Thomas Schulte-Kellinghaus

„Qualitätsmanagement“ an den Gerichten – Was ist von den Konzepten der Justizverwaltungen zu halten?

Aus dem Text:

„…. Die Leistungen der Landesjustizverwaltungen in Deutschland sind schlecht, teilweise katastrophal ….“

 

„Qualitätsmanagement“ an den Gerichten – Was ist von den Konzepten der Justizverwaltungen zu halten?

Thomas Schulte-Kellinghaus, Richter am Oberlandesgericht (Karlsruhe)

Veröffentlicht in Betrifft JUSTIZ Nr. 84, 2005 Seiten 198 ff.

 

Vorbemerkung

Die Justizverwaltungen in Deutschland betreiben und propagieren mit großem rhetorischem Aufwand Qualitätsmanagement für „Justiz“. Mitarbeiter der Justizverwaltungen ziehen durch die Lande, um für ihre Konzepte zu werben, und verfassen umfangreiche Papiere, um die Medien und die Öffentlichkeit mit ihren angeblich modernen und fortschrittlichen Ideen zu beeindrucken (1).

Meine Sicht dieser Konzepte der Justizverwaltungen habe ich in 10 Thesen zusammengefasst, die in Betrifft Justiz veröffentlicht wurden (2). Torsten Block, Vizepräsident des Amtsgerichts Kiel, hat diesen Thesen 10 Gegenthesen gegenübergestellt (3). Die Gegenthesen von Torsten Block machen deutlich, dass eine Konkretisierung meiner Thesen sinnvoll ist. Den Versuch einer solchen – aus Raumgründen immer noch skizzenhaften – Konkretisierung möchte ich in diesem Beitrag unternehmen. Gleichzeitig soll der Beitrag in einigen Punkten auf die Kritik von Torsten Block eingehen.

Meine Thesen beschäftigen sich nur mit den Konzepten der Justizverwaltungen. Torsten Block weist zu Recht darauf hin, dass es daneben durchaus sinnvolle – und wichtige – Ideen für ein selbstorganisiertes, justizverwaltungsfreies, richterliches Qualitätsmanagement gibt (beispielsweise justizverwaltungsfreie Supervision und andere Ideen zur Reflexion und Verbesserung der eigenen Arbeitsweise). Dies ist allerdings ein völlig anderes Thema, mit dem sich meine Thesen nicht beschäftigen können und sollen. Rationales, eigenverantwortliches, richterliches Qualitätsmanagement hat mit den Konzepten der Justizverwaltungen m. E. nichts zu tun. Aus Gründen der gedanklichen Klarheit ist es nicht sinnvoll, die beiden völlig verschiedenen Themen miteinander zu vermengen (4).

1. Qualitätsmanagement von Justizverwaltung für richterliche Tätigkeit ist verfassungswidrig.

a) Die verfassungsrechtliche Situation ist einfach: „Es ist ein . . . durch einen Blick in den knapp und klar formulierten Art. 97 I GG vermeidbares Missverständnis, richterliche Tätigkeit könne durch etwas anderes „gesteuert“ werden als durch den Rechtssatz, den formellen ebenso wie den materiellen. Allein das Verfahrensrecht und das materielle Recht sind die verfassungslegitimen Steuerungsinstrumente richterlicher Tätigkeit.“ Dies hat der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, bereits 2001 klar und eindeutig formuliert (5).

Qualitätsmanagement ist „Steuerung“. Kein Manager eines Unternehmens würde diesen Zusammenhang in Frage stellen. Bis vor kurzem haben auch die Landesjustizverwaltungen diesen begrifflichen Zusammenhang hervorgehoben. Sämtliche Elemente der Justizverwaltungskonzepte von „Qualitätsmanagement“ sind wesentliche Bestandteile der sogenannten „Neuen Steuerungsinstrumente“ (6). Es ist bemerkenswert – und entlarvend -, dass die Vertreter der Landesjustizverwaltungen den Begriff „Steuerung“ im Zusammenhang mit „Qualitätsmanagement“ seit kurzem sorgfältig vermeiden (7). Der veränderte Sprachgebrauch der Justizverwaltungen dürfte auf der Erkenntnis beruhen, dass der Begriff der „Steuerung“ den Verstoß gegen Art. 97 Abs. 1 GG schon sprachlich deutlich erkennen lässt (8).

