Eine Präsentation der Ansicht des CCJE über die Grundsätze und Regeln,die das berufliche Verhalten der Richter lenken, insbesondere Ethik, inkompatible Verhaltensweisen und Unparteilichkeit
Europarat
Erevan (Armenien) 3. Dezember 2002
von
Harold Epineuse,
harold.epineuse@ihej.org
INSTITUTE FOR AVDANCED JUDICIAL STUDIES (Paris, France)
www.ihej.org
Heutzutage legen europäische Demokratiestandards mehr und mehr Gewicht auf die Judikative, um eine unabhängige und starke richterliche Gewalt aufzubauen. Ich wurde gebeten, über die Arbeit des europäischen Richterrates (Consultative Council of European Judges, CCJE) zu referieren und die Frage nach der Verbesserung des armenischen Rechts, aber ebenso vieler europäischer Rechtssysteme einschließlich des französischen mithilfe europäischer Standards zu beantworten.
In diesem Jahr, 2002, hat der CCJE sich in verschiedenen Bereichen mit straf-, zivil- und disziplinarrechtlicher Haftung der Richter, richterlicher Ethik, inkompatiblen Verhaltensweisen und Unparteilichkeit beschäftigt. Ich habe mit viel Interesse vernommen, wie die Situation in Armenien war, und ich möchte ihnen die jüngsten Standards in diesen Angelegenheiten darlegen. Nach zwei Treffen und einer Plenarsitzung hat der CCJE eine schriftliche Stellungnahme für den Ministerrat des Europarats ausgearbeitet. Nahezu alle Mitgliedsländer des Europarats waren dabei durch einen nationalen Richter vertreten, so dass wir dieses Dokument als die Ansicht der europäischen Richter ansehen können, was Hafttbarkeit und Ethik betrifft. Lassen sie mich ihnen dieses Dokument und seine Ergebnisse bezüglich disziplinarrechtlicher Verantwortlichkeit und richterlicher Ethik präsentieren
Der CCJE fertigte diese Stellungnahme an auf der Grundlage eines von den Mitgliedsstaaten ausgefüllten Fragebogens und Beiträgen, die von der CCJE Working Party, dem Spezialisten des CCJE auf diesem Gebiet, Mr. Denis SALAS, und mir, erstellt wurden. Natürlich bezieht sich die vorliegende Stellungnahme auch auf die Erklärung Nr. 1 (2001) des CCJE über die Unabhängigkeitsstandards der Richterschaft und die Unversetzbarkeit und Unabsetzbarkeit der Richter. Auch andere Dokumente wurden mitberücksichtigt:
„Basic principles on the independence of the judiciary“ (Grundsätze der Unabhängigkeit der Richterschaft) der Vereinten Nationen (1985);
Empfehlung Nr. R (94) 12 des Ministerrates des Europarats über die Unabhängigkeit, Wirksamkeit und Rolle der Richter;
die Europäische Charta über das Richterstatut (1998);
Die vorliegende Stellungnahme umfasst zwei Hauptgebiete, auf denen der CCJE einige Vorschläge macht. Erstens: die Grundsätze und Regeln, die das berufliche Verhalten der Richter lenken, ethischen Grundsätzen unterliegen, sehr hohen Anforderungen genügen müssen und in eine Erklärung über berufliche Verhaltensstandards, erstellt von den Richtern selbst, aufgenommen werden können (A). Zweitens: die Grundsätze und Verfahren, welche die straf-, zivil- und disziplinarrechtliche Haftung der Richter regeln (B).
Die vorliegende Stellungnahme gibt daher Antwort auf folgende Fragen:
Welche Verhaltensstandards sollten für Richter gelten?
Wie sollten Verhaltensstandards formuliert werden?
Welche Art disziplinarrechtlicher Haftung sollte, wenn überhaupt, für Richter gelten?
A. RICHTERLICHE VERHALTENSSTANDARDS
Die Unterstützung richterlicher Verhaltensstandards wird von der Idee getragen, dass ethische Aspekte des richterlichen Verhaltens aus verschiedenen Gründen diskutiert werden müssen. Die Methoden, die bei der Konfliktbeilegung angewandt werden, sollten immer Vertrauen erregen. Die den Richtern anvertraute Gewalt ist eng mit Werten wie Gerechtigkeit, Wahrheit und Freiheit verbunden. Die Verhaltensstandards, die für Richter gelten, sind die logische Konsequenz dieser Werte und eine Vorbedingung des Vertrauens in die Rechtsprechung.
1. Welche Verhaltensstandards sollten für Richter gelten?
Ich möchte einleitend bemerken, dass, mithilfe welcher Methoden auch immer Richter ausgewählt und ausgebildet werden, letzteren Gewalten anvertraut werden und sie in Bereichen arbeiten, welche den Kern des menschlichen Lebens betreffen. Neue Untersuchungen zeigen, dass von allen Behörden wahrscheinlich die Richterschaft diejenige ist, die in den europäischen Ländern die meisten Veränderungen bewirkt hat. In den letzten Jahren haben demokratische Gesellschaften erhöhtere Anforderungen an ihre Rechtssysteme gestellt. Es ist eine Binsenwahrheit, dass die Bevölkerung autoritärer Regimes der osteuropäischen Länder das Recht und die Ordnung als die Gesetzmäßigkeiten ansehen, die für den Wiederaufbau der Demokratie wesentlich sind.
12. Die den Richtern anvertraute Gewalt muss nicht nur dem nationalen Recht unterliegen, als Ausdruck des Willens der Bevölkerung, sondern auch den Grundsätzen des internationalen Rechtes und der Gerechtigkeit, wie in modernen demokratischen Gesellschaften anerkannt.
13. Diese Gewalt ist den Richtern zu dem Zweck anvertraut, ihnen die Rechtsprechung zu ermöglichen, indem sie das Gesetz anwenden, und um die Rechte und/oder Besitztümer jeder Person zu sichern, die diesen rechtlich garantiert sind und derer sie ungerechtfertigterweise beraubt werden können.
14. Dieses Ziel findet sich in Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der, rein vom Standpunkt eines Rechtssuchenden ausgehend, besagt: „Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten […] von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird“. Ohne zu behaupten, dass Richter alle mächtig seien, betont die Konvention den notwendigen Schutz von Personen im Prozess und legt die Grundsätze fest, auf die sich die Pflichten des Richters gründen: Unabhängigkeit und Unparteilichkeit.
15. In den letzten Jahren ist erkannt worden, dass richterliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit stärker abgesichert werden müssen; unabhängige Organe sind geschaffen worden, um die Richterschaft vor parteipolitischen Einflüssen zu schützen; die Tragweite der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde ausgestaltet und verdeutlicht durch das Präzedenzrecht des Europäischen Gerichtshofs in Strassburg und durch die nationalen Gerichte.
16. Die Unabhängigkeit des Richters ist ein wesentlicher Grundsatz, und sie ist das Recht eines jeden Staatsbürgers, die Richter eingeschlossen. Sie hat einen institutionellen und einen individuellen Aspekt. Der moderne demokratische Staat sollte auf dem Gewaltenteilungsprinzip gegründet sein. Jeder einzelne Richter sollte alles tun, um richterliche Unabhängigkeit auf dem institutionellen und dem individuellen Level aufrecht zu erhalten. Die Begründung dieser Unabhängigkeit ist in dem Statement Nr. 1 (2001) des CCJE, Paragraphen 1013, detailliert diskutiert worden. Dort wird konstatiert, dass sie mit der Unparteilichkeit des Richters untrennbar verbunden und eine Vorbedingung für diese ist das ist unentbehrlich für die Glaubwürdigkeit des Rechtssystems und das Vertrauen, das es in einer demokratischen Gesellschaft wecken sollte.
17. Artikel 2 der „Basic principles on the independence of the judiciary“ („Grundsätze über die Unabhängigkeit der Richterschaft“), entworfen 1985 von den Vereinten Nationen, legt fest: „die Richterschaft soll vorgebrachte Streitigkeiten unparteiisch,auf der Grundlage der Tatsachen und in Einklang mit dem Gesetz entscheiden, ohne Einschränkungen, unsachgemäße Einflüsse, außerberufliche Anreize, Druck, Drohungen oder Beeinträchtigungen, ob direkt oder indirekt, aus keiner Richtung und aus keinem Grund.“ Gemäß Artikel 8 sollen Richter „sich immer so verhalten, dass sie die Würde ihres Amtes und die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richterschaft bewahren“.
