Dienstaufsicht über Richter

ad absurdum

Stellen Sie sich vor :

Schalke 04 soll gegen Bayer 04 Leverkusen spielen. Die Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH ist eine Tochtergesellschaft der Bayer AG. Am Tag vor dem Bundesligaspiel wird bekannt:

Der vorgesehene Schiedsrichter steht auf der Gehaltsliste der Bayer AG.

Würden die Anhänger von Schalke 04, würden überhaupt lebenserfahrene Fußballfans noch auf eine zureichende schiedsrichterliche Unabhängigkeit vertrauen, wenn sie darüber aufgeklärt wären, dass der Schiedsrichter gerade Karriere bei der Bayer AG macht?

Stellen Sie sich vor :

Ein Bürger klagt vor dem Verwaltungsgericht gegen den Freistaat Bayern. Gegenstand der Klage ist die Anfechtung eines Verwaltungsakts aus dem Geschäftsbereich des Wirtschaftsministers. Ein Tag vor der mündlichen Verhandlung wird ihm bewusst:

Zum einen:

Der Wirtschaftsminister, der den angefochtenen Verwaltungsakt politisch zu verantworten hat, sitzt mit dem Innenminister nicht nur als Regierungsmitglied, sondern auch als Parteifreund in einem Boot. Der Erfolg ihrer Regierung und ihrer Partei ist ihr politisches und persönliches Interesse und wird in gemeinsamer Arbeit erstrebt.

Zum anderen:

Der Innenminister sucht die Verwaltungsrichter aus den Reihen seiner Beamten aus und er hat über sie die Beförderungshoheit. Er ist der Dienstvorgesetzte des Präsidenten des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes. Von diesem führt eine Dienstaufsichtskette bis hinunter zu den Richtern des Verwaltungsgerichts, die über die Klage des Bürgers zu entscheiden haben. Zur Dienstaufsicht gehört auch die Beurteilung der Verwaltungsrichter in Dienstzeugnissen. Die Kriterien, nach denen beurteilt wird, legt die politische Instanz – der Innenminister – fest. Der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes und die Präsidenten der Verwaltungsgerichte sind an die ministerielle Festlegung gebunden. Die Dienstzeugnisse entscheiden maßgeblich darüber, ob ein Richter Karriere macht oder nicht. Die Verwaltungsrichter können für Ihr Verhalten und Tun mit Beförderung belohnt werden. Man kann ihnen auch die Belohnung versagen.

Würde der Kläger vor dem Verwaltungsgericht, würden überhaupt lebenserfahrene Bürger noch auf eine zureichende richterliche Unabhängigkeit vertrauen, wenn sie darüber aufgeklärt wären, dass ihre Richter in einer solchen persönlichen Abhängigkeit von dem obersten Organ der gegnerischen Prozesspartei (der Staatsregierung) leben und arbeiten?

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Anmerkung:
Im Jahre 1941 wurde die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit einer Regierungsaufsicht unterstellt (Führer-Erlaß vom 3. 4. 1941 = Reichsgesetzblatt I S. 201: Erste Durchführungsverordnung = Reichsgesetzblatt I S. 224). Bis dahin waren die Verwaltungsrichter (vergleichbar den Rechnungsprüfern) von ministerieller Aufsicht frei. Im Führerstaat übernahm der Kontrollierte (die Exekutive) die Kontrolle über seine Kontrolleure (die Verwaltungsrichter). Die Rechtsetzung des nationalsozialistischen Staates wurde nach Kriegsende übernommen und gilt im Bund und in den Gesetzen aller Bundesländer bis heute fort.

Hierzu und zu weiteren fortgeltenden justizpolitischen Rechtssetzungen der Jahre 1933 bis 1945 im Detail.

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