b) Es gibt nach meiner Kenntnis keine einzige ernst zu nehmende verfassungsrechtliche Analyse, welche die Justizverwaltungskonzepte von „Neuer Steuerung“ oder „Qualitätsmanagement“ rechtfertigen würde. Mitarbeiter der Landesjustizverwaltungen behaupten lediglich gelegentlich apodiktisch und begründungslos, richterliche Unabhängigkeit werde nicht verletzt. Dabei liegt es für jeden strategisch denkenden Politiker und für jeden psychologisch geschulten Beobachter auf der Hand, wie leicht und wie intensiv Organisationsmaßnahmen (z. B. „Qualitätsmanagement“) die inhaltliche Tätigkeit beeinflussen können.

c) Die Frage der Verfassungswidrigkeit von „Qualitätsmanagement“ ist für uns Richter mit psychologischen Schmerzen verbunden, die eine Tendenz zur Verdrängung begünstigen. In einem Rechtsstaat müssen Rechtsverletzungen – auch bei „Qualitätsmanagement“ – rechtliche Konsequenzen haben. Wenn Qualitätsmanagement verfassungswidrig ist, ergibt sich daraus indirekt das Eingeständnis eigener Versäumnisse für uns Richter: Was haben wir bisher getan, um – gegenüber Präsidenten und Justizministerien – eine Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grenzen einzufordern? Sind wir Richter selbstbewusst und konsequent genug, um wenigstens für die Zukunft rechtliche Schlussfolgerungen im Verhältnis zur Justizverwaltung aus den von uns erkannten Rechtsverstößen zu ziehen? Ich habe den Eindruck, unsere Schwächen im Auftreten gegenüber den Justizverwaltungen erschweren eine nüchterne verfassungsrechtliche Analyse von Qualitätsmanagement, weil eine solche Analyse nach unserem eigenen Selbstverständnis – eigentlich – zu rechtlichen Konsequenzen führen müsste, die wir aus Gründen eigener Schwäche jedoch nicht ohne weiteres ziehen wollen.

Ich habe persönliches Verständnis für die Mitarbeiter der Landesjustizverwaltungen, insbesondere für die Gerichtspräsidenten (9), die sich noch größeren psychologischen Problemen gegenübersehen. Ein Präsident, der für sich zu dem Ergebnis kommt, dass Qualitätsmanagement ganz oder teilweise verfassungswidrig ist, muss sich automatisch fragen, an welchen Rechtsverstößen er im Rahmen seiner Justizverwaltungstätigkeit in der Vergangenheit bereits mitgewirkt hat. Wer von uns ist in der Lage, sich einer solchen Frage offen und ohne Hemmungen zu stellen?

Den psychologischen Problemen müssen wir allerdings dennoch klar und eindeutig die Forderung entgegensetzen: Verständliche menschliche Probleme dürfen uns nicht an einer nüchternen und sachlichen Analyse der Verfassungswidrigkeit von Qualitätsmanagement hindern.

2. Qualitätsmanagement von Justizverwaltung für die Gerichte erfasst – entgegen den Beteuerungen von Vertretern der Justizverwaltung – (verfassungswidrig) auch die richterliche Tätigkeit.

a) Es gibt in Deutschland offenbar sehr unterschiedliche Wahrnehmungen bei Richterinnen und Richtern einerseits und bei Mitarbeitern der Justizverwaltung – zu denen auch Torsten Block als Vizepräsident eines Amtsgerichts gehört – andererseits, wenn es um die Frage geht, inwieweit Justizverwaltungen mit Qualitätsmanagement Einfluss auf richterliche Tätigkeit nehmen. Die sehr unterschiedliche Wahrnehmung beruht auf den verschiedenen Interessenperspektiven von Richtern als Trägern der Dritten Gewalt einerseits und Mitarbeitern der Exekutive andererseits. Die verschiedenen Interessenperspektiven sind durch das Prinzip der Gewaltenteilung vorgegeben und teilweise unvermeidbar. Die unterschiedlichen Wahrnehmungen sind auf der persönlichen Ebene wechselseitig zu respektieren und sollten kein Anlass für persönliche Vorbehalte sein.