18. In seiner Empfehlung Nr. R (94) 12 über die Unabhängigkeit, Wirksamkeit und die Rolle der Richter (Grundsatz I.2.d.) konstatiert das Ministerkomitee des Europarates: „Richter sollten ungehemmte Freiheit genießen, Fälle unparteiisch zu entscheiden, im Einklang mit ihrem Gewissen und mit ihrem Verständnis der Tatsachen, und unter Befolgung der vorherrschenden Rechtsvorschriften.“
19. Die Europäische Charta über das Richterstatut besagt, dass das Statut die Unparteilichkeit gewährleisten soll, die jedermann legitimerweise von den Gerichten erwartet (Paragraph 1.1). Der CCJE pflichtet dieser Vorschrift der Charta uneingeschränkt bei.
20. Unparteilichkeit wird von dem Europäischen Gerichtshof einerseits mithilfe eines subjektiven Ansatzes ermittelt, der die persönliche Überzeugung oder das Interesse eines bestimmten Richters in einem bestimmten Fall berücksichtigt, andererseits durch einen objektiven Test, der sicherstellt, dass der Richter Garantien eingeräumt hat, die jeden berechtigten Zweifel in dieser Hinsicht ausschließen können (1).
21. Richter sollten unter allen Umständen unparteiisch handeln, um sicherzustellen, dass kein berechtigter Verdacht der Parteilichkeit beim Bürger entsteht. In dieser Hinsicht sollte die Unparteilichkeit sowohl bei der Ausübung der richterlichen Funktionen, als auch bei den übrigen Aktivitäten des Richters ersichtlich sein.
a. Unparteilichkeit und Verhalten der Richter bei der Ausübung ihrer richterlichen Aufgaben
22. Öffentliches Vertrauen in und Respekt für die Richterschaft sind die Garantien für die Effektivität des Rechtssystems: Das Verhalten der Richter bei ihrer beruflichen Tätigkeit wird von Mitgliedern der Öffentlichkeit verständlicherweise als wesentlich für die Glaubwürdigkeit der Gerichte angesehen.
23. Richter sollten daher ihre Pflichten ohne jede Art von Begünstigung, Offenbarung von Vorurteilen oder Voreingenommenheit erfüllen. Sie sollten bei ihren Entscheidungen nichts berücksichtigen, was außerhalb der Anwendung der geltenden Rechtsvorschriften liegt. Solange sie mit einem bestimmten Fall beschäftigt sind oder sein könnten, sollten sie nicht bewusst Bemerkungen von sich geben, die einen gewissen Grad an Vorentscheidung des Streites suggerieren oder die Fairness des Prozesses beeinflussen könnten. Sie sollten auf alle Personen (zum Beispiel Parteien, Zeugen, Anwälte) Rücksicht nehmen, ohne Unterscheidungen, die auf ungesetzlichen Gründen basieren oder unvereinbar mit der angemessenen Ausübung ihrer Pflichten sind. Sie sollten außerdem sicherstellen, dass ihre berufliche Kompetenz in der Ausübung ihrer Pflichten zum Ausdruck kommt.
24. Richter sollten darüber hinaus ihre Pflichten mit der gebührenden Rücksicht auf den Grundsatz der Gleichbehandlung der Parteien ausüben und dabei jegliche Art von Voreingenommenheit und Diskriminierung vermeiden, indem sie ein Gleichgewicht zwischen den Parteien halten und sicherstellen, dass jede rechtliches Gehör findet.
25. Die Leistungsfähigkeit des Rechtssystems verlangt von den Richtern auch einen hohen Grad an beruflichem Bewusstsein. Sie sollten sicherstellen, dass sie durch Aus- und Fortbildung die nötige Qualifikation und einen hohen Grad an beruflicher Kompetenz wahren.
26. Richter müssen ihre Aufgaben auch mit Sorgfalt und innerhalb einer angemessenen Zeit erfüllen. Dafür ist selbstverständlich notwendig, dass sie mit den nötigen Einrichtungen, Ausrüstung und Hilfe ausgestattet werden. Damit versehen, sollten die Richter darauf achten und auch dazu in der Lage sein, ihren Verpflichtungen gemäß Artikel 6.1 der Europäischen Menschenrechtskonvention nachzukommen, das Urteil innerhalb einer angemessenen Frist zu fällen.
b. Unparteilichkeit und außergerichtliches Verhalten der Richter
27. Richter sollten nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, in der sie leben, denn das Rechtssystem kann nur dann vernünftig funktionieren, wenn die Richter mit der Wirklichkeit in Berührung sind. Außerdem genießen Richter als Staatsbürger die grundlegenden Rechte und Freiheiten, die vor allem von der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt werden (Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit etc.). Es sollte ihnen daher generell frei stehen, sich an den außerberuflichen Tätigkeiten ihrer Wahl zu beteiligen.
28. Dennoch könnten solche Aktivitäten ihre Unparteilichkeit und manchmal sogar ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen. Deshalb muss ein vernünftiges Gleichgewicht gefunden werden zwischen dem Grad einerseits, zu dem Richter in die Gesellschaft eingebunden sein können, und der Notwendigkeit andererseits, in der Erfüllung ihrer Pflichten unabhängig und unparteilich zu sein und auch als solches angesehen zu werden. In der letzten Analyse muss sich immer die Frage stellen, ob sich der Richter in diesem besonderen gesellschaftlichen Zusammenhang und in den Augen eines vernünftigen, informierten Betrachters an Aktivitäten beteiligt hat, die seine/ihre Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit objektiv beeinträchtigen könnten.
29. Richter sollten sich in ihrem Privatleben korrekt verhalten. Eingedenk der kulturellen Vielfalt der Mitgliedsstaaten des Europarates und der ständigen Weiterentwicklung moralischer Werte können die Verhaltensstandards für Richter in ihrem Privatleben nicht allzu genau niedergelegt werden. Der CCJE unterstützt die Einrichtung eines oder mehrerer Organe oder Personen innerhalb der Richterschaft mit konsultativer und beratender Funktion, die den Richtern zur Verfügung stehen, wenn diese sich unsicher sind, ob eine bestimmte Aktivität in ihrer Privatsphäre mit ihrem Richterstatus vereinbar ist. Die Präsenz solcher Organe oder Personen könnte Diskussionen innerhalb der Richterschaft über den Inhalt und die Bedeutung ethischer Regeln anregen. Um nur zwei Möglichkeiten zu nennen: Solche Organe oder Personen könnten unter der Schirmherrschaft des Obersten Gerichtshofes oder der Richtervereinigungen etabliert werden. Sie sollten in jedem Fall mit einer anderen Zielsetzung und getrennt von bereits existierenden, für disziplinarrechtliche Sanktionen zuständigen Organen operieren.
30. Die Beteiligung des Richters an politischen Aktivitäten bringt erhebliche Probleme mit sich. Natürlich bleiben Richter auch Bürger, und die Ausübung der politischen Rechte aller Bürger sollte ihnen gestattet sein. Mit Rücksicht auf das Grund recht auf ein faires Verfahren und der berechtigten öffentlichen Erwartung sollten Richter dennoch Zurückhaltung in der Ausübung öffentlicher politischer Aktivitäten demonstrieren. Einige Staaten haben diesen Grundsatz in ihr Disziplinarrecht aufge nommen und sanktionieren jedes Verhalten, dass mit der Zurückhaltungspflicht der Richter in Konflikt steht. Sie haben außerdem ausdrücklich konstatiert, dass die richterlichen Pflichten mit gewissen politischen Mandaten (im nationalen Parlament, Europauml;ischen Parlament oder regionalen Gremien) unvereinbar sind; dabei wird manchmal sogar den Ehegatten der Richter das Ausüben solcher Ämter verboten.
