der ideale (Verwaltungs-)Richter

Aus der Sicht des Anwalts: der ideale (Verwaltungs-)Richter

Aus dem Text:

„… Der ideale Verwaltungsrichter sollte aus meiner Sicht noch eine andere Voraussetzung als Teil seiner berufsspezifischen Qualifikation aufweisen: die nötige Staatsferne. Auch insoweit ist es kein Zufall, dass der Bürger nur in Bruchteilen von 10-15% die Prozesse gewinnt, die Verwaltung mit Abstand häufiger. Richter sind zwar keine Beamten, haben jedoch – je älter je mehr – nicht selten eine ausgeprägt staatstragende Gesinnung. Vor allem, wenn „Politik im Spiel“ ist, hat es der Bürger erfahrungsgemäß schwer, Recht zu bekommen. Dabei rede ich nicht dem unpolitischen Richter das Wort, sondern dem unabhängigen, weil seiner politischen Abhängigkeit bewussten Richte...“

 

Auszug aus dem in der in der Deutschen Richterzeitung (Organ des Deutschen Richterbundes ; Carl Heymanns Verlag ) 2001, Seite 79 ff. abgedruckten Aufsatz

Aus der Sicht des Anwalts: der ideale (Verwaltungs-)Richter

Von Rechtsanwalt Dr. Michael Quaas, M.C.L., Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Stuttgart

 

Der Bitte des Hauptgeschäftsführers der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Herrn Anton Braun, ein Statement zu der Sicht eines Rechtsanwalts für ein Idealbild des Richters abzugeben, komme ich gerne nach. Dies gibt mir Gelegenheit, aus meiner eigenen Vergangenheit zu plaudern: Nach der juristischen Ausbildung und einem einjährigen Studienaufenthalt an der University of Chicago, USA, begann ich meine berufliche Laufbahn zunächst als Richter am Verwaltungsgericht Hamburg, bevor ich nach fünfjähriger Dienstzeit in den Anwaltsberuf wechselte. Dieswar eine aus den Erfahrungen in den USA geborene Entscheidung, da mir die dortige Praxis vorbildhaft erschien, dass jeder Jurist mindestens zwei – in der Regel drei – unterschiedliche Karrieren in seinem Leben durchlaufen sollte.

In den USA ist es keine Seltenheit, dass der – wesentlich kürzer, nicht aber minder effektiv – ausgebildete Jurist zunächst eine mehrjährige Laufbahn an der Universität oder in einer Anwaltskanzlei einschlägt, um sich sodann zum Staatsanwalt wählen zu lassen (einem public office) und – als krönender Abschluss – die „life tenureship“ eines Richters an einem einzelstaatlichen oder einem Bundesgericht bekleidet. Ein solcher Laufbahnwechsel tut allen gut…

…Die allgemeinen Anforderungen an den idealen Richter betreffen seine persönliche, seine juristische und seine gerichtsspezifische Eignung:

1. Persönliche Anforderungen

Da das herausragende Merkmal des Richters nach unserer Verfassung (Art. 97 GG) seine Unabhängigkeit darstellt und dies im Kern die Amtsfreiheit jedes Richters zu eigenverantwortlicher Entscheidung im Rahmen von Gesetz und Recht bedingt, ist als persönliche Voraussetzung für den „idealen Richter“ vor allem seine „innere Unabhängigkeit“ sich selbst und anderen gegenüber zu fordern……..Dabei ist Unabhängigkeit kein Zustand, sondern ein dialektischer Prozess: Richterliche Unabhängigkeit wächst in dem Maße, wie sich der Richter seiner Abhängigkeiten bewusst wird. Ein mit innerer Unabhängigkeit ausgestatteter Richter ist diesen äußeren Abhängigkeiten gewachsen und kann mit ihnen umgehen…….Deshalb neide ich dem Richter die private Beschäftigung nicht, zumal auch Anwälte die Freiheit zur Freizeit sehr schätzen. Bei dem Richter kommt hinzu, dass die Hauptaufgabe seiner juristischen Tätigkeit in der Rechtsschöpfung besteht, und dafür braucht man Zeit und Muße…….