b) „Qualitätsmanagement“ ist ein Akt der Organisation der Bedingungen richterlicher Tätigkeit. Mit „Qualitätsmanagement“ sollen Arbeitsbedingungen organisiert werden, die bisher nicht dem Zugriff der Justizverwaltungen unterliegen. Jede Organisationsmaßnahme hat zwangsläufig Auswirkungen auf inhaltliche Aspekte der organisierten Tätigkeit. Während in nahezu allen anderen gesellschaftlichen Bereichen diese Grundregel staatlicher Machtausübung kaum bestritten wird (10), wird derselbe Zusammenhang bei der Tätigkeit der Gerichte teilweise nicht gesehen. Der Zusammenhang zwischen der Organisation richterlicher Tätigkeit und dem Inhalt der Rechtsprechung ist keine politische Frage sondern ist ein verfassungsrechtliches Problem, das dringend einer Aufarbeitung durch das Bundesverfassungsgericht bedarf.

c) Konkret nehmen in Deutschland Mitarbeiter der Justizverwaltung beispielsweise Einfluss auf die richterliche Tätigkeit mit Benchmarking, mit sogenannter „Personalentwicklung“ und mit „Jahresgesprächen“. Beim Benchmarking versuchen Justizverwaltungen, Qualitätsmaßstäbe für richterliche Tätigkeit zu definieren. Sogenannte „Personalentwicklung“ bedeutet, dass Richterpersönlichkeiten nach sehr konkreten Vorstellungen und Interessen der Exekutive geformt werden sollen. „Jahresgespräche“ sind in ihrer Konzeption ein hierarchisches Instrument zur Beeinflussung des Verhaltens von (abhängigen) Mitarbeitern. Die Einflussnahme mit diesen und anderen Methoden erfolgt vor allem, um Erledigungszahlen der Richter zu erhöhen und um die „Bearbeitungstiefe“ richterlicher Tätigkeit zu verringern.

d) Es gehört zum Wesen der Qualitätsmanagement-Konzepte von Justizverwaltung, dass in diesen Konzepten jegliche konkrete Abgrenzung derjenigen Bereiche richterlicher Tätigkeit fehlt, die beeinflusst werden sollen, weil sie angeblich nicht der richterlichen Unabhängigkeit unterliegen. Qualitätsmanagement-Konzepte sind daher vor allem ein Aufruf und eine Ermunterung für viele Gerichtspräsidenten, Grenzen im Verhältnis zu den Richtern, die in der Vergangenheit respektiert wurden, zu überschreiten. Ein besonders abschreckendes Beispiel sind die „Standards verwaltungsrichterlicher Arbeit“ (11), von denen sich nach meiner Kenntnis bisher kein einziger OVG-Präsident in Deutschland öffentlich oder zumindest richteröffentlich in klarer und eindeutiger Form distanziert hat.

3. Die aktuellen Tendenzen von Qualitätsmanagement der Justizverwaltungen sind an der Qualität der richterlichen Tätigkeit nicht interessiert. Besonders deutlich wurde dies im Vortrag von Michael Steindorfner, Amtschef im baden-württembergischen Justizministerium, auf der Mitgliederversammlung der NRV in Mainz am 5. 3. 2005. Es geht nur um – qualitätsmindernde – Kostenreduzierungen. Die negativen Auswirkungen werden für die Bürger, die mit den Gerichten zu tun haben, immer deutlicher.

a) Die Interessen der Justizverwaltungen zeigen sich besonders deutlich in rechtspolitischen Aktionen. Mit einer in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht erlebten Konsequenz versuchen die Landesjustizminister in der sogenannten „Großen Justizreform“, Rechtsmittel und Kollegialprinzip in den verschiedenen Prozessordnungen abzubauen. Rechtsmittel und Kollegialprinzip sind sehr wichtige und sehr wirksame – gesetzlich geregelte – Mittel der Qualitätssicherung unserer Tätigkeit.

b) Für die Qualität richterlicher Tätigkeit kann man sehr unterschiedliche Kriterien heranziehen. Jeder Richter weiß allerdings, dass die Qualität seiner Tätigkeit – nicht nur aber in allererster Linie – von der Zeit pro Fall abhängt, die ihm bei seiner Arbeit zur Verfügung steht. Sämtliche Konzepte und Papiere der Justizverwaltungen verschweigen diesen Zusammenhang vollständig. Ein Konzept von Qualitätsmanagement, bei dem die Zeit pro Fall nicht vorkommt, ist unseriös und/oder auf Täuschung angelegt.