31. Generell muss notwendigerweise die Beteiligung von Richtern in öffentlichen Debatten politischer Natur in Betracht gezogen werden. Um das öffentliche Vertrauen in das Rechtssystem zu erhalten, sollten Richter sich nicht politischen Angriffen aussetzen, die mit der von der Richterschaft geforderten Neutralität unvereinbar sind.
32. Aus den Antworten zum Fragebogen wird ersichtlich, dass in einigen Staaten scheinbar ein restriktiver Standpunkt zur richterlichen Beteiligung in der Politik eingenommen wird.
33. Diskussionen innerhalb des CCJE haben gezeigt, dass zwischen der Meinungs- und Handlungsfreiheit des Richters und dem Bedürfnis nach Neutralität eine Balance gefunden werden muss. Auch wenn die Mitgliedschaft in einer politischen Partei oder die Teilnahme an öffentlichen Diskussionen über die Hauptprobleme der Gesellschaft nicht verboten werden können, müssen Richter deshalb notwendigerweise wenigstens von solchen politischen Aktivitäten Abstand nehmen, die leicht ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen oder den Anschein der Unparteilichkeit gefährden könnten.
34. Es sollte Richtern dennoch gestattet sein, an gewissen Debatten bezüglich der nationalen Rechtspolitik teilzunehmen. Sie sollten konsultiert werden und einen aktiven Part in der Vorbereitung derjenigen Gesetze übernehmen können, die ihren Status und genereller das Funktionieren des Rechtssystems betreffen. Bei dieser Gelegenheit entsteht auch die Frage, ob es Richtern erlaubt sein sollte, Berufsorganisationen beizutreten. Im Lichte der Handlungs und Meinungsfreiheit dürfen Richter ihr Recht ausüben, Berufsorganisationen beizutreten (Vereinigungsfreiheit), obwohl dem Streikrecht Grenzen gesetzt werden können.
35. Das Engagement in einem anderen Bereich bietet dem Richter die Möglichkeit, seinen Horizont zu erweitern, und vermittelt ihm das Bewusstsein für gesellschaftliche Probleme, welches das bei Ausübung seines Berufes erworbene Wissen vervollständigt. In Kontrast dazu beinhaltet es einige nicht unbedenkliche Risiken: es könnte als der Gewaltenteilung abträglich angesehen werden, und es könnte das öffentliche Ansehen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter schwächen.
36. Die Frage nach der Beteiligung des Richters in bestimmten Regierungstätigkeiten, wie etwa der Dienst im Privatbüro eines Ministers (cabinet ministériel), wirft besondere Probleme auf. Nichts kann einen Richter davon abhalten, Funktionen in einer Verwaltungsabteilung eines Ministeriums auszuüben (zum Beispiel in einer zivil- oder strafrechtlichen gesetzgebenden Abteilung des Justizministeriums); die Sache wird jedoch schwieriger im Hinblick auf einen Richter, der zum Personal des Privatbüros eines Ministers gehört. Minister können problemlos jeder beliebigen Person Arbeit in ihrem Privatbüro geben, aber als enge Mitarbeiter des Ministers nehmen diese bis zu einem gewissen Grade an dessen politischer Aktivität teil. Unter diesen Umständen sollte im Idealfall die Meinung des unabhängigen Organs, das für die Ernennung der Richter verantwortlich ist, eingeholt werden, bevor der Richter den Dienst im Privatbüro eines Ministers beginnt, damit dieses Organ die Verhaltensregeln in jedem individuellen Fall festlegen kann.
c. Unparteilichkeit und außerdienstliche Tätigkeiten der Richter (2)
37. Die besondere Natur der richterlichen Funktion sowie das Bedürfnis, die Würde des Amtes zu wahren und den Richter vor jeglichem Druck zu schützen, legen nahe, dass Richter durch ihr Verhalten Interessenkonflikte oder Machtmissbrauch vermeiden sollen. Dies verlangt von den Richtern, dass sie von solcher beruflicher Tätigkeit Abstand nehmen, die sie von ihrer richterlichen Verantwortung ablenken oder bewirken könnte, dass sie diese Verantwortlichkeiten parteiisch ausüben. In einigen Staaten zeigt das Richterstatut eindeutig die Unvereinbarkeiten mit der Funktion des Richters auf, und Mitgliedern der Richterschaft ist es untersagt, berufliche oder bezahlte andere Tätigkeiten zu verrichten. Ausnahmen gelten für erzieherische, wissenschaftliche, literarische, künstlerische oder Forschungsarbeit.
38. Verschiedene Länder sind mit unterschiedlichem Erfolg und auf unterschiedliche Art und Weise mit inkompatiblen Verhaltensweisen umgegangen (eine kurze Zusammenfassung ist angeführt), jedesmal jedoch mit dem generellen Ziel, die Errichtung einer unüberwindlichen Barriere zwischen den Richtern und der Gesellschaft zu vermeiden.
39. Der CCJE berücksichtigt, dass berufliche Verhaltensregeln von den Richtern verlangen sollten, Tätigkeiten, welche die Würde ihres Amtes beeinträchtigen, zu meiden, und das öffentliche Vertrauen in das Rechtssystem zu erhalten, indem das Risiko für Interessenkonflikte minimiert wird. In dieser Hinsicht sollten sie von jeglicher zusätzlicher Aktivität Abstand nehmen, die ihre Unabhängigkeit beeintrauml;chtigen und ihre Unparteilichkeit gefährden würde. In diesem Zusammenhang pflichtet der CCJE der Europäischen Charta über das Richterstatut bei, gemäss der die Freiheit des Richters, sich außerdienstlich zu betätigen, „nur eingeschränkt werden darf, soweit die außerdienstlichen Aktivitäten mit dem Vertrauen in die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit oder der für eine gewissenhafte und zügige Erledigung der Aufgaben erforderlichen Verfügbarkeit unvereinbar sind“ (Paragraph 4.2). Die Europäische Charta erkennt auch das Recht der Richter an, Berufsorganisationen zu gründen und sich ihnen anzuschließen, ebenso wie die Meinungsfreiheit (Paragraph 1.7), um „übermäßige Starrheit“ zu vermeiden, die eine Barriere zwischen der Gesellschaft und den Richtern selbst errichten könnte (Paragraph 4.3). Dennoch ist es unbedingt notwendig, dass Richter weiterhin den Grossteil ihrer Arbeitszeit ihrer Rolle als Richter widmen, zusätzliche Tätigkeiten eingeschlossen, und dass sie nicht versucht sind, außerdienstlichen Aktivitäten übertriebene Aufmerksamkeit zu schenken. Offensichtlich entsteht ein größeres Risiko, solchen Aktivitäten übermäßige Aufmerksamkeit zu schenken, wenn sie erlaubt sind und belohnt werden. Die genaue Linie zwischen dem, was erlaubt ist, und dem, was nicht erlaubt ist, muss dennoch unter den Voraussetzungen eines jeden Landes gezogen werden, und auch hier spielt das oben unter Paragraph 29 empfohlene Organ oder die Person eine Rolle.
d. Unparteilichkeit und Beziehung des Richters zu den Medien
40. Der Trend geht zu größerer Medienaufmerksamkeit für richterliche Angelegenheiten, besonders im Bereich des Strafrechts, und vor allem in bestimmten westeuropäischen Ländern. Eingedenk der Verbindungen, die zwischen Richtern und Medien geknüpft werden können, besteht die Gefahr, dass das Verhalten der Richter von den Journalisten beeinflusst werden könnte. Der CCJE weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Statement Nr. 1 (2001) steht, dass die juristischen Abläufe von unsachgemäßem äußeren Einfluss geschützt werden müssen, auch wenn die Pressefreiheit ein herausragendes Grundprinzip ist. Demgemäss müssen die Richter Umsicht in ihren Verbindungen mit der Presse walten lassen und ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit bewahren, indem sie von jeglicher persönlicher Ausnutzung der Verbindungen mit Journalisten und jeglicher Art von ungerechtfertigten Bemerkungen über die Fälle, an denen sie arbeiten, Abstand nehmen. Das Recht der Öffentlichkeit auf Information ist dennoch ein Grundprinzip, das sich aus Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt. Es impliziert, dass der Richter durch eindeutig motivierte Entscheidungen den Erwartungen der Bürger nachkommt. Richter sollten auch die Freiheit haben, eine Zusammenfassung oder ein Kommunique vorzubereiten, dass den Urteilstenor festlegt oder die Bedeutung ihres Urteils für die Öffentlichkeit erörtert. Daneben ist ihnen in den Ländern, in denen Richter an den strafrechtlichen Ermittlungen beteiligt sind, zu empfehlen, die für den gerade aktuellen Fall nötige Zurückhaltung mit dem Recht auf Information in Einklang zu bringen. Nur unter diesen Bedingungen können Richter ihre Aufgaben frei und ohne Angst vor Mediendruck erfüllen. Der CCJE hat mit Interesse die aktuelle Praxis in bestimmten Ländern bemerkt, einen Richter mit der Verantwortung für Kommunikationsarbeit oder einen Sprecher zu ernennen, der sich im Falle des öffentlichen Interesses mit der Presse beschäftigt.