2. Juristische und gerichtsspezifische Anforderungen

Selbstverständlich – aber oft nicht verwirklicht – ist eine hohe juristische Qualifikation Merkmal der idealen Richterpersönlichkeit…….. Aus anwaltlicher Sicht ist gerade die juristische Qualifikation des Richters von herausragender Bedeutung, da sich der Anwalt bei seiner Beratung darauf verlassen können muss, dass der Richter ein „richtiges“ Urteil fällt, das nicht erst noch im Instanzenweg korrigiert werden muss.

Neben diesen fachlich-intellektuellen Anforderungen ist eine weitere ganz wesentlich für die ideale Richterpersönlichkeit: die menschliche Kompetenz……..Noch immer ist die Justiz eher eine Buch- denn eine Lebenskunst, und sie nimmt oft nicht die menschlichen Zwänge zur Kenntnis, die Ursache oder zumindest Anlass justizieller Veranstaltungen sind. Hier kann gerade eine menschliche Persönlichkeit im Richter Ausgleich und Abhilfe schaffen – und das nicht erst bei dem Versuch, die Parteien zu einer vergleichsweisen Einigung zu bringen.

Der ideale Verwaltungsrichter sollte aus meiner Sicht noch eine andere Voraussetzung als Teil seiner berufsspezifischen Qualifikation aufweisen: die nötige Staatsferne. Auch insoweit ist es kein Zufall, dass der Bürger nur in Bruchteilen von 10-15% die Prozesse gewinnt, die Verwaltung mit Abstand häufiger. Richter sind zwar keine Beamten, haben jedoch – je älter je mehr – nicht selten eine ausgeprägt staatstragende Gesinnung. Vor allem, wenn „Politik im Spiel“ ist, hat es der Bürger erfahrungsgemäß schwer, Recht zu bekommen. Dabei rede ich nicht dem unpolitischen Richter das Wort, sondern dem unabhängigen, weil seiner politischen Abhängigkeit bewussten Richter………

Eine letzte Bemerkung zum Allgemeinen: Zur idealen Richterpersönlichkeit gehören die Fähigkeit zur Selbstkritik und die Bereitschaft, dazuzulernen………

Eine Kammer oder ein Senat „verkünden“ Recht. Allein dadurch, verstärkt durch die Roben und das sonstige „Theater“ – verbreitet sie Ehrfurcht, die – so Lamprecht – der archaischen Vorstellung verhaftet sei, wonach der Richter ein priesterliches Amt verwalte. In den USA hat man mit solchem Prozedere aufgeräumt, die Urteile werden von Richtern gesprochen und zu Papier gebracht, deren Namen eingangs genannt werden, gefolgt von den Richtern, die ihre abweichende dissenting oder, im Ergebnis, zustimmende (concurring) Meinung (opinion) veröffentlichen. Dementsprechend werden diese Richter – ihre Qualifikation, ihre Auffassungen, ihre Tugenden und Neigungen, in der Öffentlichkeit ausgiebig diskutiert, und es werden Vorhersagen für die Entscheidung künftiger Fälle mit Blick auf die jeweilige Richterpersönlichkeit gewagt. „Evaluations“ sind nicht – wie bei uns – Gegenstand eines Beförderungssystems, sondern Bestandteil juristischer Kontroversen, die schriftsätzlich durch die Parteien und in den Fachzeitschriften ausgetragen werden. Das Benotungssystem unserer Bauart ist dagegen in den USA undenkbar – erst recht, wenn es bis zum 50.Lebensjahr andauert und eine äußere Abhängigkeit des Richters schafft, die nur zu einem Anpassungsdruck und vorauseilendem Gehorsam führen kann. Ein Richter, der sich in der Frage öffentlichen Auftretens und bei der Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben dem Ministerium verpflichtet fühlt, wird dem Verfassungsgebot des Art. 97 GG ebenso wenig gerecht wie derjenige, der die Urteile für die nächste Instanz schreibt……..

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