Zu der Schieflage der Gewaltenteilung in Deutschland im Einzelnen

Die Exekutive – eine andere Staatsgewalt – hat Macht über die Organe der deutschen Justiz. Wer befördert, befiehlt!

In Deutschland entscheiden zu Ministern ernannte Politiker und die ihren Weisungen unterstellten Beamten über die Auswahl, die Anstellung, die Benotung in Dienstzeugnissen und die Beförderung von Richtern. Diese Personalhoheit der Exekutive über die Richter ist Macht über die Lebenswege einzelner Menschen. Jeder Richter weiss, dass seine Karriere davon abhängt, ob seine Verhaltenweise der Regierung gefällt. Dies führt nicht nur zu sozialen, sondern auch zu psychischen Abhängigkeiten von Richtern.

Die verfassungsmäßig garantierte Unabhängigkeit der Organe der Justiz spiegelt sich nicht in der Rechtswirklichkeit wieder.

Die Macht der Ministers reicht bis in die Gerichte hinein: Entgegen einem verbreiteten Irrtum sind die Gerichtspräsidenten in ihrer Aufgabe als Präsidenten nicht Richter, sondern weisungsgebundene Verwaltungsbeamte. Nur während sie richterliche Tätigkeiten ausüben (Gerichtsakten bearbeiten, eine Gerichtsverhandlung leiten) stehen sie als Richter den anderen Richtern gleich. Als Repräsentanten des Gerichts und in ihrer Eigenschaft als Organe der Justizverwaltung sind sie hingegen (im ministeriellen Außendienst) der Exekutive weisungsunterworfene Beamte und als solche die Dienstvorgesetzten der übrigen Richter an ihrem Gericht.

Die Gerichtspräsidenten erteilen den Richtern in regelmäßigen Abständen Noten mit Versetzungscharakter (Schulnoten vergleichbar). Den Maßstab dafür, wann ein Richter „gut“ ist und im Zeugnis in die nächsthöhere Notenstufe „versetzt“ wird, legt eine andere Staatsgewalt (das Ministerium = Exekutive) in Beurteilungsnsrichtlinien fest. Die Gerichtspräsidenten sind an diese ministeriellen Vorgaben gebunden. Die Beförderungsauslese erfolgt so – auch – nach den politischen Vorstellungen und den Interessen der Regierung.

In deren finanzpolitischem Interesse kann es liegen, oberflächlich arbeitende Richter besser zu benoten als sorgfältig arbeitende Richter. Denn wer sich Nachfragen und Ermittlungen erspart, wer tatsächliches oder rechtliches Vorbringen der Prozessparteien übergeht, wer darauf verzichtet, Sachverständigengutachten zu durchdenken, wer den Bürgern in der Verhandlung das Wort abschneidet und sie im Urteil mit Satzbausteinen abfertigt, erledigt mehr Fälle pro Jahr als es einem bürgerfreundlichen und streng an Verfassung und Gesetz orientierten Richter möglich ist. Das vermindert Ausgaben: Je mehr Fälle pro Richter im Jahr erledigt werden, desto weniger Richter braucht man. Oberflächlich und unsauber arbeitende Richter helfen der Regierung bei der Einsparung von Richterstellen. Zu Ministern ernannte Politiker können richterliches Fehlverhalten belohnen: Der kostensparende „Schnellrichter“ steigt in der Notenskala auf und macht Karriere, sein sorgfältig arbeitender Kollege „bleibt sitzen“. Die Verfassungsprinzipien des rechtlichen Gehörs und der Bestenauslese haben das Nachsehen.

Gleiches gilt umso mehr für die – in Deutschland – dem Justizminister (einem Politiker) weisungsabhängig unterstellten Staatsanwälte.

Die Karrierelaufbahnen von Richtern (Organe eigener Art gemäß Artikel 97 Grundgesetz) und Staatsanwälten (Beamte) sind in Deutschland oftmals miteinander verwoben: Ein Staatsanwalt wird mit einem Richteramt belohnt, ein Richter mit einem Beförderungsamt im staatsanwaltlichen Bereich. In stetem Wechsel zwischen Ankläger- und Richterfunktion kann dies bis in höchste Positionen in Bund und Ländern führen. Aber wie neutral ist ein Strafrichter zwischen Anklage und Verteidigung, wenn der Staatsanwalt sein Kollege, ein guter alter Bekannter, ein Freund aus gemeinsamen Staatsanwaltszeiten ist, während ihm der Verteidiger zum ersten Mal begegnet? In ähnlicher Weise miteinander verwoben sind mancherorts die Karrieren von Verwaltungsbeamten und Verwaltungsrichtern.

Es steht in der Macht der Exekutive, die Öffentlichkeit über die Art der von ihr betriebenen „Bestenauslese“ in der Justiz in die Irre zu führen, indem sie einerseits in öffentlich zugänglichen ministeriellen Beurteilungensrichtlinien nachlesbare sachgerechte Kriterien für die Beurteilung vorschreibt, die dann aber andererseits im Einzelfall (bei der Notenerteilung) auf Grund von informellen „Anregungen“ in den Hintergrund treten und von Kriterien wie  Anpassungsbereitschaft, Plansollerfüllung, der Empfehlung gesetzwidriger ‘Standards’ oder von verschleierter Günstlingswirtschaft überlagert werden können.

Udo Hochschild

PS: Anmerkung des preußischen Justizministers Adolf Leonhardt im Jahre 1879 zu § 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG):

„Solange ich über die Beförderungen bestimme, bin ich gerne bereit, den Richtern ihre sogenannte Unabhängigkeit zu konzedieren“

(Zitat bei Dr. Eugen Schiffer, Reichsminister der Justiz a.D., Die Deutsche Justiz, 2. Auflage, München u. Berlin, 1949, Seite 245 ff.)

 

Zum Anfang dieser Seite