2. Wie sollten Verhaltensstandards formuliert werden?
41. In der kontinentaleuropäischen Rechtstradition wird das Kodifikationsprinzip stark befürwortet. Mehrere Länder haben bereits einen Verhaltenskodex im öffentlichen Sektor (Polizei), in gesetzesregulierten Berufen (Rechtsanwälte, Doktoren) und im privaten Bereich (Presse) eingeführt. Vor kurzem ist auch, dem amerikanischen Beispiel folgend, vor allem in osteuropäischen Ländern der ethische Kodex für Richter eingeführt worden.
42. Der Älteste ist der italienische „Ethikkodex“, verabschiedet am 7. Mai 1994 von der italienischen Richtervereinigung, einer beruflichen Organisation der Richterschaft. Die Beschreibung „Kodex“ trifft nicht zu, denn er besteht aus 14 Artikeln, die das Verhalten der Richter (einschließlich der Gerichtspräsidenten) in seiner Gesamheit und zusätzlich das der Staatsanwälte beinhalten (3). Natürlich besteht der Kodex nicht aus disziplinar oder strafrechtlichen Regeln, aber er ist ein von der Judikative selbst entworfenes, selbstregulierendes Instrument. Artikel 1 legt das Grundprinzip fest: „Im gesellschaftlichen Leben muss der Richter sich würdevoll und anständig verhalten und sein Augenmerk auf das öffentliche Interesse richten. Im Rahmen seiner Funktion und bei jeder beruflichen Handlung muss er sich von den Werten der persönlichen Unvoreingenommenheit, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit leiten lassen.“
43. Andere Länder wie Estland, Litauen, die Ukraine, Moldawien, Slowenien, die Tschechei und die Slowakei haben einen „Richterlichen Ethikkodex“ oder „Verhaltensgrundsätze“, die von den repräsentativen Richterversammlungen verabschiedet wurden und sich von disziplinarrechtlichen Regeln unterscheiden.
44. Kodifizierte Verhaltensregeln haben einige wichtige Vorzüge: erstens helfen sie Richtern, Fragen im Bereich der beruflichen Ethik zu beantworten, indem sie ihnen Autonomie im Entscheidungsprozess und die Unabhängigkeit von anderen Behörden garantieren. Zweitens informieren sie die Öffentlichkeit über diejenigen Verhaltensstandards, die sie von den Richtern berechtigterweise verlangen kann. Drittens helfen sie dabei, der Öffentlichkeit zu versichern, dass die Justiz unabhängig und und parteiisch verwaltet wird.
45. Dennoch hebt der CCJE hervor, dass Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht allein durch Verhaltensprinzipien geschützt werden können, und dass zahlreiche materiell und prozessrechtliche Regelungen auch eine Rolle spielen sollten. Berufliche Verhaltensstandards unterscheiden sich von Gesetzes- und disziplinarrechtlichen Vorschriften. In ihnen drückt sich die Fähigkeit des Berufszweiges aus, seine Tätigkeiten in Werten wiederzuspiegeln, die als Gegenstücke zu der ihm übertragenen Gewalt der öffentlichen Erwartung entsprechen. Es sind selbstregulierende Standards, welche die Erkenntnis beinhalten, dass die Rechtsanwendung keine mechanische Routine ist, dass sie echte Ermessensgewalt verleiht, und dass sie die Richter in ein System von Verantwortung vor ihnen selbst und vor den Bürgern einbindet.
46. Der berufliche Verhaltenskodex schafft auch eine Vielzahl von Problemen. Zum Beispiel kann er den Eindruck erwecken, dass er alle Regeln enthält, und dass alles erlaubt sein muss, was nicht verboten ist. Er neigt dazu, Situationen übermäßig zu vereinfachen, und zu guter letzt weckt er den Eindruck, dass Verhaltensstandards für einen bestimmten Zeitabschnitt festgelegt sind, wobei diese sich tatsächlich ständig fortentwickeln. Der CCJE suggeriert, dass, anstatt eines Kodexes, besser ein „Statement der beruflichen Verhaltensstandards“ entworfen und von diesem gesprochenwerden soll.
47. Der CCJE erwähnt, dass der Entwurf solcher Statements in jedem Land unter stützt werden soll, auch wenn diese nicht die einzige Möglichkeit sind, berufliche Verhaltensregeln zu verbreiten, denn:
angemessene Aus und Weiterbildung sollten eine Rolle bei der Vorbereitung und Verbreitung beruflicher Verhaltensstandards spielen (4).
In den Staaten, in denen sie existieren, könnten richterliche Kontrollgremien auf der Basis ihrer Beobachtungen des richterlichen Verhaltens zur Entwicklung ethischen Denkens beitragen; ihre Ansichten könnten in ihren Jahresberichten zum Ausdruck kommen;
Die unabhängige Behörde, die in der Europäischen Charta über das Richterstatut beschrieben wird, skizziert durch ihre Entscheidungen, soweit sie sich mit disziplinarrechtlichen Prozessen beschäftigt, die Pflichten und Verpflichtungen der Richter. Wenn diese Entscheidungen in angemessener Form veröffentlicht würden, könnte man das Bewusstsein fir die ihnen zugrundeliegenden Werte effektiver stärken.
Gruppen auf höheren Ebenen, zusammengesetzt aus Vertretern verschiedener Interessen aus der Justizverwaltung, könnten eingerichtet werden um ethische Fragen zu diskutieren, und ihre Ergebnisse könnten verbreitet werden.
Berufliche Vereinigungen sollten Foren für die Debatte der richterlichen Verantwortlichkeiten und Deontologie (Pflichtethik) sein. Sie sollten für eine weite Verbreitung der Verhaltensregeln innerhalb der Richterkreise sorgen.
Der CCJE möchte betonen, dass, um die richterliche Unabhängigkeit mit dem nötigen Schutz zu versehen, sich jede Stellungnahme über berufliche Verhaltensstandards auf zwei grundlegende Prinzipien gründen sollte:
i) Erstens sollte sie die Grundprinzipien des beruflichen Verhaltens angeben. Sie sollte die generelle Unmöglichkeit anerkennen, vollständige Aufstellungen vorbestimmter Tätigkeiten anzufertigen, welche die Richter nicht ausführen dürfen; die dargelegten Prinzipien sollten den Richtern als selbstregulierende Instrumente dienen, d.h. als generelle Regeln, die ihr Verhalten leiten. Obwohl außerdem sowohl eine Überschneidung als auch eine Wechselwirkung besteht, sollten Verhaltensprinzipien von den disziplinarrechtlichen Vorschriften für Richter in dem Sinnen unabhängig bleiben, dass die Nichtbeachtung eines dieser Prinzipien nicht von selbst einen disziplinar, zivil oder strafrechtlichen Verstoß bedeutet;
ii) Zweitens sollten berufliche Verhaltensregeln von den Richtern selbst entworfen werden. Sie sollten von der Richterschaft selbst verfasste, selbstregulierende Instrumente sein, die den juristischen Behörden zu einer Legitimitätsgrundlage verhelfen, indem sie innerhalb generell anerkannter ethischer Standards operieren. Weitgehende Beratung sollte organisiert werden, was unter der Schirmherrschaft einer in Paragraph 29 erwähnten Person oder eines Organs möglich wäre, welches auch für die Erklärung und Auslegung des Statements für berufliche Verhaltensstandards verantwortlich sein könnte.