4. Die euphemistischen Darstellungen der angeblich positiven Wirkung bestimmter Maßnahmen des Qualitätsmanagements in Reden und Aufsätzen von Vertretern der Justizverwaltung haben mit der Realität unserer Tätigkeit und mit den realen Bedingungen unserer Tätigkeit fast nichts zu tun.

a) „Modernisierung“, „Neue Steuerung“ und „Qualitätsmanagement“ gibt es in der deutschen Justizlandschaft nun schon etliche Jahre. Viele Richter haben sich mit Kritik anfangs stark zurückgehalten und waren eher aufgeschlossen für Veränderungen; denn vielleicht würde sich ja tatsächlich etwas verbessern. Die meisten Richter sind nach meinem Eindruck in den letzten Jahren allerdings deutlich kritischer geworden. Wo sind sie, die angeblich positiven Wirkungen von „QM-Maßnahmen“? Welche unserer Urteile sind besser geworden? Welche Bürger sind heute relativ zufriedener mit unserer Tätigkeit als früher?

b) Mitarbeiter der Justizverwaltung beschränken sich bei den angeblichen Erfolgen von „Modernisierung“ meist auf Rhetorik. Wenn es konkret werden soll, werden in der Regel nur zwei Veränderungen genannt: Zum einen die Einführung und Verbesserung von DV-Technik und zum anderen die Einführung der Service-Einheiten. Beides ist – aus der Sicht fast aller Richter – zu begrüßen. Nur sind diese „Errungenschaften“ sicher kein Grund zur Euphorie: Die Justizverwaltungen haben es zwar geschafft, die Gerichte in gewissem Umfang mit moderner Technik auszustatten. Die Technik ist allerdings nichts Besonderes; denn jeder Versicherungsvertreter ist heute ähnlich ausgestattet (12). Bei der Bewertung der Einführung von Service-Einheiten sollte man nicht übersehen, dass es beispielsweise in Baden-Württemberg innerhalb von 10 Jahren immer noch nicht gelungen ist, eine sehr begrenzte Veränderung von Arbeitsabläufen im Mitarbeiterbereich an allen Gerichten vollständig zu implementieren.

c) Was das sogenannte „Qualitätsmanagement“ der Justizverwaltungen tatsächlich für die rechtsstaatliche Qualität unserer Tätigkeit bewirkt hat, kann man feststellen, insbesondere durch sozialwissenschaftliche Erhebungen bei Richtern, Bürgern und Anwälten. Mir ist nicht bekannt, dass Justizverwaltungen an solchen – ergebnisoffenen – Erhebungen, mit denen man beispielsweise Universitäts-Institute beauftragen kann, interessiert wären.

5. Es muss aus verfassungsrechtlichen und aus praktischen Gründen scharf unterschieden werden zwischen der Qualität richterlicher Tätigkeit und der Qualität der Dienstleistungen der Justizverwaltungen für unsere richterliche Tätigkeit.

a) „Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut.“ So steht es in Art. 92 Abs. 1 GG. Es steht hingegen nicht im Grundgesetz, dass die rechtsprechende Gewalt „Richterinnen und Richtern gemeinsam mit allen anderen Mitarbeitern der Gerichte anvertraut ist“. Wenn Richterinnen und Richter nach Art. 92 GG – allein – für die Rechtsprechung verantwortlich sind, dann ist Justizverwaltung Dienstleistung für die Tätigkeit der Richter. Die Gegenthese von Torsten Block, Justizverwaltung sei „in erster und überwiegender Linie Dienstleistung am Bürger“, offenbart ein grundlegendes verfassungsrechtliches Missverständnis.

