Christoph Strecker

Selbstverwaltung der Justiz in Spanien

Aus: Betrifft JUSTIZ Nr. 56 – Dezember 1998 Seite 346 ff.

 

Christoph Strecker

Selbstverwaltung der Justiz in Spanien

Ein Interview mit Ramón Sáez, Mitglied des Consejo General del Poder Judicial

 

Ich habe mich in Madrid mit einem Mitglied des spanischen Consejo General del Poder Judicial (wörtlich übersetzt: Oberster Rat der Gerichtsbarkeit) unterhalten. Ramón Sáez gehört zur spanischen Richterorganisation ìJueces para la Democracia“ (Richter für die Demokratie), zu der seit den Gründungszeiten der europäischen Richtervereinigung MEDEL politische und freundschaftliche Kontakte bestehen. (Betrifft JUSTIZ Heft Nr. 11 Sept. 1987 S. 115 – 116: Staatsanwälte in Spanien; Betrifft JUSTIZ Heft Nr. 16 Dez. 1988 S. 363: Beharrlichkeit und Wandel in Spanien).

Der Consejo General residiert in einem eigenen Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft des Obersten Gerichts. Seine Bedeutung wird schon durch Parkverbotsschilder betont und erst recht durch einen bewaffneten Polizisten vor dem Eingang, der mir verbietet, die Schilder zu fotografieren.

An der Pforte werde ich von Ramóns Mitarbeiter abgeholt, nachdem ich die Sicherheitsschleuse passiert und einen Besucherausweis bekommen habe.

* * *

bJ: Von Deutschland aus sehen wir mit Interesse auf die Länder, in denen die Justiz nicht von einem Ministerium, also der Exekutive, verwaltet wird.

Ramón Sáez: Unser Consejo General ist ein selbständiges Organ der Dritten Gewalt, durch das die Gerichtsbarkeit sich selbst verwaltet.

Wie sieht das konkret aus? Welche Funktionen hat der Minister, welche hat der Consejo General ?

Der Justizminister hat mit der Justiz kaum etwas zu tun. Er ist für Rechtspolitik, Gesetzgebung und dergleichen zuständig.

Personalpolitik

… ist allein Sache des Consejo General. Er organisiert die Auswahlverfahren (Concursos) für den Zugang zum Richterberuf …

Auch für die Staatsanwälte?

Nein, sie gehören bei uns nicht zur rechtsprechenden Gewalt.

Wer ernennt die Richterinnen und Richter, die den Concurso bestanden haben?

Das ist Sache des Consejo General.

Und Beförderungen?

Bei uns gibt es nur drei Laufbahnstufen. Das Eingangsamt ist der „Juez“, danach folgen der „Magistrado“ und der Richter am Obersten Gericht. Die Ernennung zu den beiden Beförderungsstufen erfolgt auf Vorschlag des Consejo General durch den König mit Gegenzeichnung des Justizministers.

Nach welchen Kriterien erfolgen diese Beförderungen?

Ein Juez kann sich um eine frei werdende Planstelle eines Magistrado bewerben. Bei der Auswahl zwischen mehreren Bewerberinnen und Bewerbern spielen seine Kenntnisse und Fähigkeiten – auch das Dienstalter – eine Rolle.

Was ist mit den Stellen der Kammervorsitzenden und Gerichtspräsidenten ?

Das sind keine Beförderungsstellen. Vorsitzender einer Kammer ist deren ältestes Mitglied. Die Position des Gerichtspräsidenten wird durch den Consejo General immer nur auf die Zeit von 5 Jahren besetzt.

Ist Wiederwahl möglich?

Ja.

Was geschieht, wenn ein Präsident oder eine Präsidentin nicht wiedergewählt wird?

Der oder die Betreffende kehrt wieder in die früher ausgeübte Funktion, z.B. einen Kammervorsitz, zurück.

Und wenn diese Position jetzt anderweitig besetzt ist?

Das kann nicht vorkommen. Den Vorsitz führt immer das älteste Mitglied der Kammer. Kehrt ein Präsident dorthin zurück, so wird der zwischenzeitliche Vorsitzende wieder einfaches Kammermitglied.

Wer schreibt die Beurteilungen der Richterinnen und Richter?

Was für Beurteilungen?

Bei uns beurteilen die Gerichtspräsidenten die Leistungen der Richterinnen und Richter und deren Eignung für eventuelle Beförderungsämter. Diese Beurteilungen werden in Abständen von vier Jahren oder aus Anlaß von Bewerbungen um ein Beförderungsamt erstellt. Sie kommen in die Personalakten und begleiten das ganze Richterleben. Bei Personalentscheidungen wird auf sie zurückgegriffen.

So etwas kennen wir nicht.

Woher nimmt der Consejo General die Kriterien für seine Personalentscheidungen ?

Der Consejo General erstellt und veröffentlicht im Abstand von drei Jahren Ranglisten, in denen Dienstalter, berufliche Erfahrung und die Ergebnisse von Prüfungen im Fortbildungszentrum des Consejo General berücksichtigt werden. Sie sind die Grundlage für den Aufstieg vom Juez zum Magistrado.

Gilt das auch für die Wahl zum Präsidenten ?