3. Schlussfolgerungen zu den Verhaltensstandards
49. Der CCJE ist der Meinung, dass:
i) Richter sich bei ihrer Tätigkeit von beruflichen Verhaltensprinzipien leiten lassen sollten,
ii) solche Prinzipien als Richtlinien für das Vorgehen der Richter fungieren sollten, um ihnen dadurch zu ermöglichen, die Schwierigkeiten zu überwinden, vor die sie im Umgang mit Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gestellt sind,
iii) die erwähnten Prinzipien von den Richtern selbst entworfen werden und völlig unabhängig von deren Disziplinarsystem sein sollten,
iv) es erstrebenswert ist, in jedem Land eines oder mehrere Organe oder Personen innerhalb der Richterschaft zur Beratung von Richtern einzurichten, die sich mit Problemen der beruflichen Ethik oder Vereinbarkeit nichtrichterlicher Tätigkeiten mit ihrem Status konfrontiert sehen.
50. Was die Verhaltensregeln eines jeden Richters betrifft, ist der CCJE der Meinung, dass:
i) jeder einzelne Richter alles tun sollte, um die richterliche Unabhängigkeit sowohl auf der institutionellen als auch auf der individuellen Ebene zu erhalten,
ii) Richter sich bei der Arbeit und in ihrem Privatleben korrekt verhalten sollten,
iii) sie zu jeder Zeit einen Ansatz finden sollten, der unparteiisch ist und erscheint,
iv) sie ihre Pflichten ohne Bevorzugung und tatsächliche oder scheinbare Vorurteile oder Voreingenommenheit erfüllen sollten,
v) sie bei ihren Entscheidungen alle Überlegungen berücksichtigen sollten, die für die Anwendung des geltenden Rechts wesentlich sind, und alle unwesentlichen unberücksichtigt lassen sollten,
vi) sie Umsicht gegenüber allen Personen üben sollten, die am Prozess beteiligt oder von ihm betroffen sind,
vii) sie ihre Aufgaben mit Respekt für den Gleichbehandlungsgrundsatz der Parteien erfüllen sollten, indem sie jede Art von Voreingenommenheit oder Diskriminierung vermeiden, zwischen den Parteien ein Gleichgewicht wahren und jeder eine faire Anhörung garantieren,
viii) sie Umsicht in ihren Verbindungen mit den Medien üben sollten, und ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit wahren sollten, indem sie sich jeder persönlicher Ausnutzung der Verbindungen mit den Medien und aller ungerechtfertigter Bemerkungen zu den Fällen, mit denen sie beschäftigt sind, enthalten,
ix) versichern sollten, dass sie einen hohen Grad an beruflicher Kompetenz wahren,
x) sie einen hohen Grad an beruflichem Bewusstsein haben sollten und einer Sorgfaltspflicht unterliegen, um dem Erfordernis zu genügen, ihre Urteile innerhalb einer angemessenen Frist zu fällen,
xi) sie den Grossteil ihrer Arbeitszeit ihrer Funktion als Richter widmen, die damit verbundenen Tätigkeiten eingeschlossen,
xii) sie sich jeder politischer Aktivität enthalten sollten, die ihrer Unabhängigkeit schaden und dem Anschein ihrer Unparteilichkeit zum Nachteil gereichen könnte.
B. STRAF, ZIVIL UND DISZIPLINARRECHTLICHE HAFTUNG DER RICHTER
4. Welche straf, zivil und disziplinarrechtliche Haftung sollte für Richter gelten?
51. Das logische Konsequenz der Gewalt und des Vertrauens, welche die Gesellschaft auf die Richter überträgt, ist, dass Richter mithilfe bestimmter Mittel verantwortlich gehalten oder sogar aus dem Amt entfernt werden sollten, wenn Fälle von inkorrektem Benehmen dies rechtfertigen. Das Bedürfnis, bei der Anerkennung solcher Haftung vorsichtig zu sein, entsteht aus dem Erfordernis nach Erhaltung der richterlichen Unabhängigkeit und Freiheit vor unangemessenem Druck. Vor diesem Hintergrund prüft der CCJE nacheinander die Themen der straf, zivil und disziplinarrechtlichen Haftung. In der Praxis ist die mögliche disziplinarrechtliche Haftung die wichtigste.
a. Strafrechtliche Haftung
52. Richter, die bei der Ausübung ihres Amtes etwas tun, was unter jeden Umständen als Verbrechen angesehen würde (z.B. die Annahme von Bestechungsgeldem), können keine Immunität von normaler strafrechtlicher Verfolgung verlangen. Die Antworten zu dem Fragebogen zeigen, dass in einigen Ländern auch gutgemeinte richterliche Fehler als Verbrechen angesehen werden können. So können in Schweden und Österreich die Richter (die anderen öffentlichen Funktionären angeglichen werden) in einigen Fällen für grobe Fahrlässigkeit (z.B. bei der Verhängung oder Beibehaltung einer zu langen Haftstrafe) bestraft werden (z.B. durch Geldbuße).
53. Obwohl die gängige Praxis deshalb also eine strafrechtliche Haftung der Richter für nicht absichtliche Fehler bei der Ausübung ihres Amtes nicht vollständig aus schließt, sieht der CCJE die Einführung einer solchen Haftbarkeit weder als generell akzeptabel, noch als unterstützenswert an. Ein Richter sollte nicht mit der Bedrohung von Geld oder sogar Haftstrafen operieren, deren Existenz, wenn auch unbewusst, Auswirkung auf seine Urteile haben könnte.
54. Die lästige Aufnahme von Strafverfahren gegen einen Richter, den eine Prozesspartei nicht mag, ist in einigen europäischen Staaten gängig geworden. Der CCJE bemerkt, dass es in Ländern, in denen strafrechtliche Ermittlungen oder Verfahren auf das Betreiben einer Privatperson eingeleitet werden können, einen Mechanismus geben sollte, um solche Ermittlungen oder Verfahren gegen einen Richter zu verhindern oder zu stoppen, die augenscheinlich mit der Ausübung seines Amtes zu tun haben, wenn im vorliegenden Fall nicht angenommen werden kann, dass für den Richter irgendeine Art von strafrechtlicher Haftung besteht.
b. Zivilrechtliche Haftung
55. Ähnliche Betrachtungen wie im Paragraph 53 berühren die Auferlegung persönlicher ziviler Haftung für die Folgen falscher Entscheidungen oder anderer Fehler der Richter (z.B. übermäßiger Verzug). Ein genereller Grundsatz sollte sein, dass Richter persönlich absolute Haftungsfreiheit vor direkt gegen sie gerichteten Ansprüchen genießen sollten, die sich aus einer gutgläubigen Amtsausführung ergeben. Rechtsfehlern, ob in bezug auf Rechtsprechung oder Verfahren, in Feststellung oder Anwendung des Rechts oder bei der Beweisverwertung, sollte mithilfe eines Einspruchs begegnet werden; andere Rechtsfehler, die auf diese Weise nicht korrigiert werden können (einschließlich z.B. übermäßiger Verzug), sollten der unzufriedenen Partei höchstens einen Anspruch gegen den Staat einräumen. Dass der Staat unter einigen Umständen eine Partei gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention entschädigen muss, ist eine andere Frage, mit der sich dieses Statement nicht direkt befasst.
56. Dennoch gibt es europäische Länder, in denen die Richter einer zivilrechtlichen Haftung für grob falsche Entscheidungen oder andere grobe Fehler unterworfen sein können (5): zunächst einmal von Seiten des Staates, nachdem die unzufriedene Partei ein Recht auf Kompensation durch den Staat erworben hat. In der Tschechei kann so zum Beispiel der Staat für Schäden wegen einer rechtswidrigen Entscheidung eines Richters oder einer inkorrekten richterlichen Handlung haftbar gemacht werden, kann aber Regress beim Richter nehmen, wenn und nachdem dessen inkorrektes Verhalten in einem straf- oder zivilrechtlichen Verfahren festgestellt worden ist. In Italien kann der Staat unter bestimmten Bedingungen Rückerstattung von einem Richter verlangen, der den Staat entweder durch absichtliche Täuschung oder „grobe Fahrlässigkeit“ haftbar gemacht hat, im letzten Fall abhängig von einer potentiellen Haftungsbeschränkung.