b) Die Gegenthese von Torsten Block entspricht nach meinem Eindruck dem Verständnis der meisten Mitarbeiter der Justizverwaltungen. Genau in diesem Punkt liegt der Kern aller Probleme, die wir Richter mit Justizverwaltungs-Qualitätsmanagement haben: Wer glaubt, dass er nicht Dienstleistungen für die Rechtsprechung sondern Dienstleistungen für den Bürger erbringt, legitimiert damit – verfassungswidrige – eigene Überlegungen, was denn alles gut oder schlecht für den Bürger ist, wenn Richter Recht sprechen. Die „Dienstleistung am Bürger“ schafft die scheinbare Legitimation dafür, dass Justizverwaltungen – ohne gesetzliche Grundlage – „Leitbilder“ für die Tätigkeit der Richter formulieren, dass Präsidenten „Qualitätsstandards“ erfinden, dass die Justizverwaltung sich Gedanken über die nötige und ausreichende „Bearbeitungstiefe“ der Richter macht, dass Präsidenten in „Jahresgesprächen“ Richter auf Zielvereinbarungen festlegen oder dass (in Baden-Württemberg) niemand etwas dabei findet, wenn der Rechnungshof kontrolliert, ob die Familienrichter bei der Prozesskostenhilfebewilligung genügend „kostenbewusst“ arbeiten.

Zur Klarstellung: Ich unterstelle Torsten Block keineswegs, dass er all diese verfassungswidrigen Missgriffe billigt. Das verfassungsrechtliche Missverständnis, Justizverwaltung habe „Dienstleistung am Bürger“ (statt Dienstleistung für die Rechtsprechung) zu erbringen, ist aber die entscheidende geistige Grundlage dafür, dass viele Mitarbeiter der Justizverwaltung sich an solchen Missgriffen beteiligen und das verfassungsrechtliche Problem ihres Tuns nicht mehr erkennen. Daher müssen wir Richter klarstellen und deutlich machen, dass die Aufgabe von Justizverwaltung Dienstleistung für die Rechtsprechung ist und nichts anderes. Jeder von uns sollte versuchen, an seinem eigenen Gericht diesen Standpunkt gegenüber dem jeweiligen Präsidenten immer wieder deutlich zu machen, um die Gefahr verfassungswidriger Grenzüberschreitungen der Justizverwaltung zu verringern.

6. Ein Qualitätsmanagement für den Bereich der Justizverwaltung ist möglich und sinnvoll. Ein derartiges Qualitätsmanagement gibt es in Deutschland jedoch noch nicht einmal ansatzweise. Die Justizverwaltungen in Deutschland wollen sich mit der Qualität ihrer Dienstleistungen für richterliche Tätigkeit bisher nicht beschäftigen.

a) Ein Qualitätsmanagement für Justizverwaltung würde voraussetzen, dass man sich zunächst einmal überlegt, was denn eigentlich die „Produkte“ von Justizverwaltung sind. Wenn Justizverwaltung „Dienstleistung für Rechtsprechung“ ist, dann kann es bei einem Qualitätsmanagement für Justizverwaltung nur um die Frage gehen, welche Ergebnisse Justizminister oder Präsidenten bei der Bewahrung und Verbesserung der Bedingungen für die Rechtsprechung in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich erzielt haben. Wie erfolgreich sind die Justizverwaltungen bei ihrer Aufgabe, günstige Bedingungen für eine Rechtsprechung zu schaffen, bei der die Richter in der Lage sind, ihre selbst gesetzten Qualitätsmaßstäbe für richterliche Tätigkeit zu verwirklichen? Mir ist nicht bekannt, dass Justizverwaltungen in Deutschland sich mit solchen Betrachtungen näher beschäftigen, um die Qualität ihrer Leistungen tatsächlich messen zu lassen (13).

b) Eine Messung der Qualität der Leistungen von Justizverwaltung muss bei den Auswirkungen auf die Rechtsprechung ansetzen. Also z. B.: In welchem Umfang ermöglichen Justizverwaltungen den Richtern, die Bearbeitungstiefe bei ihren Entscheidungen selbst festzulegen? Wie wirkt sich die Personalverwaltung in den verschiedenen Justizverwaltungen auf die Qualität der Rechtsprechung aus? In welchem Umfang gelingt es den Justizverwaltungen, den Bedürfnissen der Richter entsprechende Fortbildungsangebote zur Verfügung zu stellen? Wie schätzen Richter in den verschiedenen Ländern oder bei verschiedenen Gerichten die Leistungen der jeweiligen Justizverwaltung beim Schutz richterlicher Unabhängigkeit ein? Erhebungen zu solchen Fragen sind mir nicht bekannt. Vor allem kenne ich keinen Justizminister und keinen Präsidenten in Deutschland, der bereit wäre, sich bei diesen Fragen einem für die Richter und für die Öffentlichkeit transparenten Leistungsvergleich mit anderen Landesjustizministern bzw. anderen Präsidenten zu stellen.

