Demokratie die notwendigen Fesseln an. Er schafft die staatlichen Strukturen, innerhalb derer Demokratie stattfinden darf, er bestimmt die Spielregeln demokratischen Handelns, er verringert die Macht Einzelner durch die Aufteilung von Macht auf Viele  – z.B. auf Parlament, Regierung und Justiz (=Gewaltenteilung), auf Bund und Länder, auf Kommunen und andere Selbstverwaltungskörperschaften – , er schafft mit Grundrechten Schutzräume, in die der Staat nicht oder nur unter besonderen Voraussetzungen eindringen darf, er gibt den Bürgern das Recht, staatliches Handeln von unabhängigen Gerichten überprüfen zu lassen und Politiker abzuwählen.

Der Rechtsstaat ist das Betriebssystem einer Demokratie. Seine Ausgestaltung prägt ihr Aussehen und bestimmt ihr Gewicht.

Der Rechtsstaat macht die Demokratie in den Augen vieler Menschen kompliziert und teuer. Warum soll es falsch sein, das als gut Erkannte unter Verzicht auf umständliche rechtsstaatliche Hürden geradlinig durchzusetzen und dadurch Kosten zu verringern? So kann – in Deutschland wie auch anderswo – bei Politikern die Neigung entstehen, sich lästiger rechtsstaatlicher Institutionen und Regelwerke zu entledigen unter dem Vorwand, den Staat verschlanken und effektiver machen zu wollen. Das kann die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats gefährden.

Dies gilt ebenso für Übergriffigkeiten im privaten politischen Engagement (z.B. hin zu Formen von Faustrecht und Selbstjustiz), wie auch für Exzesse in den „sozialen Medien“: Die Unschuldsvermutung wird ausgehebelt, Pranger werden errichtet, die Kollaboration Dritter wird erzwungen. Das persönlich für gut und wahr befundene wird anderen aufgenötigt, Menschenwürde (Art. 1 GG) und Freiheit anderer (Art. 2 GG) stehen den eigenen weltanschaulichen Werten nach. Übergriffiger politischer Eifer entwertet die Grundrechte anderer zu hohlen Worten auf Papier.

Im demokratischen Rechtsstaat gelten nur die „roten Linien“, die durch Gesetze festgelegt sind. Jenseits dieser gesetzlichen Schranken lebt die Freiheit (auch die der Anderen). – Auch Rechthaberei, Intoleranz und Eigenmacht machen rechtlich garantierte Freiheit zu Worten auf Papier.

Solange Wahlen regelmäßig stattfinden und im Ergebnis den Willen der Mehrheit abbilden, wird allerdings – entgegen der Wortwahl mancher Politiker und Journalisten – durch Demontagen des Rechtsstaats nicht die Demokratie geschwächt.  Etwas anderes geschieht: Die Demokratie wird aus ihren rechtsstaatlichen Fesseln gelöst. Die Demokratie wird entfesselt.

Aus rechtsstaatlichen Fesseln gelöst kann eine Demokratie totalitäre Züge annehmen.*

Demokratiie garantiert keinen Rechtsstaat. Aber ein Rechtsstaat kann Demokratie garantieren.

 

Udo Hochschild

(© Udo Hochschild – gewaltenteilung.de)

 

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* „Wir dürfen nicht vergessen, daß Hitler auf legitime Weise an die Macht kam und daß das Ermächtigungsgesetz, das ihn zum Diktator machte, von einer parlamentarischen Mehrheit beschlossen wurde. Das Legitimitätsprinzip reicht nicht hin.“

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Das Taschenbuch

 

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