57. Die Europäische Charta über das Richterstatut problematisiert die Möglichkeit von Regressprozessen dieser Natur in Paragraph 5.2 ihres Textes unter dem Schutz einer vorangehenden Zustimmung, eingeholt von einer unabhängigen Behörde, in der die Richterschaft substanziell vertreten ist, wie es auch in Paragraph 43 des CCJE Statements Nr. 1 (2001) empfohlen ist. Der Kommentar zur Charta betont in Paragraph 5.2 das Bedürfnis nach einer Beschränkung der zivilrechtlichen Haftung der Richter auf (a) Entschädigung des Staates für (b) „grobe und unentschuldbare Fahrlässigkeit“ durch (c) ein rechtliches Verfahren, für das (d) die vorige Zustimmung einer solchen unabhängigen Behörde notwendig ist. Der CCJE pflichtet all diesen Punkten bei, und geht darüber hinaus. Die Anwendung von Rechtskonzepten wie grober und unentschuldbarer Fahrlässigkeit ist oftmals schwer. Wenn irgendeine Regressmöglichkeit für den Staat bestünde, so würde der Richter zum Zeitpunkt der Klageerhebung gegen den Staat beginnen müssen, sich ernsthafte Sorgen machen. Die Schlussfolgerung des CCJE besteht darin, dass es dem Richteramt, im Hinblick auf die behauptete Ausübung richterlicher Funktionen, nicht angemessen ist, persönlich jeglicher Art von Haftungsansprüchen, auch im Wege der Entschädigung des Staates, ausgesetzt zu sein, außer im Falle absichtlichen Versäumnisses.
c. Disziplinarhaftung
58. Alle Rechtssysteme brauchen eine Art Disziplinarsystem, obwohl aus den Antworten verschiedener Mitgliedstaaten auf die Fragebögen deutlich wird, dass das Bedürfnis danach in einigen Mitgliedsstaaten im Vergleich zu den anderen stärker ist. In diesem Zusammenhang besteht ein grundlegender Unterschied zwischen Ländern des commonlawSystems mit einer kleineren beruflichen Richterschaft, die aus er fahrenen Praktikern zusammengesetzt ist, und civillaw Ländern, in denen es eine größere und durchschnittliche jüngere karriereorientierte Richterschaft gibt.
59. Die Fragen, die aufkommen, sind folgende:
i) Welches Verhalten sollte einen Richter disziplinarrechtlicher Verfolgung aussetzen?
ii) Von wem und wie sollte ein solches Verfahren eingeleitet werden?
iii)Von wem und wie sollte es bestimmt werden?
iv) Welche Sanktionen sollten disziplinarrechtliche Verfahren für Fehlverhalten gewähren?
60. Zur Frage (i): der erste Punkt, den der ME anführt (wobei er inhaltlich einen früheren Punkt in diesem Statement wiederholt), besagt, dass Verstöße gegen korrekte Berufsstandards nicht mit einem Fehlverhalten in Beziehung gesetzt werden dürfen, welches möglicherweise zu Disziplinarsanktionen führt. Berufliche Standards, die im ersten Teil dieses Statements behandelt wurden, beschreiben die Idealpraxis, die alle Richter zu entwickeln versuchen und anstreben sollten. Es würde die weitere Entwicklung solcher Standards beeinträchtigen und deren Zweck zuwiderlaufen, sie mit einem Fehlverhalten gleichzusetzen, welches ein disziplinarrechtliches Verfahren rechtfertigt. Um disziplinarrechtliche Verfahren zu rechtfertigen, muss das Fehlverhalten vielmehr schwerwiegend und eklatant sein davon kann nicht ausgegangen werden beim einfachen Versäumnis, berufliche Standards zu beachten, die wie im ersten Teil dieses Statements diskutiert in Richtlinien festgelegt werden (6).
61. Dies bedeutet nicht, dass ein Verstoß gegen in diesem Statement benannte berufliche Standards keine beträchtliche Relevanz haben kann, wenn der Vorwurf eines Fehlverhaltens erhoben wird, das Disziplinarsanktionen rechtfertigt und verlangt. Einige der Antworten zu den Fragebögen erkennen dieses ausdrücklich an: Berufsstandards wird zum Beispiel ein „gewisses Gewicht“ in Disziplinarverfahren in Litauen zugeschrieben, und in Estland bilden sie eine „Hilfe für den Richter in disziplinarrechtlichen Prozessen, indem sie die Rechtsvorschriften für Richter verdeutlichen“. Auch in Disziplinarverfahren in Moldawien sind sie verwendet worden. (Auf der anderen Seite verneinen die ukrainischen und slowakischen Antworten jede Verbindung zwischen den beiden).
62. In einigen Ländern sind verschiedene Systeme entworfen worden mit dem Versuch, Berufsstandards zu regulieren und durchzusetzen. In Slowenien kann das Versäumnis, solche Standards zu beachten, eine Sanktion des „Ehrengerichts“ innerhalb der Richtervereinigung nach sich ziehen, und nicht des richterlichen Disziplinärorgans. In einem besonders schweren Fall der Nichtbeachtung beruflicher Verhaltensregeln kann ein Richter in der Tschechischen Republik aus der „Richterunion“ ausgeschlossen werden, welche der Ursprung dieser Grundsätze ist.
63. Der zweite Punkt, den der ME anführt, legt fest, dass jeder Staat durch Gesetz bestimmen muss, welches Verhalten disziplinarrechtliche Folgen haben kann. Der CUE vermerkt, dass es in einigen Ländern Versuche gegeben hat, jedes Verhalten einzeln aufzuführen, welches ein Disziplinarverfahren mit der Folge einer Art Sanktion begründen könnte. So verbindet das türkische Richter und Anklagerecht Grade von Verstößen (einschließlich zum Beispiel unentschuldigtes Nichterscheinen bei der Arbeit für unterschiedlich lange Perioden) mit entsprechenden Sanktionsstufen, von der Verwarnung über die Verurteilung (d.h. Verweis), verschiedene Auswirkungen auf Beförderung und Versetzung und schließlich bis hin zur Entlassung. In ähnlicher Weise versucht ein junges Gesetz in Slowenien von 2002 den nullapoenasinelegeGrundsatz zu realisieren, indem es 27 Kategorien von Disziplinarverstößen aufführt. Dennoch ist bei all diesen Versuchen auffallend, dass sie alle zu generellen „catchall“ (allumfassenden) Formulierungen greifen, die Beurteilungs und Abgrenzungsfragen aufwerfen. Der CUE geht selbst nicht von der Notwendigkeit (weder durch den nulla-poena-sine-lege-Grundsatz noch auf einer anderen Grundlage) oder auch nur der Möglichkeit aus, auf europäischer Ebene in präziser und detaillierter Weise alle Fehlverhalten anzuführen zu versuchen, welche zu disziplinarrechtlichen Verfahren und Sanktionen führen könnte. Der Kern eines Disziplinarverfahrens gründet sich auf ein Verhalten, welches demjenigen grundlegend entgegengesetzt ist, das von einem Berufstätigen in der Position der Person, die sich angeblich falsch verhalten hat, erwartet wird.
64. Auf den ersten Blick könnte das Prinzip VI.2 der Empfehlung Nr. R (94) 12 als ein Hinweis angesehen werden, dass die genauen Gründe für Disziplinarverfahren immer „in präzisen Worten vom Gesetz“ im voraus „definiert“ werden müssen. Der CCJE akzeptiert vollkommen, dass genaue Gründe für disziplinarrechtliche Handlungen angegeben werden müssen, wie und wann diese vorgesehen und eingeleitet werden. Wie bereits gesagt, denkt er nicht, dass es auf europäischer Ebene notwendig oder auch nur möglich ist, all diese Gründe im voraus in anderen Worten zu definieren zu versuchen, als in den generellen Formulierungen, die zur Zeit in den meisten europäischen Ländern übernommen worden sind. Deshalb hat der CUE in diesem Zusammenhang die Schlussfolgerung gezogen, dass das Ziel, das in Paragraph 60 c) seines Statements Nr. 1 (2001) festgelegt wurde, auf europäischer Ebene nicht erreicht werden kann.