7. Für die Richterinnen und Richter in Deutschland muss es eine vordringliche Aufgabe sein, das Qualitätsmanagement vom Kopf auf die Füße zu stellen. Richterinnen und Richter müssen Qualitätsanforderungen für die Dienstleistung der Justizverwaltung formulieren und die konkrete Tätigkeit der Justizverwaltungen in den Ländern an diesen Anforderungen messen.

a) Es geht bei dieser These nur um Qualitätsmanagement für die Justizverwaltung. Eigenverantwortliches Qualitätsmanagement für richterliche Tätigkeit ist ein völlig anderes Thema, das damit nichts zu tun hat (14).

b) Die Richtung, in die ein solches Qualitätsmanagement gehen muss, ergibt sich aus den Ausführungen zur These 6 oben. Beispielsweise wäre an Jahresgespräche von Richtern mit Präsidenten zu denken, in denen die Leistungen des jeweiligen Präsidenten offen besprochen werden. Daraus könnten einvernehmliche Zielvereinbarungen entspringen, in denen der Präsident versucht, für die Erbringung bestimmter Leistungen zu sorgen. Gegenstand einer solchen Zielvereinbarung könnten z. B. sein die Durchführung bestimmter notwendiger Baumaßnahmen am Gericht, die Beschaffung bestimmter personeller Ressourcen oder auch die Verbesserung der Wahrnehmung von Interessen der Rechtsprechung, wenn es darum geht, Richter in ihrer Tätigkeit gegen Angriffe von außen (insbesondere von Medien) zu verteidigen.

c) Im Gegensatz zu Torsten Block bin ich nicht der Meinung, dass viele Richter ein zu großes Misstrauen gegenüber der Justizverwaltung haben. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass wir Richter notwendigen Konflikten eher aus dem Wege gehen und konkrete Kritik an der Justizverwaltung nicht ohne weiteres offen äußern. Hier ist ein Umdenken in der Richterschaft erforderlich, wenn wir die Qualität von Justizverwaltung steigern wollen. Ich bin immer schon der Meinung gewesen, dass die Verantwortung für kritikwürdige Leistungen von Justizverwaltung zu 50 % bei uns Richtern liegt, weil wir Richter unseren Ministern und Präsidenten zu wenig erklären, wo Defizite in unserer rechtsprechenden Tätigkeit liegen und was die Mitarbeiter der Justizverwaltung zur Beseitigung der Defizite beitragen können.

8. Justizverwaltungen sind vor allem daran zu messen, in welchem Umfang sie ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht nachkommen, für die notwendigen Ressourcen bei den Gerichten, vor allem im personellen Bereich, zu sorgen. Die Leistungen der Landesjustizverwaltungen in Deutschland sind schlecht, teilweise katastrophal.

a) Aus der Sicht der meisten Richterinnen und Richter ist es eine Binsenweisheit, dass die Qualität ihrer Rechtsprechung in erster Linie von der zur Verfügung stehenden Zeit pro Fall abhängt. Es geht um die Zeit für die Erfassung von Akten, Zeit für die Vorbereitung einer Verhandlung, Zeit für die Durchführung einer Beweisaufnahme, Zeit für das Zuhören in einer Verhandlung, Zeit für die Prüfung von Rechtsfragen, Zeit für das Überlegen und Abwägen, Zeit für das Konzipieren und Entwerfen einer Entscheidung, Zeit für Fortbildung, Zeit für kollegialen Austausch und Zeit für eigenverantwortliches richterliches Qualitätsmanagement. Personalabbau, teilweise steigende Fallzahlen und eine teilweise Zunahme der Komplexität von Rechtsstreitigkeiten haben in den letzten Jahren in Deutschland in erster Linie Qualitätsverminderungen verursacht; denn das Zeitbudget der Richter hat sich verringert.