Nein. Hier und auch bei der Wahl zum Richter am Obersten Gericht muß der Consejo General sich eine eigene Meinung bilden. Das kann gelegentlich recht schwierig sein, und es gibt auch engagierte Diskussionen. Eine wichtige Informationsquelle sind die vom Consejo General regelmäßig durchgeführten Inspektionen der Gerichte.

In Italien sind die Sitzungen und Personaldebatten des Consiglio Superiore della Magistratura öffentlich.

Das ist bei uns nicht der Fall. Beratungen und Abstimmungen unterliegen dem Beratungsgeheimnis.

Wie verträgt sich solch eine Selbstverwaltung der Justiz mit dem Grundsatz der Volkssouveränität? Woher bezieht der Oberste Rat der Gerichtsbarkeit seine Legitimation?

Alle Mitglieder werden vom Parlament gewählt, dem er alljährlich einen ausführlichen Bericht über die Arbeit und den Zustand der Gerichtsbarkeit vorlegt.

Wie ist er zusammengesetzt?

Er besteht aus dem Präsidenten des Obersten Gerichts (Tribunal Supremo) als Vorsitzendem und aus 20 Mitgliedern, die auf die Dauer von fünf Jahren gewählt werden. Senat und Abgeordnetenhaus wählen jeweils vier Rechtsanwälte oder andere erfahrene Juristen sowie jeweils 6 richterliche Mitglieder, das gibt zusammen 20.

Die zwölf richterlichen Mitglieder bilden also eine absolute Mehrheit?

So ist es. Darin sehen wir aber kein Problem, denn sie sind ja vom Parlament gewählt, und zwar mit einer Mehrheit von mindestens 60 % der Mitglieder jeder Kammer. Dadurch ist die Zusammensetzung so pluralistisch, daß es noch nie zu einer Majorisierung durch einen einheitlichen Stimmblock der richterlichen Mitglieder gekommen ist.

Bei uns gibt es in den einzelnen Bundesländern verschiedenartige Mitwirkungsgremien. Zur Wahl und Legitimation ihrer richterlichen Mitglieder gibt es bei uns zwei Auffassungen: Die eine geht dahin, alle Mitglieder müßten ihre Legitimation aus der Wahl durch das Parlament herleiten; die andere verlangt die Wahl der richterlichen Mitglieder durch die Richterschaft, um dadurch die Auseinandersetzung um Grundsatzfragen und Selbstverwaltung auch in die Justiz hineinzutragen. Das könne zu deren interner Demokratisierung beitragen, während die Wahl durch das Parlament die Nähe zu den politischen Parteien und vielleicht auch die Abhängigkeit von ihnen fördere.

Diese letztere Variante ist die des italienischen Modells, die wir in Spanien zunächst nach der Schaffung des Consejo General ebenfalls hatten. Im Jahre 1985 wurde das Gesetz geändert, seither werden die richterlichen Mitglieder nicht mehr durch die Richterschaft, sondern durch das Parlament gewählt.

Wie gewichtest Du die Vor- und Nachteile beider Varianten ?

Das ist eine politische Willensentscheidung. Bei dem italienischen Modell besteht keine Gewähr dafür, daß die interne Politisierung der Richterschaft auch zu einer entsprechenden Pluralität der von ihr gewählten Mitglieder im Consiglio Superiore della Magistratura führt. Die in Spanien jetzt geltende Regelung hat auch ihren historischen Hintergrund: Im Jahre 1982 haben die Sozialisten die Wahlen gewonnen. In der Justiz gab es traditionell eine konservative Mehrheit, zumal die Ära Franco noch nicht lange zurück lag. Für das Jahr 1985 standen Neuwahlen für die Selbstverwaltung der Justiz bevor. Es war abzusehen, daß die Richterschaft keine pluralistische, sondern eine stramm konservative Vertretung wählen würde. Wenn die neue Parlamentsmehrheit und Regierung etwas für die Erneuerung und Demokratisierung der Justiz tun wollte, dann mußte sie etwas für die Pluralität ihrer Vertretung tun. Das war der entscheidende Grund für die Änderung des Wahlmodus. Gewiß ist das Fehlen von Diskussion und Wahlkampf innerhalb der Justiz auch ein Nachteil. Ich halte ihn aber gegenüber den Vorteilen unseres Modells für hinnehmbar.

Woher nehmen die Abgeordneten ihre richterlichen Kandidaten ?

Die Richtervereinigungen schlagen den Parlamentsfraktionen ihre Kandidaten vor.

Die Mitglieder des italienischen Consiglio Superiore della Magistratura sind während ihres Mandats vom Richteramt freigestellt. Bei uns in Deutschland wird die Tätigkeit in den Mitwirkungsgremien neben der Richtertätigkeit ausgeübt. Wie ist es in Spanien ?

Während der fünf Jahre unseres Mandats sind wir nur im Consejo General tätig. Dessen Plenum tagt an zwei Tagen im Monat, im übrigen arbeiten wir in seinen verschiedenen Kommissionen. Während unserer Amtszeit können wir uns auch nicht um eine Stelle bewerben.

Wie werden die Mitglieder des Consejo Ceneral bezahlt?

Unsere Vergütung wird vom Parlament festgesetzt und entspricht der von Staatssekretären.

Ist Wiederwahl nach Ablauf der Amtszeit möglich ?

Nicht unmittelbar, allenfalls erneute Wahl zum übernächsten Consejo General, also nach einer Unterbrechung von fünf Jahren.

 

 

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