65. Dennoch erscheint eine eingehendere gesetzliche Definition der genauen Gründe für disziplinarrechtliche Handlungen durch die einzelnen Mitgliedsstaaten wünschenswert, wie von der Empfehlung Nr. R (94) 12 angeregt. Zur Zeit werden die Gründe für Disziplinarhandlungen normalerweise grob verallgemeinert angegeben.
66. Sodann behandelt der CUE Frage (ii): Von wem und wie sollte ein solches Verfahren eingeleitet werden? In einigen Ländern werden Disziplinarverfahren vom Justizministerium eingeleitet, in anderen vom oder in Verbindung mit bestimmten Richtern oder Richter oder Anwaltsräten, wie dem Obersten Präsidenten des Berufungsgerichts in Frankreich oder dem Generalstaatsanwalt in Italien. In England ist der Initiator der Lordkanzler (Mitglied der Regierung und des Kabinetts, führt den Vorsitz bei Debatten des Oberhauses und ist verantwortlich für die Justizverwaltung), aber er hat sich einverstanden erklärt, Disziplinarverfahren nur zusammen mit dem Lord Chief Justice (Lordoberrichter, Präsident der Queen´s Bench Division des High Court) einzuleiten.
67. Eine wichtige Frage ist, welche Maßnahmen von Personen (wenn überhaupt) ergriffen werden können, die behaupten, durch den beruflichen Fehler eines Richters einen Schaden erlitten zu haben. Solche Personen müssen berechtigt sein, jede Art von Beschwerde bei der Person oder dem Organ einzubringen, dass für die Einleitung disziplinarrechtlicher Verfahren verantwortlich ist. Sie selbst dürfen aber kein Recht dazu haben, Disziplinarverfahren einzuleiten oder auf diese zu bestehen. Es muss einen Filter geben, oder Richter könnten sich oftmals einem Disziplinarverfahren aus gesetzt sehen, das von enttäuschten Streitbeteiligten gegen sie eingebracht wurde.
68. Der CCJE hält eine stärkere Formalisierung der Vorgänge, die zur Einleitung disziplinarrechtlicher Verfahren führen, für angebracht. Er schlägt den Ländern die Einführung eines besonderen Organs oder einer Person vor, die in jedem Land für die Klageannahme, für die Übernahme der Vertretung des betreffenden Richters und für die Entscheidung verantwortlich ist, ob nach ihrer Meinung ein Fall vorliegt, welcher der Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen den Richter genügt; in diesem Fall würde die Angelegenheit an die Disziplinarbehörde weitergeleitet werden.
69. Die nächste Frage (iii) ist: Von wem und wie sollte ein Disziplinarverfahren bestimmt werden? Eine ganze Passage der Grundsätze der Vereinten Nationen ist dem Disziplinarrecht, der Suspendierung und der Amtsenthebung gewidmet. Artikel 17 gibt dem Richter das „Recht auf eine faire Anhörung“. Gemäss Artikel 19 sollen „alle Disziplinarverfahren im Einklang mit anerkannten richterlichen Verhaltensstandards“ stattfinden. Schließlich legt Artikel 20 den Grundsatz fest, dass „Entscheidungen in disziplinarrechtlichen, Suspendierungs oder Amtsenthebungsverfahren einer unabhängigen Überprüfung unterliegen sollen“. Auf europäischer Ebene bildet Grundsatz VI der Empfehlung Nr. R (94) 12 eine Leitlinie, die anregt, dass für Disziplinarmass nahmen ein besonderes Organ verantwortlich sein sollte, dessen Aufgabe die „Verhängung von Disziplinarsanktionen und maßnahmen ist, sofern diese nicht von einem Gericht verhängt werden, und dessen Entscheidungen von einem übergeordneten richterlichen Organ kontrolliert werden sollen, sofern es nicht selbst ein übergeordnetes richterliches Organ ist“, und dass Richter in dieser Verbindung zumindest einen Schutz genießen sollten, der dem des Artikels 6.1 der Menschenrechtskonvention gleichwertig ist. Darüber hinaus betont der CCJE in diesem Zusammenhang, dass unter Disziplinarmassnahmen jede Art von Maßnahme zu verstehen ist, die sich ungünstig auf den Status oder die Karriere eines Richters, einschließlich Gerichtsversetzung und Verlust von Befdrderungs oder Bezahlungsrechten auswirkt.
70. Die Antworten zu dem Fragebogen zeigen, dass in einigen Ländern disziplinarrechtliche Angelegenheiten von einem Gericht übernommen werden, das sich auf diesem Gebiet spezialisiert: das Disziplinarkomitee des Höchsten Gerichtshofs (Estland, Slowenien wo jede Ebene vertreten ist). In der Ukraine existiert ein Komitee, in dem Richter aus der Rechtsprechungsebene des betroffenen Richters vertreten sind. In der Slowakei gibt es zur Zeit zwei Komiteestufen, die eine besetzt mit drei Richtern, die zweite mit fünf Richtern des Höchsten Gerichtshofes. In Litauen existiert ein Komitee aus Richtern der verschiedenen Ränge der ordentlichen und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. In einigen Ländern wird von einem Richterrat Recht gesprochen, der als ein Disziplinargericht sitzt (Moldawien, Frankreich, Portugal) (7).
71. Der CCJE hat bereits seiner Ansicht Ausdruck verliehen, dass Disziplinarverfahren gegen irgendeinen Richter nur von einer unabhängigen Behörde (oder einem „Tribunal“) beschlossen werden sollten, deren Verfahren sämtliche Verteidigungsrechte garantiert vergleiche Paragraph 60(b) des CCJEStatements Nr. 1 (2001) zu Unabhängigkeitsstandards der Richterschaft und der Unversetzlichkeit von Richtern. Er erwägt auch, dass das Organ, welches für die Ernennung eines solchen Tribunals verantwortlich ist, dasjenige unabhängige Organ (mit repräsentativer richterlicher Vertretung, die demokratisch von den anderen Richtern gewählt wird) sein kann und sein sollte, welches generell für die Ernennung der Richter verantwortlich sein sollte, wie der CCJE in Paragraph 46 seines ersten Statements vorgeschlagen hat. Das schließt in keiner Weise die Mitgliedschaft von Nicht-Richtern in diesem Disziplinartribunal aus (um auf diese Weise das Risiko des Korporatismus abzuwenden), immer davon ausgegangen, dass solche Personen nicht Mitglieder der Legislative, der Regierung oder der Verwaltung sind.
72. In einigen Ländern ist das einleitende Disziplinarorgan gleichzeitig das höchste richterliche Organ (der Höchste Gerichtshof). Der CCJE bemerkt, dass die Regelungen des Disziplinarverfahrens in jedem Land eine Berufung vom einleitenden Disziplinarorgan (egal ob dies selbst eine Behörde, ein Tribunal oder ein Gericht ist) zu einem Gericht erlauben sollten.
73. Die letzte Frage (iv) ist: Welche Sanktionen sollten disziplinarrechtliche Verfahren für Fehlverhalten gewähren? Die Antworten zum Fragebogen zeigen große Unterschiede, welche zweifellos die verschiedenen Rechtssysteme und Notwendigkeiten reflektieren. In Systemen des commonlaw mit kleinen, homogenen, aus älteren und erfahrenen Praktikern zusammengesetzten Richterschaften ist die einzige bewiesenermaßen für notwendig gehaltene formale Sanktion (und auch dann nur als entfernte letzte Möglichkeit) die extreme Maßnahme der Amtsenthebung, aber informelle Verwarnungen oder Kontaktierung können sich als sehr effektiv erweisen. In anderen Ländern mit größeren, viel ungleichartigeren und in einigen Fällen weniger erfahrenen Richterschaften wird eine Gradierung von formal niedergelegten Sanktionen für angemessener gehalten, die manchmal sogar Geldstrafen beinhaltet.