b) Die Mitarbeiter der Justizverwaltungen in Deutschland verkennen überwiegend ihre Aufgabe, wenn sie in der Ressourcen-Frage lediglich eine von ihnen (angeblich) nicht beeinflussbare politische Frage sehen. Die Ausstattung der Gerichte mit den – an den Qualitätsvorstellungen der unabhängigen Richter orientierten – notwendigen Ressourcen ist jedoch eine (verfassungsrechtliche) Rechtsfrage. Das heißt: Ein Justizminister ist z. B. verpflichtet, seine Kabinettskollegen und das Landesparlament auf rechtliche Zwänge bei der Mittelbewilligung hinzuweisen. Präsidenten müssen ihren Justizminister auf eine Verletzung seiner rechtlichen Pflichten hinweisen, wenn der Justizminister die Anforderungen der Richter im Ressourcen-Bereich nicht eindeutig gegenüber dem Kabinett und gegenüber dem Landtag vertritt. Dem entspricht die Praxis der Justizverwaltungen in Deutschland kaum. Der Justizminister von Baden-Württemberg hat beispielsweise bis vor geraumer Zeit auf der Homepage des Ministeriums damit geworben(!), dass Baden-Württemberg besonders gut dastehe, weil man im Bundesvergleich die wenigsten(!) Richter habe.

c) Vor einiger Zeit hat der Direktor eines Amtsgerichts in einem deutschen Bundesland (15) in einem persönlichen Gespräch seinem Justizminister erklärt, das Gericht benötige – um seine Aufgaben ordnungsgemäß erledigen zu können – dringend zwei zusätzliche Mitarbeiter/innen im nichtrichterlichen Bereich. Daraufhin der Minister (wortreich): „Kein Geld“. Der Direktor: „Dann wende ich mich an die Presse.“ Der Minister: „Dann schmeiße ich Sie raus.“ Ergebnis der Geschichte: Der Direktor wurde nicht „rausgeschmissen“, sondern ist immer noch im Amt, und das Gericht hat zwei zusätzliche Mitarbeiterinnen bekommen. Wie viele Gerichtspräsidenten in Deutschland sind bereit, sich am Verhalten dieses Amtsgerichtsdirektors ein Beispiel zu nehmen?

9. „Ich bin versucht zu sagen: Der Fisch stinkt vom Kopf her“. Das ist die zutreffende Erkenntnis des Amtschefs eines deutschen Justizministeriums zum Thema „Führung in der Justiz“ (Michael Steindorfner auf dem 14. Deutschen Verwaltungsrichtertag 2004). Allerdings fehlen Konsequenzen aus dieser Erkenntnis in den Justizministerien.

Das Zitat, das von einem Insider der Justizverwaltung stammt, ist polemisch. Man täte Steindorfner allerdings m. E. unrecht, wenn man seine Aussage als reine Rhetorik abtun würde. Ich denke eher, dass Steindorfner auf einer bestimmten Ebene die Mängel von Justizverwaltungen tatsächlich deutlicher erkennt als mancher von uns Richtern.

10. Die immer größer werdenden eklatanten Mängel der Justizverwaltungen in Deutschland lassen die Forderung der Neuen Richtervereinigung, der sich inzwischen auch der Deutsche Richterbund angeschlossen hat, nach einer Selbstverwaltung der Dritten Gewalt immer dringlicher werden.

a) Ich stimme Torsten Block vollkommen zu bei seiner Forderung nach Selbstkritik bei uns Richtern. Ich bin mit ihm einer Meinung, dass wir alle – auch ich – an einer selbstkritischen Wahrnehmung unserer Rechtsprechungstätigkeit ständig arbeiten müssen.

b) Selbstkritik von Richtern ist gleichzeitig die wichtigste Voraussetzung für einen rationalen Umgang mit Justizverwaltung. Erst die selbstkritische Wahrnehmung der eigenen Tätigkeit ermöglicht eine kritische Befassung mit Justizverwaltung:

– Ich stelle fest, dass ich – wie vermutlich die meisten Richter – „Kompromisse“ bei der Bearbeitungstiefe meiner Entscheidungen mache. Diese Kompromisse wirken sich aus auf das Fehlerrisiko und wahrscheinlich auf die Akzeptanz von Entscheidungen bei den Beteiligten. Erst aus einer solchen selbstkritischen Reflexion ergibt sich die Bedeutung der Forderungen, die wir an die Justizverwaltung im Hinblick auf die Ressourcen stellen müssen.

– Ich fühle mich durch Erledigungszahlen und „rückständige“ Verfahren teilweise unter Druck. Druck verringert die Arbeitsfreude und hat negative Auswirkungen auf die Sachbehandlung von Verfahren. Wenn mir eine nennenswerte Steigerung meiner Arbeitszeit nicht möglich erscheint, kann die Konsequenz nur sein, dass wir jede subtile oder weniger subtile Einflussnahme von Justizverwaltungen auf unsere „Schlagzahlen“ bekämpfen müssen.

– Ich stelle fest, dass nicht nur rechtliche Analysen der Prozessvorschriften sondern auch Zeitgründe maßgeblich sind, wenn es um die Frage geht, ob ich als Einzelrichter entscheide oder ob z. B. eine Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden soll. Ich stelle fest, dass die Handhabung von § 139 ZPO (richterliche Hinweispflicht) nicht nur von rechtlichen Überlegungen abhängt sondern auch davon, welchen zusätzlichen Arbeitsaufwand die Reaktionen der Parteien auf einen bestimmten Hinweis möglicherweise mit sich bringen werden. Folglich müssen wir Richter Justizverwaltungskonzepte zum Thema „Qualität“ ablehnen, wenn in den Konzepten die Zeit pro Fall nicht vorkommt.

– Ich bin nach meinem Eindruck beeinflussbar durch Beförderung und Beförderungsaussichten. Dementsprechend sind Unprofessionalität, Willkür und „Steuerungsversuche“ der Justizverwaltungen bei Beförderungen scharf zu kritisieren.

Ich denke, der Zusammenhang zwischen Defiziten in unserer richterlichen Tätigkeit und mangelhaften Dienstleistungen der Justizverwaltung ist evident. Die Liste der Beispiele lässt sich – bei einer selbstkritischen Reflexion – beliebig verlängern. Erst der Blick auf die Mängel in der richterlichen Tätigkeit eröffnet den Blick auf die eklatanten Mängel der Justizverwaltungen.

c) Es gibt für uns Richter keinen Anlass, den Justizverwaltungen in Deutschland ein besonderes sachliches Vertrauen entgegenzubringen. Persönliche Wertschätzung im Verhältnis zu den Mitarbeitern der Justizverwaltungen darf den Blick auf interessenorientiertes Denken und Handeln bei den Justizverwaltungen nicht verstellen. Wäre das Denken und Handeln bei den Justizverwaltungen nicht interessenorientiert, wäre die Forderung der Neuen Richtervereinigung nach einer Selbstverwaltung der Dritten Gewalt überflüssig.

Anmerkungen:

1] Vgl. z. B. den Bericht der Arbeitsgruppe „Qualitätssicherung“ zur Vorbereitung der Beratungen der Justizverwaltungen im März 2005 im Rahmen der sogenannten „Großen Justizreform“.

2] Betrifft Justiz, September 2005, S. 128/129.

3] Betrifft Justiz, a.a.O.

4] Zu Ansätzen für ein eigenverantwortliches, richterliches Qualitätsmanagement sei beispielsweise auch verwiesen auf Hochschild/Schulte-Kellinghaus, Qualitätsmanagement in der Justiz – Wer steuert die Rechtsprechung?, DRiZ 2003, 413 ff..

5] NJW 2001, 1089, 1094.

6] Vgl. beispielsweise Kramer, Modernisierung der Justiz: Das Neue Steuerungsmodell, NJW 2001, 3449.

7] Vgl. beispielsweise das bereits zitierte Papier der Arbeitsgruppe „Qualitätssicherung“ im Rahmen der sogenannten „Großen Justizreform“, s. Anm. 1] oben.

8] Vgl. zur Verfassungswidrigkeit der Neuen Steuerungsinstrumente beispielsweise die umfassende Untersuchung von Schütz, Der ökonomisierte Richter, Diss. Würzburg, Dez. 2004.

9] Gerichtspräsidenten sind abhängige und zur Loyalität verpflichtete Mitarbeiter des Justizministers, also Teil der Exekutive.

10] Vgl. z. B. für die Organisation des Rundfunks BVerfGE 90, 60 (88 ff).

11] Vgl. Betrifft Justiz, Sept. 2005, S. 123.

12] Die diversen Mängel mancher justizspezifischer DV-Systeme sollen hier im Übrigen nicht weiter vertieft werden.

13] Auf die Defizite in diesem Bereich hat insbesondere Piorreck, Betrifft Justiz 2003, 64 ff, Die Rechtsprechung ist eine Staatsgewalt und kein Produkt der Justizverwaltung, hingewiesen.

14] Vgl. die Vorbemerkung oben.

15] Nicht Baden-Württemberg.

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