74. Die Europäische Charta über das Richterstatut (Artikel 5.1) besagt, dass „die Skala der Sanktionen, die verhängt werden können, im Statut festgelegt ist und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegt“. Einige Beispiele möglicher Sanktionen erscheinen in der Empfehlung Nr. R (94) 12 (Grundsatz VI. 1). Der CCJE stimmt dem Bedürfnis zu, dass jede Rechtsprechung die Sanktionen nennt, die in seinem eigenen Disziplinarsystem erlaubt sind, und dass diese Sanktionen sowohl im Grundsatz als auch in ihrer Anwendung verhältnismäßig sind. Aber er denkt nicht, dass eine ab schließende Auflistung auf europäischer Ebene angestrebt werden kann oder sollte.
5. Schlussfolgerungen zur Haftung
75. Was strafrechtliche Haftung betrifft, bemerkt der CCJE dass:
i) Richter dem ordentlichen Recht entsprechend für Verstöße außerhalb ihres Richteramtes haftbar sein sollten;
ii) Richter keiner strafrechtlichen Haftung für unabsichtliche Fehler in ihrer Amtsausübung unterliegen sollten.
76. Was zivilrechtliche Haftung angeht, bemerkt der CCJE, wobei er dem Unabhängigkeitsprinzip Rechnung trägt:
i) für Rechtsmittel gegen richterliche Fehler (ob in bezug auf Rechtsprechung, Inhalt oder Verfahren) sollte es ein angemessenes Berufungssystem geben (ob mit oder ohne gerichtliches Einverständnis);
ii) jedes andere Rechtsmittel gegen Fehler in der Justizverwaltung (einschließlich zum Beispiel übermäßiger Verzug) kann nur gegen den Staat eingebracht werden;
iii) im Hinblick auf die behauptete Ausübung seiner Funktionen ist es einem Richter nicht angemessen, irgendeiner persönlichen Haftung ausgesetzt zu sein, auch nicht im Wege einer Entschädigung des Staates, außer in Fällen absichtlichen Fehlverhaltens.
77. In bezug auf disziplinarrechtliche Haftung führt der CCJE aus, dass:
i) in jedem Land die grundlegende Charta, die für Richter gilt, so weit wie möglich in genauen Worten die Fehler auflisten sollte, die zu disziplinarrechtlichen Sanktionen und darauf folgenden Verfahren führen können;
ii) im Hinblick auf die Institution des Disziplinarverfahrens die Länder die Einführung eines besonderen Organs oder einer Person bedenken sollten, die für die Klageannahme, die Übernahme der Vertretung des betroffenen Richters und die Entscheidung verantwortlich sind, ob nach ihrer Meinung ein Fall vorliegt, welcher der Einleitung solcher Verfahren gegen den Richter genügt;
iii) über alle eingeleiteten Disziplinarverfahren von einer unabhängigen Behörde beschlossen werden sollte, deren Verfahren sämtliche Verteidigungsrechte garantiert;
iv) wenn so eine Behörde oder so ein Tribunal nicht selbst ein Gericht ist, seine Mitglieder von einer unabhängigen Behörde ernannt werden sollten (mit repräsentativer richterlicher Vertretung, die demokratisch von den anderen Richtern gewählt wird), welche vom CCJE in Paragraph 46 seines Statements Nr. 1 (2001) vorgeschlagen wird;
v) die Regelungen in Disziplinarverfahren in jedem Land eine Berufung vom einleitenden Disziplinarorgan (egal ob es selbst eine Behörde, ein Tribunal oder ein Gericht ist) zu einem Gericht zulassen sollten;
vi) die Sanktionen, die einer solchen Behörde im Falle eines bewiesenen Fehlverhaltens zur Verfügung stehen, so weit wie möglich in genauen Worten vom Statut oder der grundlegenden Richtercharta definiert werden sollten, und im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angewandt werden sollten.
(1) Vgl. zum Beispiel den Fall Piesack, Urteil vom 1. Oktober 1982, Series A 53, Paragraph 30, Fall De Cubber, Urteil vom 26. Oktober 1984, Series A 86, Paragraph 24, Fall Demicoli, Urteil vom 27. August 1991, Series A 210, Paragraph 40, Fall Sainte-Marie, Urteil vom 16. Dezember 1992, Series A 253A, Paragraph 34.
(2) Für eine detaillierte Analyse von Unvereinbarkeiten vergleiche die Mitteilung von Jean-Pierre Atthenont, präsentiert auf dem vom Europarat organisierten Seminar zum Richterstatut (Bukarest, 1921. März 1997) und die Mitteilung von Pierre Comu, präsentiert auf dem vom Europarat organisierten Seminar zum Richterstatut (Kisinev, 1819. September 1997).
(3) Er beinhaltet Verbindungen zu Individuen, die Pflicht der Kompetenz, den Gebrauch öffentlicher Ressourcen und beruflichen Informationen, Verbindungen zur Presse, Mitgliedschaft in Vereinigungen, das Image von Unparteilichkeit und Unabhängigkeit, die Pflicht, sich Mitarbeitern gegenüber korrekt zu verhalten, das Verhalten innerhalb und außerhalb des Büros und die Pflichten der vorsitzenden Richter.
(4) In seinem Abschlussbericht, der im Anschluss an das erste Treffen des Lissabon-Netzwerks präsentiert wurde, hat Daniel Ludet betont, dass die Aus und Weiterbildung eine Anknüpfungspunkt bieten und die Debatte um die Berufspraxis der Richter und die ethischen Grundsätze, auf denen diese beruht, anregen sollte (vergleiche Training of judges and prosecutors in matters relating to their professional obligations and ethics. 1. Treffen der Mitglieder des Netzwerks für den Informationsaustausch und die Aus- und Weiterbildung von Richtern und Staatsanwälten, herausgegeben vom Europarat).
(5) Aus der reinen Tatsache, dass der Staat für übermäßigen Verzug haftbar gemacht wurde, folgt selbstverständlich auf keinen Fall, dass irgendein einzelner Richter fehlerhaft gehandelt hat. Der CCJE wiederholt, was er oben in Paragraph 27 erwähnt hat.
(6) Aus diesen Gründen qualifizierte die Arbeitsgruppe des CCJE, während und nach ihrem Treffen mit dem Menschenrechtsbeauftragten der Vereinten Nationen am 18. Juni 2002, seine ansonsten inhaltlich positive Einstellung zum Bangalorekodex in seiner aktuellen Fassung, indem sie nicht mit der direkten Verbindung übereinstimmte, die dieser zwischen den von ihm festgelegten Verhaltensgrundsätzen und den Beschwerde und Disziplinarangelegenheiten zog (vergleiche Paragraph 2(iii) des Anhangs V, Dok. CCJEGT (2002) 7): vergleiche Kommentar Nr. 1 (2002) des ME zum Bangalore-Entwurf.
(7) In England ist der Lordkanzler gleichermaßen für die Entscheidung und die Einleitung disziplinarrechtlicher Handlungen zuständig. Aber ebenso wie er eingewilligt hat, ein Disziplinarverfahren nur gemeinsam mit dem Lordoberrichter einzuleiten, so bemüht er sich auch, jeglichen Interessenkonflikt, und Unvereinbarkeiten mit Artikel 6.1 der Menschenrechtskonvention, dadurch aufzulösen, dass er (solange der betroffene Richter nicht darauf verzichtet) einen anderen, vom Lordoberrichter vorgeschlagenen Richter angemessenen Standes ernennt, der die Tatsachen und den Bericht, mit Empfehlungen, ermittelt. Nur gemeinsam mit dem Lordoberrichter wird der Lordkanzler dann die Angelegenheit an das Parlament weiterleiten (im Falle höherrangiger Richter) oder einen Richter niederen Ranges seines Amtes entheben, oder eine andere Disziplinarmassnahme ergreifen bzw. autorisieren.
Anmerkung:
Der Text nimmt Bezug auf die Rechtsordnungen zahlreicher europäischer Länder.
Deutschland findet keine Erwähnung.